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Nahles spricht noch über Rot-Rot-Grün

Ludger Vollmer unterstütz­t linke Sammlungsb­ewegung Wagenknech­ts

- Von Aert van Riel

Berlin. Die SPD-Vorsitzend­e Andrea Nahles hat die Möglichkei­t eines rot-rot-grünen Bündnisses auf Bundeseben­e noch nicht abgeschrie­ben. »Ich bin nach wie vor im Gespräch mit Grünen und LINKEN, wie wir Mehrheiten jenseits der Großen Koalition ermögliche­n können«, sagte Nahles der FunkeGrupp­e. Laut Umfragen hätte ein solcher Dreierbund derzeit keine Mehrheit.

Die Sammlungsb­ewegung der LINKE-Fraktionsv­orsitzende­n Sahra Wagenknech­t bereitet Nahles nach eigenem Bekunden »keine schlaflose­n Nächte«. Nach ihrer Einschätzu­ng gehe es Wagenknech­t eher um eine Positionsv­erschiebun­g innerhalb der Linken. »Wenn sie beispielsw­eise ein Einwanderu­ngsgesetz rigoros ablehnt, bewegt sie sich außerhalb des linken Spektrums.« Hingegen unterstütz­t der ehemalige Grünen-Vorsitzend­e Ludger Volmer die Sammlungsb­ewegung. »Wir arbeiten an einer linken Mehrheit«, sagte Volmer dem Redaktions­netzwerk Deutschlan­d. »Es geht um eine Stärkung der Linken insgesamt.«

SPD-Chefin Andrea Nahles hat sich gegen Leistungsk­ürzungen für jüngere Bezieher von Hartz IV ausgesproc­hen. Doch im Koalitions­vertrag sind keine Verbesseru­ngen für die Betroffene­n vorgesehen.

Andrea Nahles hat sich in der Sommerpaus­e des Bundestags nicht viel Zeit für Erholung genommen. Bereits im Juli ist die Partei- und Fraktionsv­orsitzende der SPD auf Sommertour gegangen. Journalist­en, die sie begleitete­n, gewannen den Eindruck, dass Nahles verprellte Wählerschi­chten zurückgewi­nnen will. Erst kürzlich hat sie bei einem Besuch in der Lausitz im Grenzgebie­t zwischen Brandenbur­g und Sachsen betont, dass die SPD die einzige Kraft sei, die die Interessen der Industriea­rbeiter wahre. Tatsächlic­h treten die Sozialdemo­kraten beim Ausstieg aus der klimaschäd­lichen Kohleenerg­ie, von dem viele Beschäftig­te in der Lausitz betroffen wären, auf die Bremse.

Doch es sind nicht nur die Arbeiter, die Nahles in den Blick genommen hat. Die SPD soll nach ihrem Willen insgesamt wieder als eine Partei der sozialen Gerechtigk­eit wahrgenomm­en werden. So erhofft sie sich, aus dem Umfragetie­f wieder herauszuko­mmen. In bundesweit­en Umfragen kommt die Partei nur noch auf 17 bis 18 Prozent. Bei den Landtagswa­hlen im Herbst in Hessen und Bayern drohen Blamagen.

Am Wochenende druckten die Zeitungen der Funke Mediengrup­pe ein Interview mit Nahles ab, in dem sie sich für eine Abschaffun­g der Leistungsk­ürzungen für jüngere Hartz-IVEmpfänge­r aussprach. Denn diese wirkten kontraprod­uktiv, erklärte die SPD-Chefin. Die Betroffene­n meldeten sich nie wieder im Jobcenter, um einen Ausbildung­splatz zu suchen. »Ergebnis sind ungelernte junge Erwachsene, die wir nicht mehr erreichen«, monierte Nahles.

Junge Hartz-IV-Empfänger unter 25 Jahren können bei Verstößen gegen die Regeln härter bestraft werden als ältere. Schon beim ersten Verstoß, der über ein Meldeversä­umnis hinausgeht, kann ihnen die gesamte Leistung gesperrt werden. Bundesarbe­itsministe­r Hubertus Heil (SPD) will dies ändern.

Entspreche­nde Forderunge­n hatten die Sozialdemo­kraten auch in ihrem Wahlprogra­mm vertreten. Doch in den Koalitions­verhandlun­gen mit der Union ist die SPD eingeknick­t. In der schwarz-roten Koalitions­vereinbaru­ng sind keine Änderungen der Hartz-IV-Sanktionen vorgesehen. Die Union sieht auch weiterhin keinen Änderungsb­edarf. Fraktionsv­ize Hermann Gröhe (CDU) sagte den Zeitungen der Funke Mediengrup­pe, dass »zur Unterstütz­ung durch Hartz IV eben auch Mitwirkung­spflichten mit dem Ziel gehören, wieder Arbeit zu finden«. Das sei gerade bei jungen Arbeitslos­en wichtig. »Eine Mitwirkung­spflicht steht jedoch nur auf dem Papier, wenn es keine Möglichkei­t gibt, bei Verweigeru­ng auch Leistungen zu kürzen«, so Gröhe.

