Sitz einfach da!
Präsenz und Präzision. Zum 75. Geburtstag des Filmschauspielers Robert De Niro
Das Gespräch, das James Lipton 1998 in seiner Sendung »Inside the Actor’s Studio« mit dem Filmschauspieler Robert De Niro geführt hat, ist auf den ersten Blick weitgehend unspektakulär. Wie De Niro zum Schauspielern gekommen sei? Mit zehn Jahren habe er zum ersten Mal Schauspielunterricht genommen, es habe ihn dann aber doch nicht so interessiert; mit 16 dann der zweite Versuch, und dann noch mal mit 18. De Niro gibt eigentlich nichts preis, ist dabei aber nicht unfreundlich, sondern entspannt und konzentriert. Dann verrät er dem Nachwuchs im Publikum doch noch etwas: »Manchmal dachte ich, ich tue nicht genug. Viele Leute vertrauen nicht darauf, dass sie nicht mehr machen müssen, als sie im Leben auch tun. Sitz einfach da, stell Fragen oder antworte, was auch immer.«
Eine stille Demonstration: Indem er die Interviewsituation beschreibt, lässt er sie als schauspielerischen Akt erscheinen, der spürbar werden lässt, wie man’s macht, und gleichzeitig klarstellt, dass es wenig Sinn ergibt, über das Wie zu sprechen.
Die ruhige, raumgreifende Präsenz, die De Niro in seinem Auftritt bei Lipton als Inbegriff einer speziellen Schauspielschule entfaltet – des von Lee Strasberg im Actor’s Studio gelehrten Method Acting –, widerspricht dem manchmal unguten Gewese, das um quälende Rollenvorbereitungen gemacht wird, wenn etwa die Zeitschrift »Vanity Fair« die »Most Significant Sacrifices« (bedeutendsten Opfer/Verzichtsleistungen) des jeweiligen Oscar-Jahrgangs auflistet. Der Begriff Method Acting wird heute oft als Synonym für extreme Rollenvorbereitungen verwendet. Und De Niro wird mit seiner massiven Ge- wichtszunahme im Jahr 1980 für seine Rolle in dem Film »Wie ein wilder Stier« – von durchtrainiert zu fettleibig in wenigen Wochen – unfreiwillig dazu beigetragen und vielleicht sogar den Anfang gemacht haben.
Ursprünglich aber meinte Method Acting eine bestimmte Technik: die methodisch fundierte Erinnerung des Schauspielers an Erlebtes, das verbunden werden soll mit dem Filmgeschehen, mit dem Ziel der Verschmelzung von Schauspieler und dargestellter Figur. Man soll vorübergehend zur Figur werden, anders als in der Schauspieltradition des klassischen Hollywood, die vorsah, dass zum Beispiel Cary Grant auf der Leinwand immer zuallererst eben Cary Grant war. De Niro hingegen wurde in seinen klassischen Filmen ein anderer. In diesem Sinne taugt Method Acting nicht als Feier von Authentizität: Das Eigene wird aufgerufen, um sich vorübergehend in jemand anderen zu verwandeln. Was dabei herauskommt, ist in den besten Filmen De Niros, der nicht nur bei Strasberg, sondern auch bei der analytischer vorgehenden Stella Adler gelernt hat, Ergebnis eines dialektischen Prozesses, den der Schauspieler über lange Jahre steuern konnte wie niemand sonst.
In seinen besten Filmen wirkt jede Bewegung, jede Geste von De Niros Körper so, als sei sie die in diesem Moment maximal passgenaue, auch in den improvisierten Szenen. Und trotzdem mutet alles ganz selbstverständlich an. Der Eindruck in den Boxszenen von »Wie ein wilder Stier«, nicht zuletzt einer der genauesten Filme über obsessive Eifersucht, ist der, dass man einem Boxer dabei zusieht, wie er andere im Ring auseinandernimmt und sich auseinandernehmen lässt. Der psychotische Taxifahrer in dem Film »Taxi Driver« (1976) ist in den Augen des Zuschauers unmittelbar da, in zweiter Linie als Charakterstudie, zuallererst aber als körperlich intensiv spürbare Präsenz. Max Cady, das menschliche Monster aus »Kap der Angst« (1991), das bis kurz vor Schluss unaufhaltsam das Leben einer Mittelstandsfamilie zerstört, spielt De Niro mit einer instinktsicher auf sein Opfer fokussierten Gewalt. Man kann De Niros Schauspieltechnik analytisch betrachten. Ins Filmgedächtnis aber brennt sie sich durch ihre Körperlichkeit und Intensität ein.
Auch wenn De Niro in seinen Filmen immer wieder ein anderer wurde, zieht sich doch eine Konstellation durchs Werk, vor allem in den Filmen, die er zusammen mit Martin Scorsese gedreht hat. Immer wieder spielte er Männerfiguren, wahlweise eingebunden in Bandenstrukturen oder radikal vereinzelt, die den Druck, unter dem sie leiden, und die Verletzungen und Kränkungen, die sie spüren oder sich imaginieren, eruptiv in massiver Gewalt kanalisieren. Kaum einer – abgesehen vielleicht von Harvey Keitel und Joe Pesci – kann auf der Leinwand Männlichkeit so präzise als Amalgam aus Machtstreben, drohender Fragmentierung und Gewalttätigkeit zur Anschauung bringen. Dieser Komplex findet sich in einem weiteren tief- traurigen New-York-Film Scorseses, »The King of Comedy« (1982), in dem De Niro einen einsamen Mann spielt, der sich in seiner Wohnung mithilfe von Pappkameraden als Fernsehstar imaginiert und irgendwann zur Waffe greift; in diesem Fall ist es ausnahmsweise eine Spielzeugpistole, unter anderem deswegen gilt der Film als Komödie.
Der Verlauf, den Robert De Niros Karriere in den letzten Jahren genommen hat, bleibt rätselhaft. Zu den kommerziell erfolgreichsten Filmen, in denen er zu sehen ist, gehören »Reine Nervensache« (1999) und »Meine Braut, ihr Vater und ich« (2000), Komödien, in denen seine jeweilige Rolle als Parodie seiner Rollen aus seinen früheren Filmen angelegt ist. Doch die Method-ActingTradition hat keine Komödienschauspieler (es sind fast ausschließlich Männer) hervorgebracht, und Robert De Niro ist auch keiner.
Zuletzt erweckte die bestürzend unkomische Klamotte »Dirty Grandpa« (2016) den Eindruck, dass es De Niro inzwischen reichlich egal ist, was er spielt – was ebenfalls faszinierend anzusehen ist und vielleicht daran liegt, dass ein Drehbuch wie das von »Taxi Driver« oder ein Film wie »Angel Heart« (1986) heute nicht mehr von einem großen Studio finanziert werden würde. Die Produktionsbedingungen, die den klassischen Filmen De Niros zugrunde lagen, existieren heute schlicht nicht mehr. Für 2019 ist »The Irishman« angekündigt, die wahrscheinlich letzte Kooperation mit Martin Scorsese und die erste in Spielfilmlänge seit vielen Jahren. Der Film wird vom Streamingdienst Netflix produziert und wahrscheinlich nicht in den Kinos zu sehen sein. »Cinema is gone«, postulierte Scorsese zuletzt.
Heute wird mit Robert De Niro ein Großer des Gewerbes 75 Jahre alt.
Kaum einer kann auf der Leinwand Männlichkeit so präzise als Amalgam aus Machtstreben, drohender Fragmentierung und Gewalttätigkeit zur Anschauung bringen.