Frankreich 1968
Vor 50 Jahren schlug die ArbeiterInnenklasse Frankreichs den Weg einer sozialistischen Revolution ein. Im Unterschied zur Deutschland schlug der Funke der Studentenbewegung auf die Arbeiterinnen und Arbeiter über. Es kam zur größten Streikbewegung in der französischen Geschichte. 10 Millionen ArbeiterInnen legten die Arbeit nieder.
Frankreich '68 ist ein Beispiel für Klassenkämpfe während eines wirtschaftlichen Aufschwungs. Es zeigt auch, welche Dynamik Bewegungen nehmen können, wenn die ArbeiterInnenbewegung erst einmal ihre eigene Stärke spürt. Frauen, Männer, Jugendliche, RentnerInnen, AusländerInnen diskutierten in jenem Mai über eine vollkommen andere Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung und entwickelten Ideen, wie das Leben frei und solidarisch organisiert werden kann. Die alten Machthaber sahen ihr Ende nahen. Für einige Tage lag die Macht auf der Straße.
Auch in den 90er Jahren steht die französische ArbeiterInnenklasse an der Spitze der Bewegung in Europa. Die generalstreikähnliche Situation im November/Dezember 1995 wurde von ArbeiterInnen in ganz Europa verfolgt – »französische Verhältnisse« werden von ArbeiterInnen in Deutschland und anderen Ländern gefordert und herbeigesehnt. Es gab die größten Demonstrationen in der Geschichte Frankreichs. Die Mobilisierungen auf der Straße waren größer als beim Generalstreik 1936 oder im Mai 1968 …
Entscheidend war aber, dass die streikenden KollegInnen 1995 keine Vorstellung einer gesellschaftlichen Alternative hatten. Sie kämpften gegen Sozialkürzungen, sie kämpften gegen die Auswirkungen der Marktwirtschaft, aber nicht gegen die Marktwirtschaft selber. Durch die jahrzehntelange Diskreditierung des Sozialismus durch die stalinistischen Diktaturen in der Sowjetunion, der DDR, China und den anderen angeblich sozialistischen Staaten und deren Zusammenbruch 1989/90 ist die Möglichkeit einer anderen, einer besseren und gerechteren Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung aus dem Massenbewusstsein der ArbeiterInnenklasse vorübergehend verbannt worden …
Aus dem Buch von Clare Doyle »Frankreich ’68. Die unvollendete Revolution« (Manifest-Verlag, 164 S. br., 9,90 €).