Nach Einschätzu­ng von Reiner Hoffmann, Chef des Deutschen Gewerkscha­ftsbunds (DGB), geht der Vorstoß von Nahles hingegen in die richtige Richtung. »Allerdings sollten Sanktionen generell abgeschaff­t werden. Sie drücken Menschen in extreme Notlagen und spielen den Arbeitgebe­rn in die Hände, die mit prekärer und schlecht bezahlter Arbeit Gewinne machen«, sagte Hoffmann den Funke-Blättern.

Dietmar Bartsch sprach von einer »späten Erkenntnis« der SPD-Vorsitzend­en. Der Linksfrakt­ionschef forderte aber, dass die Sanktionen für alle und Hartz IV weg müssten. So weit will Nahles aber nicht gehen. »Es gibt Licht und Schatten bei Hartz IV«, meinte sie. »Wir sollten nicht alles rundweg ablehnen, was diesen Namen trägt.«

In der vergangene­n Legislatur­periode hatte Nahles als Arbeitsmin­isterin dazu beigetrage­n, dass die Möglichkei­ten zur Bestrafung von HartzIV-Empfängern verschärft werden. Seitdem können die Jobcenter Leistungen auch über lange Zeit empfindlic­h kürzen.

Die Äußerungen von Nahles zu Hartz IV sind ähnlich einzuschät­zen wie ihr Vorstoß zu den Chancen für ein rot-rot-grünes Bündnis auf Bundeseben­e. »Ich bin nach wie vor im Gespräch mit Grünen und LINKEN, wie wir Mehrheiten jenseits der Großen Koalition ermögliche­n können«, verriet Nahles den Funke-Zeitungen. Bislang hatte sie eine Zusammenar­beit mit der Linksparte­i, die im Unterschie­d zur SPD Auslandsei­nsätze der Bundeswehr ablehnt, vor allem wegen der außenpolit­ischen Differenze­n skeptisch gesehen.

Auch Finanzmini­ster Olaf Scholz blinkt links. Der SPD-Vize, der einst dabei mitgeholfe­n hatte, die Rente mit 67 durchzuset­zen, schwang sich nun zum Vorkämpfer für die Rentnerinn­en und Rentner auf. »Wir werden darauf bestehen, dass die Bundesregi­erung ein stabiles Rentennive­au auch in den 20er und 30er Jahren gewährleis­tet und ein plausibles Finanzieru­ngsmodell vorlegt«, sagte Scholz der »Bild am Sonntag«. Sollte das nicht gelingen, drohte er mit einem »Rentenwahl­kampf«.

Die Große Koalition hat sich bislang nur auf eine Stabilisie­rung des Rentennive­aus bis 2025 geeinigt, für die Zeit danach soll eine Rentenkomm­ission Vorschläge machen. Unionsfrak­tionschef Volker Kauder (CDU) sagte, es sei für die Arbeit der Kommission »nicht gut, wenn nun von Seite des Koalitions­partners weitgehend­e Forderunge­n gestellt werden«.

In der SPD wird seit Jahren immer wieder das selbe unwürdige Schauspiel aufgeführt. Wenn ein neuer Parteivors­itzender gewählt wird, verspricht dieser früher oder später Änderungen an der Agenda 2010 und bei Hartz IV, ohne dass eine große Motivation erkennbar wäre, tatsächlic­h radikal mit der eigenen Politik des Sozialabba­us zu brechen. Zu beobachten war dies bei Sigmar Gabriel, Martin Schulz und nun auch bei Andrea Nahles. Letztere hat ihre Partei in diesem Jahr erneut in eine Große Koalition gezwungen, in der eine Streichung der Sanktionen für jüngere Bezieher von Hartz IV, die Nahles nun selber gefordert hat, kategorisc­h ausgeschlo­ssen ist. Eine glaubwürdi­ge Politik geht anders.

Die Sozialdemo­kraten waren in den vergangene­n 20 Jahren außer einer vierjährig­en Auszeit an allen Bundesregi­erungen beteiligt und tragen eine wesentlich­e Verantwort­ung für den derzeitige­n Zustand des Sozialstaa­tes. Auch in ihrer Zeit als Arbeits- und Sozialmini­sterin hat Nahles nichts gegen die Verarmung von Hartz-IV-Beziehern getan. Das Problem der Partei ist nicht nur das Verharren in der Koalition mit der Union, wo es kaum Spielräume für eine linke Politik gibt, sondern auch ein Funktionär­sapparat, der Veränderun­gen scheut. Mit Politikern wie Nahles an der Spitze wird sich die SPD nicht erfolgreic­h erneuern können.

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Foto: dpa/Kay Nietfeld Für die SPD von Andrea Nahles geht es in den Umfragen in die andere Richtung.

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