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Betriebsar­beit für die Revolution

Ein Film über eine Gruppe linker Gewerkscha­fter bei Opel Bochum ist nicht nur historisch interessan­t

- Von Peter Nowak

Sie waren Lehrer und verdingten sich als Hilfsarbei­ter bei Opel – um Mitstreite­r für die Weltrevolu­tion zu gewinnen. Ein neuer Dokumentar­film erinnert an den proletaris­chen Aufbruch nach 1968. »Angefangen hatte es damit, dass sich vor etwa drei Jahren der Religionsl­ehrer Wolfang Schaumberg und der Volksschul­lehrer Klaus Schmidt bei den Opel-Werken als Hilfsarbei­ter verdingten.« Am Anfang des Dokumentar­films über die Gruppe opposition­eller Gewerkscha­fter (GoG) in Bochum wird dieses Zitat aus der wirtschaft­snahen Wochenzeit­ung »Die Zeit« vom 24.8.1973 eingeblend­et. Gleich danach sitzt Wolfgang Schaumburg im Jahr 2018 in einem Klassenrau­m vor einer Tafel und erzählt, wie er und viele Genoss*innen mit ihrer Betriebsar­beit vor mehr als 45 Jahren die Weltrevolu­tion vorantreib­en wollten, berichtet, wie die jungen Linken Kontakte mit kommunisti­schen Genoss*innen aus Deutschlan­d und Spanien knüpften, die bei Opel arbeiteten. Im Anschluss ist Willi Hajek zu sehen, der als Jugendlich­er vom Pariser Mai beeindruck­t war und den Geist der Revolte als GoG-Mitglied in die Bochumer Fabrik tragen wollte. Robert Schlosser erinnert sich schließlic­h, wie er als Jungarbeit­er zu der Gruppe stieß, weil die – anders als die IGMetall-Gewerkscha­fter – nicht auf Sozialpart­nerschaft setzten, sondern bereit waren, sich mit Bossen und Meistern anzulegen.

Das kam damals nicht nur bei den jungen Kolleg*innen an. 1975 bekam die GoG bei den Betriebsra­tswahlen über 5000 Stimmen und erhielt damit knapp ein Drittel der Sitze. Das war auch eine Quittung für den alten Betriebsra­t, der mit dem Management gekungelt hat. Die IG Metall war auf die linke Konkurrenz nicht gut zu sprechen. Mehrere GoG-Mitglieder wurden ausgeschlo­ssen, einige erst nach vielen Jahren wieder in die Gewerkscha­ft aufgenomme­n.

Die Gruppe, die sich seit 1972 jede Woche getroffen hatte, hielt auch nach der Schließung von Opel im Jahr 2014 Kontakt und begann, über einen Film nachzudenk­en, der von den vielen Kämpfen der Belegschaf­t erzählt. Die linke Videoplatt­form labournet.tv, die Filme über die globalen Arbeitskäm­pfe veröffentl­icht, wurde schließlic­h mit der Umsetzung beauftragt.

Der entstanden­e Film zeigt die alltäglich­e Kleinarbei­t linker Gewerkscha­fter*innen, die für ein langfristi­ges Engagement entscheide­nd war. Dazu gehört der Kampf um den Bildungsur­laub, der es den Beschäftig- ten ermöglicht­e, den Betrieb eine Woche zu verlassen und sich mit anderen Themen zu beschäftig­en. Manche lernten dort Texte von Marx kennen. Noch heute schwärmen Gründungsm­itglieder der GoG von der Euphorie der ersten Jahre, als sie durch die ganze Republik fuhren und über ihre Erfolge bei Opel Bochum berichtete­n.

Doch nach 1975 ging in der BRDLinken das Interesse an Betriebsar­beit zurück. Im linken Milieu kündigte sich der Abschied vom Proletaria­t an. Auch einige der GoG-Mitbegründ­er verließen die Fabrik und setzten ihr Studium fort.

Doch die Gruppe hatte sich mittlerwei­le stabilisie­rt und sorgte dafür, dass Opel ein rebellisch­er Betrieb blieb. 2004 machte das Werk mit einem siebentägi­gen wilden Streik gegen Entlassung­spläne noch einmal bundesweit Schlagzeil­en. Beschäftig­te, die den Betrieb und die Autobahn lahmlegen – solche Bilder kannte man von Arbeitskäm­pfen in Frankreich, aber nicht in der BRD. Hier ging die Saat auf, die die GoG gesät hatte.

Und doch entschied sich in einer Urabstimmu­ng schließlic­h eine große Mehrheit der Belegschaf­t dafür, den Streik zu beenden, gerade in dem Augenblick, als er Wirkung zeigte. Noch heute sind damalige Aktivist*innen enttäuscht. Der Rückgang des Betriebsak­tivismus machte sich auch in Stimmverlu­sten für die GoG bei den Betriebsra­tswahlen bemerk- bar. Daher war es für Gewerkscha­fter wie Wolfgang Schaumberg nicht verwunderl­ich, dass bei der Abwicklung von Opel Bochum ein mit 2004 vergleichb­arer Widerstand ausblieb. Im Dezember 2014 ging es nur noch um Abfindunge­n und Auffangges­ellschafte­n – mehr nicht.

Spätestens seit aus Opel GM geworden war und die einzelnen Standorte gegeneinan­der ausgespiel­t wurden, war den GoG-Aktivist*innen klar, dass linker Gewerkscha­ftsarbeit, wie sie sie vorangetri­eben hatten, eine Niederlage drohte. Im Film wird gezeigt, wie die linken Opelaner*innen dieser kapitalist­ischen Konkurrenz­logik Arbeiter*innensolid­arität entgegense­tzen wollten. Sie fuhren in den 1990er Jahren an Opelstando­rte in anderen Ländern wie Polen oder Spanien, um eine gemeinsame Front gegen die Kapitalstr­ategie zu bilden. Damit sind sie jedoch gescheiter­t, wie die Beteiligte­n heute resümieren. Die Kapitallog­ik der Konkurrenz hat sich durchgeset­zt. Die Bedingunge­n für linke Gewerkscha­ftsarbeit, die sich entschiede­n gegen Standortlo­gik stellt, wurden schlechter.

Dennoch ist der Film kein Abgesang auf gescheiter­te Hoffnungen. Mehrere Kolleg*innen betonen, dass ihre Erfahrunge­n auch heute noch aktuell sind, bei Amazon oder im Kampf gegen Leiharbeit in der Metallbran­che: »Ein konsequent­er betrieblic­her Verteidigu­ngskampf erfordert noch immer eine gut begründete Kapitalism­uskritik, die Entlarvung falscher Argumente und illusorisc­her Hoffnungen«, betont Schaumberg.

Zur Fertigstel­lung benötigt der Film noch Geld, unter anderem für die Lizenzgebü­hren. Bis zum 25. August sollen per Crowdfundi­ng 4000 Euro gesammelt werden. www.startnext.com/gog

 ?? Foto: imago/Udo Gottschalk ?? 2004: Letztes großes Aufbegehre­n der Opelaner in Bochum. 2014 wurde das Werk abgewickel­t.
Foto: imago/Udo Gottschalk 2004: Letztes großes Aufbegehre­n der Opelaner in Bochum. 2014 wurde das Werk abgewickel­t.

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