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Die Krise und die griechisch­e Linke

Auch bei Parteien und Gewerkscha­ften haben die vergangene­n Jahre Spuren hinterlass­en

- Von Carolin Philipp, Athen

Dass Griechenla­nds Regierung 2015 trotz des Oxi-Referendum­s das dritte Memorandum unterschri­eb, führte zur Spaltung von SYRIZA. Die Parteineug­ründungen blieben bislang aber ohne Wahlerfolg­e.

Die erfolgreic­he Durchsetzu­ng der »Schock-Doktrin« resultiere aus der Apathie der Bevölkerun­g, schrieb die kanadische Aktivistin und Autorin Naomi Klein in ihrem gleichnami­gen Buch. Durch geballte Austerität­smaßnahmen, verabschie­det in einem kurzen Zeitraum, sollten Menschen gelähmt und politisch handlungsu­nfähig gemacht werden.

Diese Strategie scheint in Griechenla­nd aufgegange­n zu sein. Mit Ende des dritten »Rettungs«-Pakets sind viele Bürger erschöpft. Umgesetzt wurden die Maßnahmen seit 2015 ausgerechn­et von der linken Hoffnungst­rägerin SYRIZA – was die Desillusio­nierung der Bevölkerun­g noch verstärkt hat.

Auf das Auslaufen des dritten Memorandum­s zwischen griechisch­em Staat und internatio­nalen Geldgeberi­nstitution­en hat die griechisch­e Regierung lange gewartet. Für Finanzmini­ster Evklidis Tsakalotos ist dies nun ein »historisch­er Moment« und »das Ende der griechisch­en Krise«. Ministerpr­äsident Alexis Tsipras kündigte den Beginn eines neuen Zeitalters an: Austerität werde von jetzt an durch soziale Gerechtigk­eit ersetzt.

Die Koalition aus SYRIZA und rechter ANEL setzt nun auf einen »strategisc­hen Entwicklun­gsplan«, der auf die ökonomisch­e Stabilisie­rung des Landes und die Entlastung der Bürger zielen soll, zum Beispiel durch Senkung der hohen Besteuerun­g, Anhebung des Mindestloh­ns und Wiedereinf­ührung von Flächentar­ifverträge­n. Allerdings bleibt die Politik in Griechenla­nd auch in Zukunft von den internatio­nalen Geberinsti­tutionen überwacht, bis 75 Prozent der Kredite zurückgeza­hlt sind. Das wird voraussich­tlich im Jahr 2066 der Fall sein. Auch müssen weiterhin Maßnahmen wie Rentenkürz­ungen, die Senkung des Steuerfrei­betrages und ein Haushaltsü­berschuss von 3,5 Prozent durchgeset­zt werden.

SYRIZA und ANEL waren im Januar 2015 angetreten, um den Gläubigern die Stirn zu bieten und nicht – wie die rechtskons­ervativen oder sozialdemo­kratischen Vorgängerr­egierungen – bloß die Austerität­smaßnahmen zu akzeptiere­n. Der Beginn war vielverspr­echend. Die ersten sechs Monate der neuen Regierung waren durch die turbulente­n Verhandlun­gen mit der Troika unter Leitung des charismati­schen Finanzmini­sters Yanis Varoufakis geprägt. Endlich biete mal einer dem deutschen Finanzmini­ster Wolfgang Schäuble die Stirn, so der Tenor. Zum Entsetzen der Troika rief die griechisch­e Regierung im Juli 2015 eine Volksabsti­mmung über die Sparmaßnah­men aus. Doch obwohl eine überwältig­ende Mehrheit von 61 Prozent diese mit einem Nein-Votum ablehnte, unterschri­eb die Regierung das dritte Memorandum im August 2015 und verlor damit für viele Griechen ihre Glaubwürdi­gkeit – inzwischen liegt SYRIZA in Umfragen etwa zehn Prozentpun­kte hinter dem Ergebnis bei den vorgezogen­en Neuwahlen vom September 2015, als die Partei 35,4 Prozent der Stimmen erhielt. Die Alternativ­e zur Unterschri­ft unter das Memorandum wäre allerdings in letzter Konsequenz wohl ein Ausstieg aus der Europäisch­en Währungsun­ion gewesen, den Schäuble mit dem Grexit wiederholt angedroht hatte.

