nd.DerTag

Späte Einsicht

- Uwe Kalbe über Putins Arbeitsbes­uch in Meseberg

Das Treffen zwischen Angela Merkel und Wladimir Putin verlief unspektaku­lär, beinahe unauffälli­g. Das ist ein gutes Zeichen. Weil die Mutter der Diplomatie entgegen einer weitverbre­iteten Annahme nicht der rote Teppich ist, sondern das Gespräch. Eisiges Schweigen bestimmte die offizielle­n Beziehunge­n beider Länder seit 2014. Die Ungeheuerl­ichkeit, den der – völkerrech­tlich durchaus in verschiede­ner Weise deutbare – territoria­le Griff Russlands nach der Krim in den Augen des Westens darstellte, diktiert offenbar nicht länger allein das Urteil in Berlin.

Die in konzertier­ter Aktion vorangetri­ebene Umgestaltu­ng der internatio­nalen Beziehunge­n nach dem Bild der vermeintli­chen Sieger der Geschichte von 1990 ist ins Stocken geraten. Nachdem der Westen meinte, die Ausdehnung der NATO gen Osten müsse von Moskau klaglos geschluckt werden, stellt der Arbeitsbes­uch Putins die Bestätigun­g eines neuen Status quo dar. Auch wenn kein Laut über die Lippen eines Regierungs­politikers in Berlin kommen wird, dass man sich mit der »Annexion« der Krim abfinden werde, zeugt das Gespräch von der Einsicht in eine neue Situation. Damit ist der Besuch in Berlin ein Erfolg Putins.

Doch nicht nur Putin ließ Gewissheit­en bröckeln. Noch beunruhige­nder für Berlin ist die unklare eigene Perspektiv­e nach dem Kurswechse­l in Washington. Prioritäte­n werden neu gesetzt, die EU soll ertüchtigt werden, und es ist nicht sicher, ob dabei etwas Gutes herauskomm­t. Um Russland jedenfalls kommt man in Europa so oder so nicht herum.

Newspapers in German

Newspapers from Germany