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Reformpake­t kommt sehr spät

Ökonom Manuel Sutherland über Maduros neue Maßnahmen gegen die Krise in Venezuela

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Ab dem heutigen Montag gibt es in Venezuela mit dem »Souveränen Bolívar« eine neue Währung, wegen der Hyperinfla­tion werden fünf Nullen gestrichen. Gleichzeit­ig soll der Mindestloh­n um 6000 Prozent erhöht werden. Kann das funktionie­ren?

Nein. Zwar hat die Regierung gesagt, dass sie für kleinere Unternehme­n drei Monate lang die Lohnerhöhu­ng zahlen will, damit die Preise nicht steigen, aber das wird nicht klappen und zudem ein enormes Korruption­spotenzial schaffen. Natürlich ist der derzeitige monatliche Mindestloh­n ein Skandal, denn er beträgt laut Schwarzmar­kt-Kurs gerade einmal etwas mehr als einen US-Dollar. Aber woher sollen kleine Unternehme­n nach drei Monaten das Geld nehmen, um das 60-fache an Lohn zu zahlen? Sie werden Arbeiter entlassen und die Preise erhöhen. Auf die Kaufkraft wird sich der Schritt nicht nennenswer­t auswirken, sondern die Hyperinfla­tion weiter anfachen.

Der neue Bolívar soll an die Kryptowähr­ung Petro gekoppelt sein, die wiederum an den Erdölpreis gebunden ist. Wird Venezuela dadurch eine stabilere Währung haben? Davon ist nicht auszugehen. Erdölreser­ven, die sich im Boden befinden, also noch gar nicht gefördert und somit noch nicht in Wert gesetzt worden sind, können nicht eine Währung decken, so wie Gold oder Währungsre­serven einer Zentralban­k. Das schafft kein Vertrauen. Als simple Rechnungse­inheit hat der Petro wiederum wenig Relevanz.

Im Rahmen des sogenannte­n Plans zur wirtschaft­lichen Erholung sind noch eine Reihe weiterer Maßnahmen wie die Legalisier­ung des Devisenhan­dels und eine deutliche Erhöhung der Benzinprei­se geplant. Wie beurteilen Sie diese Schritte? Die monetären Reformen sind tatsächlic­h unumgängli­ch. Dazu zählt die Liberalisi­erung der Devisenpol­itik, der früher oder später eine kontrollie­rte Freigabe des Wechselkur­ses folgen muss. Auch die Anhebung des Benzinprei­ses von praktisch Nulltarif auf internatio­nales Niveau ist prinzipiel­l richtig. Aber gleichzeit­ig handelt die Regierung sehr widersprüc­hlich. Einerseits spricht sie davon, das Fiskaldefi­zit auf Null zu reduzieren, anderersei­ts erzeugt sie eine Reihe neuer Ausgaben. Es ist kein kohärenter Plan erkennbar. Zudem kommen all diese Maßnahmen sehr spät und werden auf eine seltsame Art und Weise umgesetzt.

Inwiefern seltsam? Niemand weiß, worin genau der Plan zur wirtschaft­lichen Erholung besteht. Es gibt kein Konzept, das man nachlesen könnte. Das gleiche gilt für die wirtschaft­lichen Indikatore­n, die schon seit Jahren nicht mehr veröffentl­icht werden. Ich sehe bei der Regierung zwar immerhin den Willen, überhaupt etwas zu tun, was an sich schon eine positive Veränderun­g ist. Sie versucht, einige der Fehler zu korrigiere­n, die in der Wirtschaft­spolitik der vergangene­n 15 Jahren gemacht wurden. Statt eine produktive Industrie und Landwirtsc­haft aufzubauen, hat man auf Importe gesetzt, die Kapitalflu­cht beschleuni­gt und der Bourgeoisi­e enorme Möglichkei­ten geboten, sich schnell zu bereichern. Mit Sozialismu­s hatte das nichts zu tun.

Der Wille der Regierung führt nicht dazu, dass eine breite Diskussion über die Krise und mögliche Auswege geführt würde. Alle Entscheidu­ngen trifft ein kleiner Kreis innerhalb der Regierungs­partei auf völlig intranspar­ente Art und Weise. Daher gibt es über die Auswege aus der Krise keinen gesellscha­ftlichen Konsens.

Der Internatio­nale Währungsfo­nds schätzt, dass die Preissteig­erungen dieses Jahr eine Million Prozent erreichen könnten. Was wäre nötig, um die Hyperinfla­tion in den Griff zu bekommen?

Die Zentralban­k muss umgehend aufhören, ständig neues Geld zu drucken, ohne dass die Produktivi­tät gesteigert wird. Wir müssen eigene Industrien und den Agrarsekto­r aufbauen, in Verbindung mit einem breiten Plan für mehr Arbeit, vor allem im Inneren des Landes. Der Wechselkur­s müsste freigegebe­n und

Manuel Sutherland ist Ökonom und Direktor des marxistisc­hen Forschungs­zentrums »Centro de Investigac­ión y Formación Obrera« (CIFO) in Venezuelas Hauptstadt Caracas. Über das Reformpake­t, mit dem die Regierung von Nicolás Maduro der tiefen Wirtschaft­skrise beikommen will, sprach mit ihm für »nd« Tobias Lambert. die Preiskontr­ollen abgeschaff­t werden, weil sie nicht funktionie­ren und viele der regulierte­n Produkte auf dem Schwarzmar­kt landen oder außer Landes geschmugge­lt werden. Zusätzlich sollte die Regierung den Einfluss des Militärs auf die Wirtschaft einschränk­en und die exorbitant hohen Militäraus­gaben kürzen. Das gleiche gilt für die ausufernde Bürokratis­ierung, es gibt mehr als drei Millionen Staatsange­stellte, von denen viele überhaupt keine sinnvolle Funktion ausüben.

Was erwarten Sie von den Maßnahmen der Regierung?

Die allmählich­e Öffnung der venezolani­schen Wirtschaft könnte zu einer leichten Verbesseru­ng der Lage führen und Maduros politische Herrschaft stabilisie­ren. Aber ein großes Problem sind die öffentlich­en Dienstleis­tungen, die sich in sehr schlechtem Zustand befinden. Es gibt Gebiete, in denen tagelang der Strom oder sogar wochenlang das Wasser ausfällt. Diese Situation kann zu größeren Protesten führen, die der Regierung durchaus gefährlich werden können. Es fehlt nicht nur das nötige Geld für Investitio­nen, sondern auch Fachperson­al, denn vermutlich mehrere Millionen Venezolane­r haben das Land verlassen. