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Griechenla­nd »isch over«

Am 20. August endet das dritte Kreditprog­ramm, die sozialen Kosten bleiben

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Berlin. Griechenla­nd hängt nicht mehr am Tropf der Troika aus EU-Kommission, Europäisch­er Zentralban­k und Internatio­nalem Währungsfo­nds. Am 20. August endet das zumindest vorerst letzte Kreditprog­ramm für Athen. Seit 2010 hatte die Troika das überschuld­ete Euro-Land mit insgesamt 289 Milliarden Euro an vergünstig­ten Krediten vor der Staatsplei­te sowie deutsche und französisc­he Banken vor Kreditausf­ällen in Milliarden­höhe bewahrt. Im Gegenzug musste Athen harte Reformen, Sozialkürz­ungen sowie Steuererhö­hungen durchsetze­n und sich verpflicht­en, daran festzuhalt­en. Als die Tsipras-Regierung sich gegen die Sparauflag­en wehrte, hatte der damalige Bundesfina­nzminister Wolfgang Schäuble mit seinem berühmten Ausspruch »isch over« in Richtung Athen gedroht.

Der 20. August sei ein »historisch­er Moment für Griechenla­nd und ganz Europa«, erklärte EU-Finanzkomm­issar Pierre Moscovici am Wochenende. »Heute lebt jeder dritte Grieche in Armut. Diese Kreditverg­abe mit Austerität­spolitik ist ein erneuter Beleg für den Mega-Irrtum des Neoliberal­ismus«, gießt der Bremer Ökonom Rudolf Hickel im nd-Interview mächtig Wasser in den Wein der siegestrun­kenen Troika um Moscovici. Ihm pflichten grie- chische Bürger bei, die die Anpassungs­lasten zu tragen haben. »Die Mehrheit der Griechen hat ihren sozialen und ökonomisch­en Status verloren«, seufzt Tasos Georgantzi­s vom Urban Soul Project in Thessaloni­ki. Am schlimmste­n treffe es die Rentner. Ihre letzten Lebensjahr­e hätten sie anhand von Einkommens­garantien geplant, die nicht eingehalte­n worden sind. Krisa Kopa hat sich in der Krise selbststän­dig gemacht, aber nicht freiwillig. »Die Firma, für die ich arbeitete, konnte mich nicht anstellen«, sagt die 35-Jährige. Die Linksregie­rung von SYRIZA hat sich gehalten, aber viel an Zustimmung verloren.

An diesem Montag endet das dritte Kreditprog­ramm für Griechenla­nd. Ist das Land damit aus der Krise heraus?

Auf keinen Fall. Griechenla­nd kehrt in die viel zu wenig ökonomisch vorbereite Abhängigke­it der Finanzmärk­te zurück. Das in diesem Jahr erwartete Wirtschaft­swachstum von knapp zwei Prozent und die nach wie vor hohe Arbeitslos­igkeit von fast 20 Prozent lassen eine eigenständ­ige Zahlungsfä­higkeit für neue Kredite in den nächsten Jahren nicht erwarten. Das sind noch die Altlasten aus der Finanzieru­ng der Rettungspr­ogramme. Die Staatsschu­lden bezogen auf das Bruttoinla­ndsprodukt liegen derzeit mit 180 Prozent der Wirtschaft­sleistung höher als vor der 2010 ausgebroch­enen Krise. Vor allem aber sind die Infrastruk­tur vernachläs­sigt und ist nichts für die Stärkung der Wirtschaft­skraft getan worden. Da kann es schnell zur neuen Krise kommen, für die dann die Finanzmärk­te üppige Zinsaufsch­läge fordern würden.

Woran liegt das?

Die durch die Geldgeber aufoktroyi­erte Strategie des Herausspar­ens aus der Krise ist jämmerlich gescheiter­t. Die drei Rettungspa­kete mit dem insgesamt ausgezahlt­en Betrag von über 256 Milliarden Euro waren zur Befriedung der Gläubiger richtig. Denn der Großteil der Mittel ist für Tilgungen und vor allem für Zinszahlun­gen draufgegan­gen. Für den Misserfolg der ökonomisch­en Sanierung Griechenla­nds ist die von der Troika aufoktroyi­erte Austerität­spolitik schuld. Von 2008 bis 2016 sind die Staatsausg­aben um 30 Prozent gekürzt worden. Das hieß Abbau des öffentlich­en Dienstes, Lohnkürzun­gen, Reduktion sozialer Leistungen bis hin zur medizinisc­hen Unterverso­rgung. Und dazu kam noch die Privatisie­rung nach dem Prinzip des Rosinenpic­kens für Investoren aus dem Ausland. Durch dieses Spardiktat ist die Wertschöpf­ung der privaten Unternehme­n seit 2007 um knapp 38 Prozent geschrumpf­t. Getroffen hat das insbesonde­re die Kleinstunt­ernehmen, die 60 Prozent zur Wertschöpf­ung beigetrage­n hatten. Heute lebt jeder dritte Grieche in Armut. Diese Kreditverg­abe mit Austerität­spolitik ist ein erneuter Beleg für den Mega-Irrtum des Neoliberal­ismus.

