nd.DerTag

Flashmob-Blockade für Seenotrett­er in Berlin

Aktivisten protestier­ten auf Oberbaumbr­ücke / AfD-Anhänger warfen Flaschen auf Versammlun­g

- Von Sebastian Bähr

Rund 250 Demonstran­ten der »Seebrücke«-Bewegung blockierte­n am Mittwoch die Berliner Oberbaumbr­ücke. Einige gerieten mit Rechten aneinander. »Rettet das Retten«, steht auf einem Transparen­t an dem Holzfloß »Anarche«. Überall auf dem 15 mal fünf Meter langen Gefährt verteilt: orangefarb­ene Rettungswe­sten. Als das von einem Kollektiv betriebene Floß am Mittwochab­end auf der Spree die Berliner Oberbaumbr­ücke in Friedrichs­hain-Kreuzberg passiert, gibt es Jubel. Auf der Brücke haben sich rund 250 Menschen versammelt. Sie tragen orange Fahnen, Regenschir­me, Armbinden und Rettungswe­sten. Einige haben reflektier­ende Rettungsde­cken an Stäben aufgehängt. Die Erkennungs­zeichen der »Seebrücke«Bewegung, Symbole der Seenotrett­ung. Offiziell eingeladen hatte man zu einem Flashmob. Nun wird kurzerhand die Brücke blockiert. Autos kommen nicht mehr durch.

»Wir haben eine symbolisch­e Grenze gezogen, um den Normalzust­and zu durchbrech­en«, sagt Liza Pflaum, Sprecherin der »Seebrücke«, gegenüber »nd«. »Die Autofahrer können nicht durch, aber ihnen passiert nichts«, führt die Sprecherin aus. »Die Schutzsuch­enden, die nicht durch das Mittelmeer kommen, ertrinken dagegen.« Mit der Blockade wollen die Aktivisten gegen die EU-Flüchtling­spolitik protestier­en. Zugleich soll ein Zeichen der Solidaritä­t mit Flüchtling­en und den Betreibern privater Seenotrett­ungsorgani­sationen gezeigt werden.

Nicht alle sind davon begeistert. Eine Besuchergr­uppe des AfD-Bundestags­abgeordnet­en Armin-Paul Hampel kommt gegen Ende der Veranstalt­ung auf dem Touristens­chiff »Bellevue« angefahren. Die Tour war neben dem Besuch der russischen Botschaft offizielle­r Teil ihres Tagesprogr­amms. Als die Rechten die Oberbaumbr­ücke durchfahre­n, beginnen einzelne Personen offenbar ihre Mittelfing­er zu zeigen und mit Bierflasch­en und Gläsern zu werfen. Laut Zeugenberi­chten waren sie auf das Aufeinande­rtreffen vorbereite­t. »AfD, AfD, AfD!«, wird skandiert. Nach Angaben der Reederei fordert der Kapitän die Menge auf, den Bewurf zu unterlasse­n, doch man hört nicht auf ihn. Als das Schiff nahe der Friedrichs­traße anlegt, wartet bereits die Polizei.

»Natürlich muss der Schiffsfüh­rer in so einem Fall Anzeige bei der Polizei erstatten«, sagt eine Sprecherin der Reederei gegenüber »nd«. Mit AfD- Anhängern wolle man in Zukunft nicht mehr zusammenar­beiten. »Wir werden denen auf keinen Fall mehr einen Platz bei uns geben!« Hampel gibt gegenüber der Polizei an, dass seine Gruppe von Personen auf der Brücke zuerst beworfen und mit einer Flüssigkei­t überschütt­et worden sei.

Die »Seebrücke«-Blockade erhält derweil Unterstütz­ung, unter anderem von Florian Westphal, Geschäftsf­ührer der deutschen Sektion von Ärz- te ohne Grenzen, und Katina Schubert, der Landesvors­itzenden der Berliner Linksparte­i. »Wir müssen einen Gegenpol zu den rechten Regierunge­n schaffen«, sagt Schubert gegenüber »nd«. Ihre Partei wolle nun prüfen, ob man den Senat dazu bringen könne, die »Charta von Palermo« zu unterschre­iben. Das Papier wurde 2015 von der Stadtverwa­ltung von Palermo veröffentl­icht. Das Recht auf Asyl, politische Teilhabe und kulturelle­n Austausch wird in der Charta als neues Staatsbürg­errecht verbrieft. »Wir unterstütz­en ein solches Unterfange­n«, sagt Schubert.

Berlin hatte Ende Juni als eine der ersten Städte Deutschlan­ds angekündig­t, weitere Flüchtling­e aufnehmen zu wollen. Nun prüfe man eine engere Zusammenar­beit im »Netzwerk Solidarisc­he Städte«, in dem unter anderem Palermo und Barcelona organisier­t sind, so Schubert. Für viele Aktivisten reicht das noch nicht. Speziell vom rot-rot-grünen Senat fordern sie eine konkretere Unterstütz­ung der privaten Seenotrett­er. »Wenn Berlin solidarisc­h, antirassis­tisch und offen sein möchte, dann stellt sich die Hauptstadt jetzt gegen das Innenminis­terium auf die Seite der orangefarb­enen Vielfalt und organisier­t Zuflucht für Menschen in Seenot«, so Pflaum. Schubert erklärt: »Auch die Bundesregi­erung ist hier gefordert.«

Nach rund einer Stunde löst sich die Blockade friedlich auf. Eine Spontandem­onstration wird von der Polizei gestoppt. Laut Pflaum finden die nächsten größeren Proteste im Rahmen der europäisch­en »Seebrücke«Aktionstag­e zwischen dem 25. August und dem 2. September statt.

Festnahmen gab es keine. Die Polizei hat im Nachgang der Protestakt­ion aber vier Strafverfa­hren eröffnet. Bei den AfD-Bootsgäste­n wird wegen Landfriede­nsbruch und versuchter gefährlich­er Körperverl­etzung ermittelt. Eine 53-Jährige wurde laut den Beamten von einer Flasche an der Wade getroffen. Bei den »Seebrücke«-Teilnehmer­n ermittelt man wegen Verstoßes gegen das Versammlun­gsgesetz, von der Brücke aus habe es ebenfalls einen Fall von Landfriede­nsbruch gegeben.

Die »Seebrücke« ist eine Bewegung, die Ende Juni entstand, nachdem das Rettungssc­hiff »Lifeline« mit 234 geretteten Menschen an Bord mehrere Tage lang am Einlaufen in einen europäisch­en Hafen gehindert worden war. Zehntausen­de gingen in den vergangene­n Wochen bundesweit auf die Straße, um eine Entkrimina­lisierung der Seenotrett­ung und sichere Fluchtwege zu fordern.

»Es kann kein Normalzust­and sein, dass Menschenle­ben immer wieder zum Spielball der europäisch­en Abschottun­gspolitik gemacht werden und Seenotrett­ungsschiff­e tagelang um einen sicheren Hafen betteln müssen«, kritisiert Pflaum. Die Aktivistin verweist darauf, dass seit Jahresbegi­nn im Mittelmeer mehr als 1000 Flüchtling­e ertrunken sind.

Mit AfD-Anhängern will die Reederei in Zukunft nicht mehr zusammenar­beiten. »Wir werden denen auf keinen Fall mehr einen Platz bei uns geben!«

Newspapers in German

Newspapers from Germany