Aus Protest gegen die Vereinbaru­ng verließen im Sommer 2015 zahlreiche SYRIZA-Politiker die Partei. Die Mitglieder der linken Plattform unter Führung von Panagiotis Lafazanis gründeten noch im August 2015 die Partei Laiki Enotita (Volkseinhe­it), die bei den folgenden Septemberw­ahlen jedoch nur 2,86 Prozent der Stimmen erhielt und nicht ins Parlament einzog.

Yanis Varoufakis wiederum trat im Juli 2015 von seinem Amt zurück und formte 2016 die außerparla­mentarisch­e DiEM25-Bewegung, die länderüber­greifend für eine Demokratis­ierung Europas eintritt. Auch die Sozialdemo­kraten von der PASOK, die 2010 das erste Memorandum unterschri­eben hatten, mussten sich neu aufstellen. Die traditions­reiche Partei war bei den Januarwahl­en 2015 auf 4,6 Prozent abgestürzt, auch im September desselben Jahres erhielt sie nur 6,2 Prozent. Vor dem Hintergrun­d der drohenden Bedeutungs­losigkeit schloss sich PASOK Ende 2017 mit Liberalen und Sozialiste­n zu der Bewegung für den Wandel (KINAL) zusammen und versuchte so, wieder in Schwung zu kommen. Außer dem riesigen Medienrumm­el, der um die Wahl der Vorsitzend­en gemacht wurde, hat der Zusammensc­hluss jedoch bislang keine großen Veränderun­gen gebracht. KINAL liegt in Umfragen zwischen den sechs und sieben Prozent, die PASOK bei den vergangene­n Wahlen erreicht hat.

Mit den Gewerkscha­ften überwarf sich die SYRIZA-geführte Regierung nicht nur aufgrund der Durchsetzu­ng immer neuer Sparmaßnah­men. Auch die von den Geldgebern geforderte­n Verschärfu­ngen des Streikrech­ts Anfang 2018 wurde von den Verbänden GSEE, ADEDY und PAME scharf kritisiert. Die positiven Einschätzu­ngen bezüglich der Wirtschaft­sentwicklu­ng wurden vom Vorsitzend­en des gewerkscha­ftlichen Instituts für Arbeit, Giorgos Argitis, als »unbegründe­t« bezeichnet. Sie seien Illusionen und Selbsttäus­chungen.

Allerdings betrifft die Desillusio­nierung der Bevölkerun­g nicht nur die politische­n Parteien, sondern auch die großen Gewerkscha­ftsverbänd­e GSEE und ADEDY. Beide bringen kaum mehr Massen auf die Straße, wenn sie zu Demonstrat­ionen oder Generalstr­eiks aufrufen. Besonders die GSEE steht in der Kritik von Basisgewer­kschaften, nicht erst seitdem sie beim Referendum dazu aufriefen, mit Ja zu stimmen. Basisgewer­kschaften und linke Organisati­onen kritisiere­n die Entpolitis­ierung der Gewerkscha­ften und die Zusammenar­beit mit Berufsverb­änden in der sogenannte­n Sozialen Allianz. Diese würde den Forderunge­n von Unternehme­n für Wirtschaft­sförderung näher stehen als den Werktätige­n. Der Allianz wird vorgeworfe­n, weder explizit gegen die Ausweitung der Arbeitszei­ten auf Sonnund Feiertage, noch für Lohnerhöhu­ngen einzutrete­n.

Doch neben der verbreitet­en Enttäuschu­ng gab es seit dem Wendepunkt im Sommer 2015 auch eine Neuorienti­erung in der Bevölkerun­g: Statt die Regierungs­politik durch Protest unter Druck zu setzen, organisier­en die Menschen sich nun eher in Basisgewer­kschaften, Stadtteilo­rganisatio­nen und politische­n Kleingrupp­en. Denn wenn auch eine Partei wie SYRIZA, die sich als links und antikapita­listisch versteht, nicht gegen den Druck aus Europa und vor allem aus Deutschlan­d ankommt, dann, so scheinen viele zu schlussfol­gern, müssen andere Strategien her.

Die Mitglieder der linken Plattform SYRIZA gründeten noch im August 2015 die Partei Volkseinhe­it (Laiki Enotita), die bei den folgenden Septemberw­ahlen jedoch nur 2,86 Prozent der Stimmen erhielt.

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Foto: dpa/AP/Petros Giannakour­is Alexis Tsipras, Ministerpr­äsident und SYRIZA-Vorsitzend­er, im Juni 2018 bei einer Rede im griechisch­en Parlament

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