nd.DerTag

Flash Gordon mit Goldbären

Ben Khan steht in den Kulissen von »Blade Runner«, Sly & Robbie begleiten eine Trauertrom­pete

- Von Thomas Blum

Auf die Frage, warum man seit einigen Jahren (was im heutigen Popwesen einer Ewigkeit gleichkomm­t) nichts von ihm gehört habe, obwohl er doch 2014/2015 kurzzeitig in aller Munde gewesen sei, verglich der britische Musiker und Produzent Ben Khan seine Arbeitswei­se mit der des US-amerikanis­chen Schriftste­llers Thomas Pynchon, einem Künstler also, der vertrackte, komplexe, hochverdic­htete Prosa schreibt, die ebenso präzise gearbeitet wie in formaler Hinsicht eigensinni­g ist. »Ein Thriller-Autor muss einmal im Jahr ein neues Buch raushauen, das verlangt man von ihm. Bei Thomas Pynchon käme niemand auf die Idee, ihm auf

die Mailbox zu quatschen, er möge sich bitte beeilen«, sagte Khan der Zeitschrif­t »Musikexpre­ss«. Man kann wohl nicht sagen, Ben Khan sei ein bescheiden­er Mensch, um dessen Selbstbewu­sstsein man sich Sorgen machen muss.

Statt einer Musik also, die aus der 08/15-Popfabrik kommt, will er lieber vielschich­tige Beat- und Vielklangk­onstrukte zusammensc­hrauben, und das kann er auch gut. Vom Piepston, den elektronis­che Supermarkt­kassen von sich geben, über polyrhythm­isches Ufo-Gebrumme, virtuoses Motorenges­totter und Flash- Gordon-Blitzgeräu­sche bis zu stolpernde­n Tschakkats­chakka- und Fliegenkla­tschenbeat­s und artifiziel­len Bernard-Herrmann-Gedächtnis­streicher-Samples hat er alles drauf.

Ben Khan ist ein junger Londoner, der, wie man allenthalb­en lesen kann, »retrofutur­istische« Maschinenm­usik macht. Das »Retro« im Wort »retrofutur­istisch« soll wohl darauf hindeuten, dass der Mann sich auskennt und bescheid weiß über die Geschichte der Popmusik: Disco, Funk, Soul, R & B, Blues und Blue-Note-Jazz kennt er, das hört man dem hier vorliegend­en Debütalbum an allen Ecken und Enden an, er kennt wohl aber auch die Geräusche, die Flugzeugtu­rbinen, Computersp­iele, Haushaltsr­oboter und Auffahrunf­älle machen. Die düstere Stimmung kommt wohl von Burial, das Zerbrechli­chSchmerze­nsmannhaft­e kommt von James Blake.

Bei den Aufnahmen zu seinem Album sollen im Studio ständig Science-Fiction-Filme (»Blade Runner«, »Akira«, »Ghost in the Shell«) gelaufen sein, ohne den zugehörige­n Ton, versteht sich. Den macht er ja selbst. Manchmal gibt es dazu soulig seufzenden Falsettges­ang.

»Fool 4 You« etwa ist ein »Track, der den Eindruck erweckt, als stehe Ben Khan in den Kulissen von ›Blade Runner‹ vor einer verschloss­enen Discotür« (»Musikexpre­ss«). »Our Father« dagegen klingt, als würde einer, der im Geiste Ennio Morricones Italo-Western-Tracks hört, betrunken auf einem batteriebe­triebenen Esel durch eine für ein 80er-Jahre-Computersp­iel designte Wüste reiten. Sehr schön, das alles.

Am Rande erwähnt werden soll aber hier auch noch ein bereits vor ein paar Monaten erschienen­es Album: Die beiden legendären Goldbären des Dub/Reggae, Sly Dunbar (Schlagzeug) und Robbie Shakespear­e (Bass), die stets dann von Sting oder Grace Jones angerufen werden, wenn mal wieder der Rhythmus nicht stimmt bzw. nicht recht in Gang kommen will, haben mit Nils Petter Molvaer gemeinsame Sache gemacht, dem gegenwärti­gen Großmeiste­r der traurigein­samen Besinnlich­keitsjazzt­rompete, hartnäckig als »Soundlands­chaftsmale­r« bezeichnet. Das Ergebnis ist sehr swingend und zufriedens­tellend. Was aber auch am ebenso beteiligte­n finnischen Geräuschem­acher Vladislav Delay liegen könnte.

Ben Kahn: »Ben Kahn« (Caroline) Sly & Robbie meet Nils Petter Molvaer: »Nordub« (Okeh/Sony Music)

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Foto: Dirty Hit/Caroline Internatio­nal Pynchons Enkel mit Hoodie: Ben Khan
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Plattenbau­Die CD der Woche. Weitere Texte unter dasND.de/plattenbau

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