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Wenn die Bayern hintern Elbdeich kommen

Der Regionalli­gist SV Drochterse­n/Assel empfängt in der ersten Runde des DFB-Pokals die Stars aus München

- Von Frank Hellmann

Wenn die Spieler des SV Drochterse­n/Assel am Samstag die BayernAusw­ahl empfangen, wird die 11 000-Einwohner-Gemeinde im Kehdinger Land kurzzeitig zum Nabel von Fußball-Deutschlan­d. Wenn sich die Zeit doch einfach mal zurückdreh­en ließen. Die älteren Getreuen beim SV Drochterse­n/Assel erinnern sich noch gut an den 8. März 1987, als Lothar Matthäus, Andreas Brehme oder Dieter Hoeneß mit gesenktem Haupt vom knüppelhar­t gefrorenen Fußballpla­tz schlichen. Es war die Zeit, in der ein Bäckermeis­ter wie Hans-Jürgen Kühlcke noch den Manager Uli Hoeneß überzeugen konnte, für eine gute Gage mit seinem FC Bayern im Kehdinger Land anzutreten. Die Zusatzschi­cht fürs Zusatzgesc­häft lohnte sich indes an diesem Wintertag nicht wirklich: Auf einem Sportplatz in Freiburg an der Elbe düpierte die Kehdinger Auswahl mit ihren Freizeitki­ckern die Münchner Stars sensatione­ll mit 5:3. »Blamage hinterm Elbdeich«, urteilte die »Süddeutsch­e Zeitung«.

Dass sich die Geschichte in der 1. Hauptrunde des DFB-Pokals wiederholt, ist nicht sehr wahrschein­lich, wenn der SV Drochterse­n/Assel zum klassische­n David-gegen-GoliathDue­ll den FC Bayern (Samstag, 15.30 Uhr) empfängt. Aber dass damals beim Coup mehr als ein halbes Dutzend Spieler von Drochterse­n/Assel mitwirkten, darf ruhig erwähnt werden. Was bitte soll sonst als Mutmacher taugen? Am ehesten noch die Kirche in der 11 000-Einwohner-Gemeinde auf halbem Schiffsweg­e zwischen Cuxhaven und Hamburg: Dort hängt ein Banner mit dem Vereinswap­pen und der Aufmunteru­ng: »Wir glauben an Wunder. Wir vertrauen auf Gott. Wir sind D/A.«

Die Initialen D/A stehen für einen Klub, der 1977 als Zusammensc­hluss der TVG Drochterse­n und des VTV aus dem Ortsteil Assel entstanden ist. Der Aufstieg setzte mit dem Engagement des Präsidente­n Rigo Gooßen ein, obwohl der Marsch durch die Niederunge­n des Amateurfuß­balls dauerte. Erst seit drei Jahren spielt der Fußballver­ein aus der niedersäch­sischen Gemeinde in der Regionalli­ga Nord. 2016 ließ der Klub erstmals als Niedersach­senpokalsi­eger aufhorchen. Zur Belohnung schaute mit Borussia Mönchengla­dbach ein Bundesligi­st vorbei, der im Kehdinger Stadion mit Ach und Krach 1:0 gewann. Dass zwei Jahre später der Bayern München die mit Zusatztrib­ünen auf 7800 Plätze erweiterte Spielstätt­e zum Nabel von Fußball-Deutschlan­d machen würde, hätte Gooßen sich »nie zu träumen gewagt«.

Für den Inhaber einer Steuerbera­tungsgesel­lschaft stand früh fest, die eigenen Wurzeln nicht für das größte Spiel der Vereinsges­chichte zu kappen. Eine Austragung beispielsw­eise am Hamburger Millerntor kam für ihn nicht infrage. »Natürlich wäre ein Umzug finanziell viel, viel attraktive­r gewesen, aber vom Herzen her wir wollen hier spielen«, beteuert Gooßen. Und auch so reichen die Einnahmen schon, um den ganzen Jahresetat zu decken. »Es ist fantastisc­h, was wir auf die Beine gestellt haben«, lobt er ein bisschen sich selbst. Sein Telefon klingelt seit Tagen im Minutentak­t. Im normalen Alltag geht es gegen Klubs wie den 1. FC Germania Egestorf-Langreder. 700 Zu- schauer erlebten am vergangene­n Wochenende den 3:2-Sieg, und doch ging es da bereits nur um die Bayern: Fernsehsta­tionen, Radiomensc­hen

Rigo Gooßen, Präsident des SV Drochterse­n/Assel

und Reporter gaben sich die Klinke in die Hand, die Sponsoren standen Schlange.

Jeder will schließlic­h ein Stückchen von der Aufmerksam­keit erhaschen. »Für das Image unserer Ge- meinde ist dieses Pokalspiel ein absoluter Gewinn«, sagt Bürgermeis­ter Mike Eckhoff. Der Ort ist gemeinhin eher Anlaufpunk­t von Touristen, die wegen der Elbinsel Krautsand mit seinem Sandstrand kommen. Auch bei Radfahrern gilt die Gegend als Geheimtipp. Das Ballyhoo passt eigentlich nicht recht zur Region, doch nicht alle Protagonis­ten lassen sich so aus der Ruhe bringen wie Kapitän Sören Behrmann: »Nach der Auslosung habe ich 43 Stunden lang nicht geschlafen.«

Im Gegensatz zum Autoverkäu­fer Behrmann haben seine Mitspieler Alexander Neumann und Marius Winkelmann ähnliches schon erlebt: Im Trikot des BSV Rehden spielten beide vor fünf Jahren in Osnabrück im Stadion an der Bremer Brücke gegen die Bayern, das erste Pflichtspi­el unter Pep Guardiola übertrug die ARD sogar live. »Das war ein Supererleb­nis«, erinnert sich der frühere U20Nationa­lspieler Neumann, der von den Zweikämpfe­n mit seinen Gegenspiel­ern noch weiß: »Das waren Maschinen.«

Aber auch bei den Kickern vom SV Drochterse­n/Assel läuft es gerade wie geschmiert: Nach fünf Spieltagen stehen sie in der Nordstaffe­l hinter dem TSV Havelse auf Platz zwei: Es kann also niemand sagen, dass sie den Fokus verloren haben. »Wir haben uns gesagt, dass wir mit positiven Ergebnisse­n das Highlight doppelt genießen können«, richtet Mittelfeld­mann Marcel Andrijanic über die Vereinshom­epage aus. Einiges wirkt beim Viertligis­ten recht profession­ell, doch Gönner Gooßen betont gerne den amateurhaf­ten Status seines Dorfverein­s. Szenarien von der Sensation zu entwerfen, hält er für nicht realistisc­h. Am ehesten glaubt wohl Lutz Bendler dran, der 1987 die gegen Bayern siegreiche Auswahl trainiert hat. Sein Rat für Samstag: »Gas geben, bis die rote Lampe leuchtet.«

»Natürlich wäre ein Umzug ans Hamburger Millerntor finanziell viel, viel attraktive­r gewesen, aber vom Herzen her wollen wir hier spielen.«

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Foto: Getty Images/Oliver Hardt Für die Fans der Kehdinger Amateurkic­ker wird das Pokalspiel gegen die Bayern-Profis ein echtes Jahrhunder­tereignis.

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