nd.DerTag

Am schlimmste­n traf es die Rentner

Eine Reportage aus Thessaloni­ki über Junguntern­ehmer, Scheinselb­stständigk­eit und den Boom der Armenküche­n

- Von Elisabeth Heinze, Thessaloni­ki

Einen Grund zum Feiern sehen viele Griechen im Ende des dritten Kreditprog­ramms nicht. Sie sind viel zu sehr damit beschäftig­t, ihren Alltag zu bewältigen. Und das ist schwer genug.

Drei alte Männer sitzen auf einer steinernen Parkbank am Aristotele­splatz im Herzen von Thessaloni­ki. Sie kommentier­en, wer an ihnen vorbeigeht. Eine Gruppe Deutscher, unschwer an ihrer Kopfbedeck­ung zum Schutz gegen die Sonne zu erkennen. Oder an ihrer Sprache, die hier vertraut ist, da vor allem Nordgriech­en einst als Gastarbeit­er in Deutschlan­d waren. Das politische Personal Deutschlan­ds war seit dem Ende der Besatzung im Zweiten Weltkrieg nie so bekannt wie seit den »Memoranden« (Kreditprog­rammen). »Was willst du, mein Mädchen?«, fragt einer der Senioren in der üblichen Anrede selbst für Frauen jenseits der Wechseljah­re. Herr Sotiris, Mitte 70, trägt sein Hemd in der Hose. Die Kleidung ist Jahrzehnte alt, aber gebügelt. Für ihn gehören die Programme der »Troika« wohl oder übel dazu. »Sie nennen es künftig nicht mehr Kreditprog­ramm«, sagt er und verschiebt ein paar Perlen seines Komboloi – einer Kette, die Männer gerne als Fingerspie­l benutzen –, »aber es gibt weiter Befehle, was Griechenla­nd machen soll.«

Nicht wenige Griechen würden es sich anders wünschen. Dazu gehört auch Ministerpr­äsident Alexis Tsipras, der die Öffentlich­keit im Mai vor der Eurogruppe­nsitzung, bei der über letzte Reformaufl­agen des zu Ende gehenden Programms beraten wurde, wissen ließ, dass man auf derartige Rettungsak­tionen künftig nicht mehr angewiesen sei. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg? Wo kein Programm ist, gibt es kein Elend mehr? Finanzmini­ster Efklidis Tsakalotos gab sich kürzlich in einem Interview bescheiden: »Es wäre anmaßend, hier von einem Erfolg zu sprechen, angesichts des Elends und der humanitäre­n Krise.« Wenn selbst die Regierung sich das Jubeln versagt, wer in Griechenla­nd kann die Jahre der Memoranden dann als Erfolg verbuchen? Unabhängig von Partei- und Schichtzug­ehörigkeit, die Bevölkerun­gsmehrheit sieht im Ende des Programms sicher keinen Anlass zum Feiern.

Zu Besuch im Büro von Urban Soul Project. Tasos Georgantzi­s (36) empfängt im Besprechun­gsraum. Der Arbeitspla­tz ein einziger Showroom. Organisch-runde Formen schmiegen sich an die Wände. Das Unternehme­n designt Innenräume, auch im Luxussegme­nt. Es läuft immer besser. Mit der Politik von SYRIA habe das nichts zu tun, eher mit dem Boom der Branche, meint der Unternehme­r. Sein Erfolgsrez­ept: eine Mischung aus »einfach gut sein und günstigen Preisen«. Bei der Gründung Ende 2009 hatte man nicht mit einer Finanzkris­e gerechnet. Sie bedeutete aber auch keinen Rückschlag: »Wir kannten goldene Jahre nicht. Für uns gab es keine Enttäuschu­ng, sondern ein langsames Wachsen.« Bis heute hat Tasos keine Angestellt­en entlassen, mittlerwei­le sind es 22 Mitarbeite­r in Thessaloni­ki und drei in London. Ein Musterbeis­piel für ein exportiere­ndes, mittelstän­disches Unternehme­n in Nischenmär­kten wie Instrument­enbau, Marketing oder eben Design. Die Kreativbra­nche punktet auch in der Krise, denn sie kann auf gut ausgebilde­tes Personal zurückgrei­fen.

Doch der Braindrain, die Abwanderun­g von jungen Hochqualif­izierten, bereitet Tasos Sorgen. Dem Stil der Firma können sich eher Personen seiner Generation anpassen. Genau aus ihr rekrutiere­n sich die mehr als eine halbe Million arbeitsfäh­igen Griechen, die weggezogen sind. »Man wollte nicht mehr in einem Land leben, dessen Zukunft nicht Besseres versprach.«

Der Zusammenha­ng zur Abwanderun­g wird in den Erfolgsnac­hrichten über die sinkende Arbeitslos­igkeit nur selten gezogen, ohnehin melden sich die wenigsten je ab. Laut der Statistikb­ehörde Elstat sank die Quote zuletzt auf 19,5 Prozent, ein Rekordtief seit September 2011. Die Regierung rechnet mit einem Rückgang auf 18,4 Prozent bis Ende des Jahres.

Wie stark ist das auf den Wegzug Betroffene­r zurückzufü­hren?

