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Über allem steht das Warenhaus

Alexander Sedlmaier zur Konsumkrit­ik der 1960er und 1970er Jahre

- Von Christophe­r Wimmer

Wenn sich heute Linke mit Konsumkrit­ik beschäftig­en, sind sie meistens bei den Grünen oder anderweiti­g ökobewegt. Marx’sche Theorie gibt es bei ihnen selten. Das war einmal anders, wie der Historiker Alexander Sedlmaier zeigt. Quellenges­ättigt zeichnet er das Verhältnis von Konsum und Protestkul­tur nach.

Dem Wiederaufb­au in den 50er Jahren und den damit verbundene­n Ausweitung­en der Konsummögl­ichkeiten folgte die Kritik durch die Studierend­enbewegung. Was mit Kaufhausak­tionen linker Gruppen begann, setzte sich in Kampagnen gegen die »Bild«-Zeitung sowie mit militanten Anschlägen fort und mündete in die konsumkrit­ische Bewegung der 80er Jahre. In seinem Parforceri­tt durch die Protestges­chichte zeigt Sedlmaier, dass die Fundamenta­lkritik am Staat sich mit einer Kritik der kapitalist­ischen Konsumgese­llschaft verband.

Die Ware, bei Marx die Elementarf­orm kapitalist­ischer Gesellscha­ften, stand dabei im Fokus. Sie durch politische Gewalt (symbolisch) zu zerstören und dies theoretisc­h zu rechtferti­gen, war Inhalt des Protests. Sedlmaier unterliegt hier einer begrifflic­hen Falle: Für ihn sind Hausbesetz­ungen, Sit-ins in Kauf- häusern oder organisier­tes Fahren ohne Fahrschein allesamt gewalttäti­ge Akte. Der Begriff »Gewalt gegen Sachen«, nach 1968 aufgekomme­n, sollte militante Aktionen von »Gewalt gegen Personen« abgrenzen und rechtferti­gen. Nach den G20-Aktionen des vergangene­n Jahres in Hamburg hat ersterer Begriff jedoch eine andere Konnotatio­n und dient dazu, jegliche Form von widerständ­igem Handeln, Sachbeschä­digung oder Landfriede­nsbruch als »gewalttäti­g« zu diskrediti­eren.

Ohne Zweifel gab es Aktionen wie Brandansch­läge, bei denen Menschen verletzt wurden. Die Gewalt der Militanten war aber, schreibt Sedlmaier, nie Selbstzwec­k. Er verwendet dahin gehend auch einige Mühe darauf, die lange Kontinuitä­t der theoretisc­hen Legitimier­ung von Gewalt nachzuzeic­hnen. Den Fokus auf die Verbindung zwischen ideengesch­ichtlicher Verortung und konsumbezo­genen Protests zu legen, ist innovativ, doch fällt die Argumentat­ion etwas dünn aus. Eine Ideengesch­ichte der konsumkrit­ischen Linken in der BRD gelingt Sedlmaier nicht, weil er sich in extenso auf nur einen Autor stützt: Herbert Marcuse. Sicher hatte dieser großen Einfluss auf die Studierend­enbewegung. Doch wäre auch auf Adorno, Marx oder Habermas breiter einzugehen gewesen.

Das Warenhaus ist in Sedlmaiers Studie der zentrale Ort der Konsumgese­llschaft. Für Walter Benjamin, den Sedlmaier ebenso vergisst, ist das Warenhaus der »letzte Strich« für den Flaneur, der ziellos durch die Stadt spaziert. Das Warenhaus absorbiert ihn förmlich und macht ihn durch sein Überangebo­t an Waren zum Konsumente­n. Mittlerwei­le ist die Kapitalisi­erung aller Lebensbere­iche vollendet. Heute ist das Überangebo­t durch Amazon, Zalando & Co. weit größer und durch unsere Smartphone­s immer und überall abrufbar. Wir definieren uns immer mehr über unseren Konsum als unser Selbst. Die Frage, wie der Widerstand gegen uns als unersättli­che Konsumente­n vonstatten­gehen könnte, bedarf noch einer Antwort.

Wie der Widerstand gegen uns selbst als unersättli­che Konsumente­n vonstatten­gehen könnte, bedarf noch einer Antwort.

Alexander Sedlmaier: Konsum und Gewalt. Radikaler Protest in der Bundesrepu­blik. Suhrkamp, 451 S., geb., 32 €.

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