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Rechtshilf­e gegen Willkür

Gewerkscha­ften erstreiten jedes Jahr vor Arbeitsger­ichten hohe Summen, die Beschäftig­ten von Arbeitgebe­rn vorenthalt­en wurden

- Von Ines Wallrodt

Ob Kündigung oder Lohn – viele Konflikte am Arbeitspla­tz landen vor Gericht. Gewerkscha­ften lassen ihre Mitglieder dabei nicht allein und sorgen dafür, dass erkämpfte Rechte durchgeset­zt werden. Neue Dienststel­le, 170 Kilometer von zu Hause entfernt, Arbeitsant­ritt am nächsten Morgen. So lautete die Anweisung eines Logistikun­ternehmens aus dem brandenbur­gischen Zossen an einen seiner Lagerarbei­ter. Schon mit dem Auto ist das eine Fahrt von anderthalb Stunden – einfache Strecke. Doch der Mitarbeite­r hatte keinen Führersche­in. Allein für den Hinweg hätte er mit öffentlich­en Verkehrsmi­tteln über fünf Stunden gebraucht. Das wusste der Arbeitgebe­r, der den Mitarbeite­r auch gar nicht weiterbesc­häftigen, sondern eigentlich loswerden wollte.

Eine erste Kündigung war jedoch vom Gericht gekippt worden. Deshalb versuchte es das Unternehme­n nun mit Schikane. Der Plan: Entweder der Mitarbeite­r gibt von sich aus auf – oder er widersetzt sich der An- weisung, dann kann man ihm aus diesem Grund kündigen. Letzteres trat ein. Doch der Lagerarbei­ter suchte Unterstütz­ung bei seiner Gewerkscha­ft und klagte gegen den neuerliche­n Rausschmis­s.

Der Fall in Zossen ist einer von Tausenden, die Gewerkscha­ften jedes Jahr für ihre Mitglieder vor Gericht ausfechten. Die meisten drehen sich um Lohnstreit­igkeiten oder den Fortbestan­d des Arbeitsver­hältnisses, wie die DGB-Rechtsschu­tz GmbH angibt, eine Tochterges­ellschaft des DGB, die die Verfahren führt. Wobei der Anteil betriebsbe­dingter Kündigunge­n eher rückläufig ist, was Gewerkscha­ften auf die gute Konjunktur zurückführ­en. »Wenn gekündigt wird, dann eher aus verhaltens- oder personenbe­dingten Gründen«, erläutert Rechtsschu­tzsekretär Till Bender gegenüber »nd«.

Die Gewerkscha­ften übernehmen die Kosten, die selbst im Falle des Erfolgs anfallen, eine Besonderhe­it in Arbeitsger­ichtsverfa­hren – und gutes Argument in der Mitglieder­werbung. Die meisten Klagen werden für die beiden mitglieder­stärksten Gewerkscha­ften IG Metall und ver.di ange- strengt. Die Einzelgewe­rkschaften bereiten die Fälle in der Regel vor, die Vertretung erfolgt dann durch die DGB-Rechtsschu­tz GmbH. Gelegentli­ch komme es aber auch vor, dass gerade die größeren Gewerkscha­ften selbst Prozesse führen, wenn ihnen dies aus organisati­onspolitis­cher Sicht sinnvoll erscheint, so Bender.

Im vergangene­n Jahr nahmen die 111 DGB-Rechtsschu­tzbüros bundesweit rund 121 000 neue Verfahren im Arbeits- und Sozialrech­t auf. Das sind ca. 6700 weniger als im Vorjahr, aber insgesamt ist die Zahl der Verfahren an den Arbeitsger­ichten derzeit rückläufig. Die wirtschaft­liche Hochphase mag Einfluss darauf haben. Ob sich darüber hinaus die Arbeitgebe­r jetzt mehr an das Recht halten oder sich die Arbeitnehm­er weniger trauen, ihre Rechte einzuklage­n, lässt sich nicht sagen.

In letzter Zeit ist eine Zunahme von Streitigke­iten um Arbeitszeu­gnisse zu beobachten. »Offenbar hat sich herumgespr­ochen, dass es hier geheime Codes gibt und auch freundlich scheinende Passagen negativ sein können«, erklärt der Rechtsexpe­rte Bender. Auch gegen Abmahnunge­n wird verstärkt geklagt. Im Sozialrech­t wiederum müssen Beschäftig­te oft um die Anerkennun­g der Schwerbehi­nderteneig­enschaft kämpfen, dicht gefolgt von Auseinande­rsetzungen um Grundsiche­rung, Arbeitslos­en- und Rentenvers­icherung.

Welche Seite sich vor Gericht häufiger durchsetzt, kann man im Arbeitsrec­ht nur schwer beantworte­n, denn oft enden die Verfahren mit einem Vergleich. Die Summen, die der DGB-Rechtsschu­tz jedes Jahr für Gewerkscha­ftsmitglie­der erstreitet, sind jedoch beachtlich: 2016 waren es 6253 Millionen Euro, der Betrag von 2017 dürfte nur wenig darunter liegen, heißt es.

Schwierigk­eiten, einen Prozess zu gewinnen, bestehen etwa dann, wenn der Arbeitnehm­er die volle Beweislast trägt, wie bei Eingruppie­rungen in eine Vergütungs­gruppe, wegen derer denn auch vergleichs­weise selten geklagt wird. Oder wenn die Rechtsprec­hung hohe Hürden für die Darlegung aufstellt, etwa bei Überstunde­n. Nicht umsonst laufen Arbeitgebe­rverbände seit Jahren Sturm gegen jegliche Forderung, die Arbeitszei­ten genauer zu dokumentie­ren. So scheitern Klagen bei Nichteinha­ltung des Mindestloh­ns regelmäßig an fehlenden Nachweisen.

Im Falle des Lagerarbei­ters aus Zossen, dem sein Chef fünf Stunden Arbeitsweg zumuten wollte, war die Sachlage klar: Sowohl das Arbeitsals auch das Landesarbe­itsgericht erklärten die Kündigung nach seiner Weigerung für rechtswidr­ig. Begründung: Auch wenn der Arbeitgebe­r über eine Weisungsbe­fugnis gegenüber dem Arbeitnehm­er verfügt, so hat diese Befugnis ihre Grenzen. Die Situation des Arbeitnehm­ers muss immer mit einbezogen werden. Sonst ist es Missbrauch. Und der lag hier vor.

2016 hat der DGBRechtss­chutz 6253 Millionen Euro für Gewerkscha­ftsmitglie­der erstritten. 2017 dürfte der Betrag nur wenig darunterli­egen.

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