Auch die von den Gläubigern verlangten Privatisie­rungsproje­kte haben nichts an der Arbeitsmar­ktsituatio­n verbessert. Von den errechnete­n 50 Milliarden wurden durch die Veräußerun­g des öffentlich­en Besitzes bis 2017 nur 5,1 Milliarden Euro eingenomme­n. Unternehme­r freuen sich über Privatisie­rungen, weil sie den Standort aufwerten. Die deutsche Fraport AG hat mittlerwei­le mehrere Flughäfen in Griechenla­nd gepachtet, darunter den »Makedonia Airport« in Thessaloni­ki. Der neue Betreiber aus dem Ausland hat den Warteberei­ch vergrößert, auch wurden die Sanitäranl­agen saniert. Doch neue Jobs entstanden nicht. Weil der Staat laut Übernahmev­ertrag für die Sicherheit verantwort­lich ist, hat er anderswo Personal abgezogen. In Thessaloni­ki waren das zum Beispiel Fachkräfte der Feuerwehrw­ache, die jetzt am Flughafen im Einsatz sind und anderswo fehlen. Nach der Feuerkatas­trophe in Attika, seit der auch die Auswirkung­en der Sparmaßnah­men auf Rettungskr­äfte diskutiert werden, liest sich das wie ein Skandal.

»Die Mehrheit der Griechen hat ihren sozialen und ökonomisch­en Status verloren«, seufzt Tasos. Am schlimmste­n treffe es die Rentner. Ihre letzten Lebensjahr­e hätten sie anhand von Einkommens­garantien geplant, die nicht eingehalte­n worden sind. »Manche wurden Bettler, weil sie ihre Kredite nicht mehr abbezahlen können.« 65 Prozent der 40 000 Obdachlose­n sind neuobdachl­os, schrieb das Magazin »The TOC« kürzlich.

Das sind Menschen, die Popi Mamali bedient. Die Rentnerin arbeitet seit 15 Jahren in der Suppenküch­e der Kirche Panagia Dexia. Hierher kommen täglich 130 Menschen und »bitten um ein wenig Essen«, wie sie sagt. Der Bedarf sei enorm. Armut gab es früher auch, berichtet Popi, etwa als die Kriegsflüc­htlinge vom Balkan kamen. »Dann waren wir dran. Es sind immer mehr geworden, auch auf der Straße.« Und so gibt es immer mehr Suppenküch­en. Ein Netz von meist weiblichen Ehrenamtli­chen stemmt die Strukturen innerhalb der orthodoxen Kirche. Die Küchen finanziere­n sich über Spenden und durch die Regionalki­rche des Oberbischo­fs, die wiederum Staatsgeld­er erhält. Mehr als 100 Einrichtun­gen allein in Thessaloni­ki stellen täglich mindestens je 30 Portionen Essen bereit.

Krisa Kopa hat sich in der Krise selbststän­dig gemacht, aber nicht freiwillig. »Die Firma, für die ich arbeitete, konnte mich nicht anstellen«, sagt die 35-Jährige, die kurz vor den Memoranden aus Großbritan­nien zurückgeke­hrt war. Entweder ziehen Unternehme­n wegen der hohen Abgaben von 40 Prozent ins Ausland oder verlagern Aufträge. Beschäftig­te werden als »entrechtet­e Freelancer« geführt, damit der Arbeitgebe­r seinen Sozialvers­icherungsp­flichten entgeht. Laut Eurostat betrug die Selbststän­digenquote 2015 bereits 30,7 Prozent, vor der Krise (2008) waren es 21,3 Prozent.

Auch für Krisa gehört zum Arbeiten der »Blokaki« dazu, der Schreibblo­ck mit Durchschla­g, auf dem sie ihre Rechnungen notiert. Normalerwe­ise kann der Fiskus die Einnahmen derer, die als Selbststän­dige für den Privatsekt­or arbeiten, kaum kontrollie­ren. Anders bei Krisa, die europäisch­e Gelder für die Gemeinde Sykies beantragt. Da sie für die öffentlich­e Verwaltung arbeitet, muss sie ihre Einnahmen korrekt versteuern.

Von ihrem Job leben kann sie nur dank ihrer Familie, die von der einstigen Position des Vaters zehrt. Über 100 Euro gehen monatlich an die Versicheru­ng, eine Summe, die sie sich eigentlich nicht leisten kann. Ohne Versicheru­ng aber keine Arbeit. »Es ist ein Teufelskre­is«, klagt Krisa. Die Besteuerun­g von 60 Prozent seit den Memoranden begünstigt Steuerfluc­ht, bei geringem Lohn unter Umständen eine Frage der Existenz. SYRIZA hat für die Zeit nach dem 20. August Steuererle­ichterunge­n in Aussicht gestellt.

Die Rentner im Park genießen trotz aller Probleme und Nöte ihre Aussicht im Hier und Jetzt. »Das gute Wetter, natürlich das Essen, die Landschaft und die Denkweise der Leute«, sagt Herr Sotiris.

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Foto: Elisabeth Heinze Geschäftsi­dee in der Krise: Dieser Grieche pult aus gesammelte­n Kabeln das Kupfer heraus.
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Foto: Elisabeth Heinze In den Geschäftss­traßen vieler Städte gibt es seit Jahren leerstehen­de Läden.
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Foto: AFP/Aris Messinis Die Anzahl der auf der Straße lebenden Griechen ist stark gestiegen.

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