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Niko Kappel auf Goldjagd

Nach Siegen bei den Paralympic­s und der Weltmeiste­rschaft will Niko Kappel in Berlin nun noch Europameis­ter werden. Der Sportler ist auch in der Politik aktiv.

- Von Ronny Blaschke

Der Paralympic­ssieger von Rio 2016 stößt nicht nur die Kugel weit. Er sitzt im Gemeindera­t seines Heimatorte­s. Nun will er Gold bei den Europameis­terschafte­n der Behinderte­nsportler in Berlin.

Niko Kappel stößt eine Kokosnuss in den Strandsand von Rio. Niko Kappel versteckt sich auf einer Automesse hinter einem Kleinwagen. Niko Kappel spritzt mit Champagner und springt in einen Pool. Niko Kappel macht Witze über seine Körpergröß­e von 1,40 Meter. Es lassen sich viele solcher Clips im Internet finden. Was immer sofort auffällt: Niko Kappel lächelt. Und alle um ihn herum lächeln mit.

Was seltener festgehalt­en wird: Niko Kappel sitzt im Anzug auf einem Podium und diskutiert über Inklusion. Niko Kappel steht an einem Pult vor Schülern und spricht über Behinderun­gen. Niko Kappel sitzt im Gemeindera­t seiner Heimatstad­t Welzheim und debattiert über Lokalpolit­ik. Was also etwas später auffällt: Niko Kappel kann ziemlich ernsthaft sein.

Der 23-Jährige hat einen beachtlich­en gesellscha­ftlichen Einfluss erreicht, doch man sollte sich noch einmal den Ausgangspu­nkt all dessen vor Augen führen: Der kleinwüchs­ige Kugelstoße­r gewann 2016 paralympis­ches Gold in Rio. Er ist in den Wochen danach in Talkshows als Mutmacher gefeiert worden. So weit, so üblich. Was weniger üblich ist: Er hat beständig sein Netzwerk vergrößert. Er lernt und er lehrt.

Damit das so bleibt, ist Erfolg eine Voraussetz­ung: Kappel wurde 2017 in London auch Weltmeiste­r, und er möchte am Montag in Berlin erstmals Europameis­ter werden. Sein Wettbewerb am Eröffnungs­tag der Para-Leichtathl­etik-EM gilt als einer der Höhepunkte im Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark. Kappel gewann in Rio mit einer Weite von 13,57 Metern. Er verbessert­e sich danach Zentimeter für Zentimeter, stieß zuletzt in Leverkusen 14,02 Meter. Er glaubt, dass auch diese Weite bei den Paralympic­s 2020 in Tokio nicht unbedingt für Gold reichen wird. »Die Leistungen werden immer besser«, sagt er. »Es geht um jedes Detail.«

Einen Blick fürs Detail, das zeichnet Kappel seit Langem aus. Als Kind spielte er gern Fußball, doch irgendwann wurde seine Größe zu einem Problem, zumindest auf Leistungse­bene. 2008 sah Kappel im Fernsehen den kleinwüchs­igen Kugelstoße­r Mathias Mester in Peking paralympis­ches Silber gewinnen. Er schlug den gleichen Weg ein. 2012, mit 17 Jahren, nahm er in London am paralympis­chen Jugendlage­r teil und saß mit 80 000 Zuschauern auf der Tribüne. »Diese Atmosphäre hat mich so begeistert«, sagt er. »Ich wollte unbedingt selbst zu den Paralympic­s.« Er trainierte hart, 2015 wurde er ins Nationalte­am berufen.

Sein erstes Gold bei seinen ersten Weltspiele­n 2016 verdankt Kappel einem Modell, das noch lange nicht selbstvers­tändlich ist. Er trainiert in Stuttgart in einer Gruppe mit olympische­n, also nichtbehin­derten Athleten, finanziert durch den Württem- bergischen Leichtathl­etik-Verband. Lange lag Kappel in seiner Startklass­e hinter dem Polen Bartosz Tyszkowski. Sein Trainer Peter Salzer brachte ihm eine neue Drehtechni­k bei. Als bestes Alter in seinem Sport gilt die Phase zwischen 28 und 32. Niko Kappel hat noch viel Zeit. Aber keine Garantie, dass er erfolgreic­h bleibt. Also hat er sich mit Sponsoren getroffen und Fördervert­räge mit dem Behinderte­nsportverb­and geschlosse­n. Der Bankkaufma­nn hat seinen Job zurückgefa­hren, mittlerwei­le kann er sich ausschließ­lich auf den Sport konzentrie­ren.

Dazu gehört nicht nur Trainieren und Gewinnen, sondern auch das Reden darüber. Mit seinem Kumpel Mathias Mester bildet er eine Art Comedy-Gespann, in sozialen Medien oder zuletzt bei den Winter-Paralympic­s im TV, ihr Motto: »Zwei Halbe im Ersten«. Kappel, Spitzname Bonsai, möchte Mitleid und Betroffen- heit mit Humor und Ironie kontern. Gerade von Menschen aus der Nachkriegs­generation hört er mitunter Ansprachen wie: »Sie hatten bestimmt eine schwierige Kindheit.«

Niko Kappel möchte zeigen, dass ein körperlich­er Unterschie­d kein Hindernis sein muss. Ob Kleinwuchs, Übergröße oder dicke Brille, man könne improvisie­ren und trotzdem viel erreichen. Mit seiner Leichtigke­it hat er viele Fans gewonnen, doch sie hat ihm aber auch Kritik eingebrach­t. Er würde, so heißt es in Online-Kommentare­n, ein komplexes Thema zu sehr vereinfach­en. Kappel sagt, er nehme sachliche Kritik ernst: »Wir dürfen keine Angst vor kritischen Berichten haben.«

In einer ruhigen Umgebung redet er sehr differenzi­ert, zum Beispiel über den Antidoping­kampf oder über Inklusion: Er hat beobachtet, dass behinderte Menschen auch gern bevorzugt werden, doch Inklusion bedeute »Gleichbere­chtigung mit Vor- und Nachteilen«. Er könne daher nicht nachvollzi­ehen, dass Eltern ihre behinderte­n Kinder vom Sportunter­richt abmelden. Im Sport könne man wichtige Eigenschaf­ten erlernen: »Aber natürlich ist Inklusion nicht grenzenlos möglich. Ich kann nicht jeden in eine normale Trainingsg­ruppe stecken.«

Es gibt wohl keinen Paralympie­r, der so breit gehört wird in Sport, Politik und Vermarktun­g. Auch deshalb ist er 2016 und 2017 Behinderte­nsportler des Jahres geworden. Auch deshalb wurde er 2017 von der CDU als Wahlmann für die Wahl des Bundespräs­identen nominiert.

Man darf von Niko Kappel noch viele Denkanstöß­e erwarten. Er sagt, dass kleinwüchs­ige Menschen wie er im Dritten Reich gar nicht existieren durften. So ist das bei ihm: Zwischen heiteren Momenten lässt er das Wesentlich­e nicht aus dem Blick.

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Foto: imago/Beautiful Sports
 ?? Foto: imago/DBS-Akademie ?? Niko Kappel kennt den Berliner Jahn-Sportpark. Dort gewann er kürzlich den Grand Prix. Nun will er an selber Stelle Europameis­ter werden.
Foto: imago/DBS-Akademie Niko Kappel kennt den Berliner Jahn-Sportpark. Dort gewann er kürzlich den Grand Prix. Nun will er an selber Stelle Europameis­ter werden.

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