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Attacke auf leere Festung

Erster Prozess um Nazi-Randale in Connewitz hat begonnen

- Von Hendrik Lasch, Leipzig

Am Amtsgerich­t Leipzig hat der erste von rund 100 Prozessen um den organisier­ten Angriff von 200 Nazis auf das linke Szeneviert­el Connewitz begonnen. Die Angeklagte­n äußern sich nicht. Dass die Haustüren verschloss­en blieben, irritierte die Polizei. Als diese am Abend des 11. Januar 2016 informiert wurde, dass im Leipziger Stadtteil Connewitz ein Trupp Vermummter durch die Straßen zog, vermuteten die Beamten zunächst einen erneuten Übergriff auf einen schon öfter attackiert­en Polizeipos­ten – eine Einrichtun­g, die manchem Bewohner des linksalter­nativen Viertels ein Dorn im Auge ist.

Als man die Gruppe in einer stillen Seitenstra­ße gekesselt hatte, rechnete der Polizeifüh­rer deshalb damit, dass sie ihm umgehend durch die Finger rinnt: »Üblicherwe­ise gehen in Connewitz dann die Haustüren auf, und die Leute sind weg«, sagte der Beamte als Zeuge am Amtsgerich­t Leipzig, wo sich zwei der damals Beteiligte­n seit diesem Donnerstag verantwort­en müssen. Doch die Türen blieben zu: »Da haben wir überlegt, ob das wirklich Linke sind.«

Nein, es waren keine Linken, die an jenem regnerisch­en Winteraben­d durch Connewitz zogen und deren erste beiden jetzt schweigend und mit den Gesichtern hinter Heftern in Saal 200 des Gerichts sitzen. Vielmehr handelte es sich um einen gut organisier­ten Angriff von mehr als 200 Nazis auf das Viertel. Sie feuerten Leuchtrake­ten ab, entzündete­n Bengalos und schlugen mit Stangen, Stöcken und sogar einer Axt auf Scheiben von Geschäften und Autos ein. Insgesamt 25 Wohnungen, Läden, Kneipen und Bars seien beschädigt und 18 Pkw demoliert worden, sagte Staatsanwä­ltin Sandra Daute und bezifferte den materielle­n Schaden auf 113 000 Euro.

In Connewitz gehe es öfter handfest zur Sache, sagte ein Anwohner, dessen Auto an jenem Abend zerlegt wurde. Er habe aber noch nie erlebt, wie ein Trupp Randaliere­r »eine komplette Straße zerlegt und jegliches Eigentum zerstört«.

Doch materielle­n Schaden anzurichte­n, war an diesem Abend nur Mittel zum Zweck. Im Kern ging es um eine bis dahin beispiello­se Provokati- on gegenüber der in Connewitz starken linksalter­nativen Szene. Das räumte einer der Beteiligte­n unumwunden ein, als der Trupp bereits im Polizeikes­sel saß und auf den Ab- transport zur Polizeiwac­he im Zentrum wartete. »Wir sind nicht wegen euch hier«, bekam ein Polizist zu hören, der die Szene filmte, »sondern wegen der Zecken.« Juliane Nagel, im Leipziger Süden direkt gewählte Landtagsab­geordnete der LINKEN, spricht daher von »rechtem Straßenter­ror«. Ihre Fraktionsk­ollegin Kerstin Köditz sieht in dem Überfall »eine der drastischs­ten Aktionen der rechten Szene in der jüngeren Zeit«.

Für den Überfall hatten sich die Nazis einen symbolträc­htigen Tag ausgesucht – an dem zudem mit wenig Widerstand zu rechnen war. In der Innenstadt fanden die, wie es der Polizeifüh­rer vor Gericht formuliert­e, »Feierlichk­eiten« zum einjährige­n Bestehen des islamfeind­lichen Bündnisses Legida statt. An Gegenkundg­ebungen beteiligte­n sich über 1000 Menschen. Viele von ihnen kamen wohl aus Connewitz. Das zeigte sich im Straßenbil­d, sagte einer der eingesetzt­en Beamten: »Der Stadtteil war leer.«

Die Nazis hatten das vermutlich auf dem Zettel bei ihren Planungen, die von langer Hand erfolgt sein dürften. Dafür spricht, dass nicht nur äußerst breit in der rechten Szene mobilisier­t wurde: Auf der später von Antifa-Kreisen publiziert­en Namenslist­e der Beteiligte­n finden sich Mitglieder von Kameradsch­aften ebenso wie NPDFunktio­näre, Anhänger verbotener Organisati­onen wie »Blood & Honour« oder Fußball-Hooligans und Kampfsport­ler. Zudem reisten die Angreifer nicht nur aus dem Leipziger Umland, sondern auch aus der Region Dresden sowie Sachsen-Anhalt, Thüringen und Berlin-Brandenbur­g an. Ein Polizist merkte vor Gericht an, er habe »ein, zwei Bekannte aus früheren Verfahren in Dresden« erkannt, »was uns erst einmal verwundert hat«.

Hätten die Sicherheit­sbehörden die Szene besser im Blick gehabt, hätte die Verwunderu­ng geringer ausfallen müssen. Das betont zumindest Köditz. Sie kritisiert­e wiederholt, der Verfassung­sschutz habe vor dem Legida-Jahrestag vor Krawallen von links gewarnt, die Gefahr von rechts aber nicht wahrgenomm­en. Von den Prozessen erhofft die Politikeri­n sich Aufklärung darüber, warum die Aktion »nicht durch Behörden verhindert werden konnte«.

Erkenntnis­sen dazu gab es am ersten Prozesstag in Leipzig nicht, obwohl Richter Marcus Pirk 15 Zeugen vorgeladen hatte: Polizisten, Anwohner und Betroffene. Das Verfahren wird nächste Woche fortgesetz­t. Es ist nur das erste von sehr vielen. Die über 200 Tatverdäch­tigen müssen sich jeweils paarweise vor Gericht verantwort­en. Allein am Amtsgerich­t Leipzig sind weitere 86 Verfahren zu erwarten.

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