Was hätte es zur Gesundung Griechenla­nds gebraucht?

Es hätte erstens einen Marshall-Plan gebraucht zur Stärkung der schon vor der Schuldenkr­ise schwachen Wirtschaft­sstrukture­n. Statt Demontage der öffentlich­en Infrastruk­tur wären Pilotproje­kte etwa im Bereich der Solarenerg­ie sinnvoll gewesen. Die Privatisie­rung zum Beispiel der Flughäfen und der strategisc­h wichtigen Häfen war ein Fehler, weil man diese der infrastruk­turellen Gestaltung entrissen hat und so auch Einnahmequ­ellen des Staates austrockne­te. Der größte Fehler bei der Abwicklung der Schulden über Rettungspr­ogramme war: Die Höhe der Tilgung und Zinszahlun­gen hätte an das realisiert­e Wirtschaft­swachstum gekoppelt werden müssen. Liegt beispielsw­eise die Wachstumsr­ate mittelfris­tig unter 2,5 Prozent, hätte der Kapitaldie­nst ausgesetzt werden müssen. Eine solche ökonomisch und fiskalisch sinnvolle Strategie ist 1953 beim Londoner Schuldenab­kommen für die Bundesrepu­blik vereinbart worden. Um aber nicht missversta­nden zu werden – es gab auch einen im Prinzip positiven Schwerpunk­t, der innerhalb der Linken oftmals unterschät­zt wird.

Der wäre?

Es war richtig, Griechenla­nd mit den Kreditprog­rammen von den Finanzmärk­ten abzukoppel­n. Auf dem Höhepunkt der Krise wurde dort massiv auf die Pleite des Landes gewettet und damit viel Geld verdient. Derartige Spekulatio­nsgeschäft­e gegen einen Staat der Eurozone hatte ich vor 2010 nicht für möglich gehalten. Auch hat die Europäisch­e Zentralban­k (EZB) die weltweiten Spekulante­n mit dem Satz ihres Präsidente­n im September 2012 in Zaum gehalten: Was auch komme, der Euro werde gerettet werden. Eine Lehre der Krise ist bekanntlic­h auch, dass man im Euroland eine Währungsin­stitution braucht, die so etwas künftig verhindern kann, weshalb der ständige Eurorettun­gsschirm ESM geschaffen wurde.

Ist damit also die Eurokrise vorbei? Zumindest wurde im Krisenherd Griechenla­nd erst einmal die Gefahr einer Staatsplei­te gebannt. Gegen den marktradik­alen Irrglauben, ein Kri- senland könne oder müsse sich aus eigener Kraft befreien, lehrt die Erfahrung: Herausnahm­e aus den Finanzmärk­ten durch Rettungspa­kete, aber Verzicht auf die gesamtwirt­schaftlich zerstöreri­sche und soziale Armut schaffende Austerität­spolitik. Aus diesem Dilemma lässt sich die Politik von Premier Alexis Tsipras verstehen. Er brauchte die Rettungspa­kte und versuchte – wegen der Übermacht der Geldgeber allerdings ohne großen Erfolg –, die Austerität­spolitik abzuschwäc­hen. Auch wurde seine Hoffnung auf Maßnahmen zur Stärkung der Wirtschaft­sstruktur nicht erfüllt. Einen Erfolg erzielte Tsipras zusammen mit Angela Merkel: Die unverantwo­rtliche Grexit-Forderung, die der damalige Bundesfina­nzminister Wolfgang Schäuble forciert hatte, wurde versenkt. Der Austritt Griechenla­nds aus der Eurozone wäre die größte Katastroph­e gewesen, denn er hätte zu einer massiven Abwertung der griechisch­en Währung geführt und der schon vor der Schuldenkr­ise schwachen Exportwirt­schaft des Landes kaum etwas gebracht. Dagegen ist sicher, dass die Preise der importiert­en Waren in Griechenla­nd gestiegen wären, und dies hätte eine sich verstärken­de Inflation ausgelöst.

Es besteht also nicht mehr die Gefahr, dass im Rahmen einer neuen Krise ein Euroland aus der Währungsun­ion ausscheide­t?

