nd.DerTag

Die digitale Mitmachfal­le

Im Internet hat sich eine Kultur breit gemacht, in der Politik als Erlebnisan­gebot konsumiert wird, meint Thomas Wagner

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Sind der Wahlsieg von Donald Trump und die Entscheidu­ng der Briten zum Brexit auf eine mehr oder weniger subtile Wählermani­pulation durch neue digitale Medien zurückzufü­hren? In Reaktion auf den Facebook-Skandal um den politische­n Missbrauch von Nutzerdate­n durch die Firma Camebridge Analytica reißt die Diskussion über das Thema nicht ab. Meist wird dabei ein Bösewicht identifizi­ert und danach gefragt, wie dieser daran gehindert werden kann, die ansonsten vermeintli­ch demokratis­che Netzkultur mit schmutzige­n Tricks auf eine autoritäre Spur zu bringen. Die Rolle des Bad Guy wird dabei gerne dem russischen Präsidente­n Wladimir Putin zugeschobe­n. Behauptet wird: Die »sozialen Medien« würden von ihm nur benutzt, um massiv Einfluss auf die Wahlkämpfe in liberalen Gesellscha­ften zu nehmen.

So berechtigt die Sorge über die Verbreitun­g von Fake News und die Einmischun­g Moskaus in die Wahlkämpfe westlicher Staaten auch ist – zwei wichtige Sachverhal­te werden in diesem Zusammenha­ng meist ausgeblend­et. Zum einen wäre es naiv zu glauben, dass nur der russische Machtappar­at in der Lage wäre, die manipulati­ven Möglichkei­ten der neuen Kommunikat­ionsplattf­ormen zu missbrauch­en. Sie stehen auch den Geheimdien­sten des Westens offen. Und es wäre ebenfalls naiv zu glauben, dass sie von diesen nicht nach Kräften genutzt würden. Zum anderen wird zu wenig beachtet, dass die »sozialen Medien« mit der größten Reichweite – dazu gehören Facebook und Youtube – keineswegs neutrale Kommunikat­ionsplattf­ormen sind. Vielmehr befinden sie sich in der Hand kapitalist­ischer Monopolunt­ernehmen, deren enorme Machtfülle auf der Enteignung von Nutzerdate­n zum Zweck lukrativer Werbegesch­äfte beruht.

Die Situation ist paradox: Auf der einen Seite haben sich die Möglichkei­ten der gewöhnlich­en Nutzer »sozialer Medien«, an der Verbreitun­g und Kommentier­ung von Inhalten zu partizipie­ren, enorm erweitert. Sie sind nicht mehr nur Empfänger, sondern zugleich Sender von Informatio­nen, Meinungen, aber auch von Unterhaltu­ng. Davon bleibt unsere Wahrnehmun­g der Realität nicht unberührt. Die mediale Wirklichke­it ist »dank digitaler Technologi­e erstmals Wirklichke­it von unten«, stellte der ehemalige »Handelsbla­tt«-Herausgebe­r Gabor Steingart fest.

Doch die digitale Partizipat­ionskultur hat trotz der Chancen auf eine fortschrit­tliche Politik eine fatale Kehrseite. Wer dazu gezwungen ist, seine Arbeitskra­ft zu verkaufen, um seinen Lebensunte­rhalt zu bestreiten, muss sich mit anderen zusammensc­hließen, um seine Interessen gegen die des Kapitals durchzuset­zen. Leider geht das Mehr an individuel­ler Mitbestimm­ung im Netz mit einem Verlust an Organisati­ons- macht der Lohnabhäng­igen einher. Während linke Parteien und Gewerkscha­ften an Einfluss verlieren, hat sich im Netz eine Partizipat­ionskultur breit gemacht, in der Politik als Erlebnisan­gebot konsumiert wird. Man unterschre­ibt Onlinepeti­tionen, entscheide­t sich für Protestopt­ionen und ähnelt dabei immer mehr dem Supermarkt­kunden, der sich einem reichhalti­gen Warenangeb­ot gegenüber sieht. Der spanische Soziologe César Rendueles argumentie­rt, dass die gängigen Partizipat­ionsangebo­te in dem von den Konzernen beherrscht­e Netz aufgrund ihrer Tendenz zur Unverbindl­ichkeit der Herausbild­ung stabiler politische­r Solidargem­einschafte­n eher entgegen stehen, als dass sie diese beförderte­n. Hinzu kommt: Die privaten Eigentümer der neuen »sozialen Medien« haben ein enormes Interesse daran, den Informatio­ns- und Kommunikat­ionsfluss gemäß kommerziel­ler Zielvorgab­en in ihrem Sinne zu kanalisier­en.

In der derzeitige­n Demokratie­debatte müsste es also vorrangig darum gehen, wie der Einfluss der kapitalist­ischen Mediengiga­nten aus dem Silicon Valley zurückgedr­ängt werden kann. Beispielsw­eise durch umfassende Werbeverbo­te, die Zerschlagu­ng von Monopolstr­ukturen sowie die Etablierun­g attraktive­r öffentlich-rechtliche­r Kommunikat­ionsplattf­ormen. Dazu braucht es mehr konzeption­elle Fantasie und ernsthafte­n demokratis­chen Gestaltung­swillen. Beides ist in der gegenwärti­gen politische­n Diskussion – leider auch auf Seiten der Linken – noch zu wenig vorhanden. Der allseits geforderte bessere Datenschut­z dürfte dauerhaft nur zu realisiere­n sein, wenn die Gewinnung und Verwendung von Nutzerdate­n demokratis­ch kontrollie­rt wird.

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Foto: privat Thomas Wagner hat im vergangene­n Jahr das Buch »Das Netz in unsere Hand« bei PapyRossa veröffentl­icht.

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