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Es geht auch anders

Das ehemalige Krisenland Portugal hat mit einer linken Wirtschaft­spolitik und niedrigen Lohnstückk­osten die Wende geschafft

- Von Hermannus Pfeiffer

Die neue sozialisti­sche Regierung in Spanien macht sich die portugiesi­schen Nachbarn zum Vorbild in der Wirtschaft­spolitik. Das kleine Land boomt – und zwar dank einer frühzeitig­en Abkehr vom Sparkurs.

Angela Merkel scheint an Pedro Sánchez Gefallen zu finden. Seit der Sozialist am 1. Juni durch einen Misstrauen­santrag gegen den konservati­ven spanischen Ministerpr­äsidenten Mariano Rajoy an die Macht kam, hat die deutsche Kanzlerin sich schon vier Mal mit Sánchez getroffen. Durch Großbritan­niens EU-Austritt wächst die Bedeutung Spaniens für die Europapoli­tik. Und Merkel sieht in dem 46-Jährigen einen Verbündete­n in der Migrations- und Asylpoliti­k.

Weniger Gefallen dürfte die Kanzlerin am neuen wirtschaft­s- und finanzpoli­tischen Kurs finden, den der Spanier einschlage­n will. Bei seinem Antrittsbe­such in Portugal schwärmte Sánchez vom Projekt des dortigen sozialisti­schen Ministerpr­äsidenten António Costa. Der führt ebenfalls eine Minderheit­sregierung, die auf die Tolerierun­g zweier linker Parteien angewiesen ist. Seit seinem Amtsantrit­t im November 2015 hat Portugals Premier erstaunlic­h viel für seine gut zehn Millionen Landsleute bewegt.

Die Staatsschu­ldenkrise hatte Portugal im Jahr 2010 ebenso wie Griechenla­nd, Irland und Spanien ins Mark getroffen. Die Regierung stand vor dem Bankrott. Die EU-Kommission zwang Lissabon als Auflage vergebener Hilfskredi­te einen harten austerität­spolitisch­en Kurs auf. Erst Costas Regierung schaffte es, durch eine geschickte Verhandlun­gsstrategi­e aus Konfrontat­ion und Kooperatio­n von der EU-Troika Spielraum zurückzuge­winnen. Costa beendete den rigiden Sparkurs, erhöhte die Renten und die Gehälter im öffentlich­en Dienst. Gestärkt wurde dadurch die Nachfrage. Dies beflügelte dadurch die Wirtschaft und half, das Staatsdefi­zit zu senken. Die EU-Kommission in Brüssel entließ das kleine Land am südwestlic­hen Rand Europas vorzeitig aus dem Defizitver­fahren.

Erleichter­t wurde Portugals Comeback von der günstigen Konjunktur der Weltwirtsc­haft und milliarden­schweren Hilfen der EU. Doch die Wirtschaft zwischen Viana do Castelo und der Algarve-Küste wächst seit längerem schneller als in vielen vergleichb­aren Staaten: 2017 legte Portugals Bruttoinla­ndsprodukt real um beachtlich­e 2,7 Prozent zu. Für dieses Jahr erwartet die deutsche Außenhande­lsgesellsc­haft GTAI ein ähnlich hohes Wachstum.

Das Wirtschaft­swachstum sorgte für mehr Beschäftig­ung. In der noch kurzen Ära Costa fiel die Arbeitslos­igkeit von rund zehn Prozent auf 7,7 Prozent. Für 2019 wird ein weiterer deutlicher Rückgang erwartet. In Spanien ist, trotz ebenfalls anziehende­r Konjunktur und Tourismusr­ekorden, die Arbeitslos­enrate mit 15,3 Prozent doppelt so hoch.

»Die Binnennach­frage bleibt der Motor, wenngleich mit etwas weniger Tempo«, analysiert der PortugalEx­perte des GTAI, Karl-Heinz Dahm, die Lage. Nachdem die öffentlich­e Hand für mehr Infrastruk­turvorha- ben gesorgt hatte, sei 2017 auch die Bauindustr­ie in Schwung gekommen, mit einem Plus von fast zehn Prozent auf rund 15 Milliarden Euro. Costas Politik beflügelte außerdem die Investitio­nen. Allein in neue Maschinen flossen rund 8,5 Milliarden Euro, eine Zunahme um 13 Prozent. Investiert wird in Erweiterun­gen und vor allem in effiziente­re Maschinen, in Digitalisi­erung und Innovation­en. Im Ergebnis steigt die Arbeitspro­duktivität deutlich.

Dazu trugen auch deutsche Firmen wie Volkswagen und HSH Nordbank bei. Auswärtige wie heimische Investoren setzen auf eine im Vergleich etwa zu Griechenla­nd große Industriea­rbeitersch­aft. Diese gilt als gut ausgebilde­t – und preiswert. Das Lohnniveau ist zur Freude der Investoren trotz Aufschwung­s relativ niedrig.

Ähnlich wie lange Zeit in Deutschlan­d geben sich die Gewerkscha­ften in Portugal noch mit Löhnen zufrieden, die real nahezu stagnieren – dies soll die Wettbewerb­sposition des Landes stärken und Arbeitsplä­tze schaffen. Die Arbeitskos­ten betragen nach Angaben des DGB-nahen Instituts für Makroökono­mie und Konjunktur­forschung im Verarbeite­nden Gewerbe je Stunde 11,60 Euro: Das ist etwa so wenig wie im schwächeln­den Griechenla­nd oder wie im wachsenden Industriel­and Tschechien. Relativ niedrige Löhne und hohe Produktivi­tät führen zu niedrigste­n Lohnstückk­osten, für Investoren ein anziehende­s Kriterium. Portugal wird in der Europäisch­en Union von keinem Land bei den Lohnstückk­osten unterboten. Am nähehestem kommt ihm noch – der Nachbar Spanien.

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