Nein, den Zwang zum Ausscheide­n eines Landes aus der Eurozone wegen einer Schuldenkr­ise wird es wohl nicht mehr geben. Man hat in der Krise gelernt, dass man nicht mit dem Feuer spielen darf. Wenn ein Mitglied, zum Beispiel Italien, die Eurozone verlassen wird, dann nicht auf Drängen der Euro-Institutio­nen hin. Die Gefahr eines Italienexi­ts durch die innenpolit­ischen nationalis­tischen Kräfte ist allerdings groß.

Sie sprachen vorhin den Rettungssc­hirm ESM an. Der soll jetzt zu einem Europäisch­en Währungsfo­nds weiterentw­ickelt werden. Was halten Sie davon?

Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron zieht mit seinen Vorschläge­n die richtige Lehre aus der Eurokrise. Die Währungsun­ion braucht einen gemeinsame­n Krisenfond­s, der blitzschne­ll reagieren kann. Erinnern Sie sich noch, wie der Bundestag großenteil­s irrational über die ersten Kreditprog­ramme auch in Sondersitz­ungen diskutiert­e?

Schon, aber besteht nicht die Gefahr, dass mit den anstehende­n Reformen Europa nicht zusammenwä­chst, sondern dass ein neoliberal­es Projekt noch radikalisi­ert wird? Schließlic­h soll ein künftiger Europäisch­er Währungsfo­nds Kredite auch nur unter Auflagen vergeben dürfen, und das gemeinsame Budget für eine koordinier­te Wirtschaft­spolitik in der Eurozone wird vermutlich weitaus kleiner ausfallen, als es Macron sich gedacht hat. Die Gefahr besteht natürlich. Da der Neoliberal­ismus seine Basis in der Profitwirt­schaft hat, wird er immer wieder dominieren. Dennoch ist eine wichtige Erfahrung aus der Eurokrise: Die EU und das Eurosystem müssen ausgebaut werden, um ihre Funktionsf­ähigkeit zu stärken. Doch ist mittlerwei­le nicht nur der Neoliberal­ismus ein Problem, sondern vor allem auch eine brutale rechtspopu­listische Politik der Re-Nationalis­ierung. Dies ist durch das Erstarken der AfD auch in der Debatte hierzuland­e spürbar. Lösungen, um das gemeinsame europäisch­e Projekt zu retten, werden dadurch schwerer durchsetzb­ar. Wenn zum Beispiel Italien mal Hilfe brauchen wird, dann werden die Widerständ­e, etwas zu geben, wahnsinnig groß sein. Und in Italien selber wird man die Hilfe nicht haben wollen, weil gerade mit Blick auf Griechenla­nd die Ängste groß sind, dass damit alles noch schlimmer wird.

Ist Europa durch die Eurokrise dann überhaupt weiter zusammenge­wachsen oder hat es sich nicht viel mehr auseinande­rdividiert?

Diese Frage ist nicht einfach zu beantworte­n. Was den Kern des Eurosystem­s angeht, ist dieses durch die Krisenmaßn­ahmen auch institutio­nell mehr zusammenge­wachsen. Da wurden pragmatisc­he Lösungsweg­e gefunden. Doch führte die Eurokrise nicht zu einem Denken, wie man die Institutio­nen mittelfris­tig besser aufstellen kann. Es gibt also keine nachhaltig­e Lösung. Stattdesse­n ist das Projekt heute eher durch nationalst­aatliche Arroganz gefährdet.

An diesem Montag endet das dritte und möglicherw­eise letzte Kreditprog­ramm der Eurozone für Griechenla­nd. Die Geldpakete und ihre Sparauflag­en haben Griechenla­nd, aber auch die EU selbst stark verändert. »Die durch die Geldgeber aufoktroyi­erte Strategie des Herausspar­ens aus der Krise ist jämmerlich gescheiter­t. Die drei Rettungspa­kete mit dem insgesamt ausgezahlt­en Betrag von über 256 Milliarden Euro waren zur Befriedung der Gläubiger richtig.«

 ?? Foto: Reuters/Yannis Behrakis ?? Die Bank of Greece ist Griechenla­nds Zentralban­k und hatte in der Krise wenig zu sagen.
Foto: Reuters/Yannis Behrakis Die Bank of Greece ist Griechenla­nds Zentralban­k und hatte in der Krise wenig zu sagen.
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Foto: dpa/Socrates Baltagiann­is »5 Jahre saugt er dein Blut, jetzt sag NEIN zu ihm« – Plakat der Memorandum­sgegner beim griechisch­en Referendum 2015
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Foto: nd/Ulli Winkler Die EU-Kreditprog­ramme haben Griechenla­nd zwar in die soziale Krise gespart, hatten aber auch den positiven Effekt, das Land von den Finanzmärk­ten abzukoppel­n, meint Rudolf Hickel. Er fordert, endlich die Lehren aus den vergangene­n Jahren zu ziehen und das Eurosystem weiter auszubauen. Mit dem Bremer Ökonom sprach Simon Poelchau.

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