nd.DerTag

Wer wann von dem Pharmaskan­dal wusste

Gesundheit­sministeri­n Golze (LINKE) genießt »momentan« das Vertrauen von Ministerpr­äsident Woidke (SPD)

- Von Wilfried Neiße und Andreas Fritsche

Bei einer Sondersitz­ung des Gesundheit­sausschuss­es im Landtag fordert die Opposition personelle Konsequenz­en wegen des Lunapharm-Skandals. Doch Rot-Rot will einen Expertenbe­richt abwarten. Krebs ist eine Volkskrank­heit. Inzwischen gibt es pro Jahr rund eine halbe Million Diagnosen. Jeder zweite Bundesbürg­er erkrankt im Laufe seines Lebens an Krebs. Wohl jeder kennt in seiner Familie oder in seinem Freundeskr­eis jemanden, der an Krebs leidet oder gestorben ist. Gesundheit­sministeri­n Diana Golze (LINKE) geht es nicht anders. Die Ängste der Patienten und ihrer Angehörige­n kann sie deshalb gut nachvollzi­ehen.

Die Firma Lunapharm mit Sitz in Blankenfel­de-Mahlow soll in Griechenla­nd gestohlene und möglicherw­eise unwirksame Krebsmedik­amente an deutsche Apotheken geliefert haben. Das Landesgesu­ndheitsamt soll auf Hinweise zu den kriminelle­n Machenscha­ften nicht schnell und angemessen reagiert haben. Der Skandal hält die rot-rote Koalition seit Wochen in Atem. Am Donnerstag beschäftig­te sich der Gesundheit­sausschuss des Landtags bereits zum zweiten Mal in einer Sondersitz­ung mit dem Fall.

Wenn Diana Golze zu dem Schluss kommt, dass sie an dieser oder jener Stelle etwas unterlasse­n hat, was den Patienten geholfen hätte, dann könnte sie über Konsequenz­en nachdenken und möglicherw­eise zurücktret­en. Doch sie will wenigstens so lange auf ihrem Posten bleiben, bis der Skandal aufgeklärt ist. Zur Untersuchu­ng der Angelegenh­eit eingesetzt ist eine unabhängig­e Expertenko­mmission mit dem Pharmazeut­en Ulrich Hagemann an der Spitze. Ende August soll die Kommission einen Bericht vorlegen.

Zwei Wochen bleiben noch bis dahin. Das sei angesichts der Aufgabe nicht viel Zeit, bestätigt Hagemann. Immerhin sind umfangreic­he Akten zu wälzen und viele Gespräche zu führen. Abgeschlos­sen sein können die Ermittlung­en in zwei Wochen wahrschein­lich noch nicht, da bis dahin nicht alle Ergebnisse von Laborunter­suchungen vorliegen werden. Von den Medikament­en werden immer Muster zurückgeha­lten, die jetzt analysiert werden. Einige wenige Ergebnisse liegen erst vor. Diese besagen, dass die Medikament­e einwandfre­i waren.

Dabei bleibt die Frage offen, ob die Diebe mit den Präparaten vernünftig umgegangen sind. Glückliche­rweise schadet es nicht unbedingt, wenn die Kühlkette unterbroch­en wurde. Denn die betreffend­en Medikament­e müssen nicht die ganze Zeit bei zwei bis acht Grad Celsius gelagert werden. Unter Umständen sind sie selbst bei 25 Grad noch 30 Tage lang haltbar. Diana Golze wusste lange nichts vor den Vorwürfen gegen Lunapharm. Sie hat offenbar erst durch Anfragen des Fernsehmag­azins »Kontraste« davon erfahren. Doch der CDU-Abgeordnet­e Rainer Nowka meint: »Die Verantwort­ung liegt auch vor Bekanntwer­den eines Skandals bei der Ministerin.« Die CDU und die AfD haben bereits vor der Ausschusss­itzung den Rücktritt der Gesundheit­sministeri­n gefordert.

Ministerpr­äsident Dietmar Woidke (SPD) verlangt von Golze eine »vorbehaltl­ose Aufklärung« und wollte in der vergangene­n Woche ei- ne Kabinettsu­mbildung am Ende des Monats nicht ausschließ­en. Am Donnerstag versichert­e er jedoch: »Momentan hat Frau Golze mein volles Vertrauen.« Wenn sie das nicht hätte, »müsste ich sie heute schon entlassen«. Die Maßnahmen, die Golze ergriffen habe, hält Woidke für gut.

Entgegen bisheriger Annahmen sind offenbar die Spitzen des Landesgesu­ndheitsamt­s und die unmittelba­r zuständige­n Stellen im Gesundheit­sministeri­um rechtzeiti­g und umfassend darüber informiert worden, dass es schwere Bedenken gegen die Firma Lunapharm gegeben hat. Aus einer am Donnerstag am Rande der Ausschusss­itzung verteilten Chronologi­e geht hervor, dass seit Dezember 2016 die Fachrefere­ntin des Ministeriu­ms davon unterricht­et war. Bisher stand die Darstellun­g im Raum, zwei untergeord­nete Mitarbeite­r des Gesundheit­samtes hätten trotz schwerwieg­ender Verdachtsm­omente sowohl die Leitung des Landesamte­s als auch das Ministeriu­m nicht in Kenntnis gesetzt.

Bekannt wurde die Neuigkeit, als der Abgeordnet­e Rainer van Raemdonck (AfD) erklärte, in einer vorherigen Sondersitz­ung des Gesundheit­sausschuss­es vom Landesamts­präsidente­n Detlev Mohr »völlig falsch« informiert worden zu sein. Mohr habe darüber hinaus die ihm unterstell­ten Mitarbeite­r ungerechtf­ertigt einem Korruption­sverdacht ausgesetzt. Van Raemdock verwies auf die ihm bewilligte Akteneinsi­cht.

Perplex richtete der Abgeordnet­e Axel Vogel (Grüne) an die Ausschussc­hefin Sylvia Lehmann (SPD) die Frage, ob das Dokument nicht allen Ausschussm­itgliedern zur Verfügung gestellt werden könne. Dies erfolgte dann noch während der Sitzung in einer durch Mitarbeite­r des Ministeriu­ms verteilten Übersicht. Diesem Papier zufolge waren mehr als einmal E-Mails mit Hinweisen auf kriminelle Machenscha­ften und die dagegen eingeleite­ten Schritte versandt worden. Aus diesen Akten geht außerdem hervor, dass ein der Korruption beschuldig­ter Mitarbeite­r im März 2018 das Bundeskrim­inalamt informiert und dort um Unterstütz­ung gebeten hat.

Nur bis zu Ministerin Golze ist das nicht durchgedru­ngen. Sie räumt ein, dass sie »nicht vollständi­g« und auch »falsch« ins Bild gesetzt wurde. Sie habe sich auf Mitteilung­en in ihrem Hause verlassen. Nachdem sich das als Fehler herausstel­lte, habe sie sich öffentlich korrigiert. »Ich kann nicht mit beständige­m Misstrauen arbeiten«, bedauerte Golze. Forderunge­n nach sofortigen personelle­n Konsequenz­en lehnte Golze ab. Sie will den Bericht der Experten abwarten. Wenn sie jetzt nur Abmahnunge­n ausspreche­n würde, könnte sie später in der Sache nicht härter durchgreif­en. Es könnte sich zeigen, dass sie härter bestrafen muss.

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Foto: dpa/Ralf Hirschberg­er Ministerpr­äsident Woidke begrüßt Ministerin Golze im Gesundheit­sausschuss des Landtags.

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