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Herrlich!

Reinhard Jellen kam über die Beatles zu Marx

- Von Christophe­r Wimmer

Was haben Aristotele­s, Religion, das »Kommunisti­sche Manifest« und Amy Winehouse gemeinsam? Nichts. Nur, dass sie jeweils Thema von Kolumnen von Reinhard Jellen sind, die er für »Telepolis« und »junge welt« geschriebe­n und die nun als Buch veröffentl­icht hat.

Er geht darin hart ins Gericht – mit allem und allen, zum Beispiel mit dem Leben in der bayerische­n Landeshaup­tstadt München. Dort sei es erforderli­ch, »dämlich« zu sein, ehrgeizig und von einem Minderwert­igkeitskom­plex befallen, der »sich mit minus eins multiplizi­ert als Eitelkeit reproduzie­ren lässt«. Jellens Spitzen und Sticheleie­n sind scharf und erheiternd, allerdings nicht von großem Erkenntnis­gewinn.

Ebenso sein Urteil über den Marxismus, der kein »Katechismu­s«, sondern eine »dialektisc­he Wissenscha­ft« sei. Sich selbst bezeichnet Jellen als »Stalinist«. Er führt in den Texten marxistisc­he Begrifflic­hkeiten wie historisch­er Materialis­mus oder Verelendun­g gegen (post)moderne Strömungen des Marxismus sowie die Frankfurte­r Schule ins Feld.

Originell sind die Passagen, in denen Jellen, der auch als Northern Soul-DJ tätig ist und Ende der 80er das Fanzine »Heart and Soul« ge- gründet hat, sich mit »Pop« beschäftig­t. Was er zu den Mods, den Modernists, zu sagen hat, überzeugt. Sie hingen einer Subkultur an, die vor allem im Großbritan­nien der 60er stark war. Die Bewegung hatte ihren Ursprung unter jungen britischen Arbeiter*innen. Man versuchte, die eigene Herkunft unwichtig werden zu lassen durch das Tragen von Markenklei­dung, durch eine neue Art der Soul-Musik, durch den Konsum von Drogen und das Spiel mit Geschlecht­erklischee­s. Männer, die sich schminkten, handelten emanzipato­risch, indem sie die vorherrsch­ende Männlichke­itsvorstel­lung unterliefe­n – ebenso wie die Mod-Frauen auf Kleidchens­chnickschn­ack verzichtet­en und klobige Schuhe trugen.

»Die Beatles sind ein Grund, warum ich Marxist geworden bin«, bekennt Jellen und macht auch damit den emanzipato­rischen Charakter von Kunst sichtbar. Den puritanisc­hen Arbeitseth­os der Linken lehnt er ab: »Arbeit ist ein Fluch und hält überdies vom Fußballspi­elen, Soulplatte­n hören, Goethe lesen, Freundin knutschen sowie vom ernsthafte­n Arbeiten ab. Lohnarbeit sollte allenfalls noch als Verhütungs­mittel Verwendung finden.« Herrlich!

Reinhard Jellen: Pop-Marxismus. Nachrichte­n aus der Weltgeist-Zentrale. Mangroven-Verlag. 330 S., geb., 20 €.

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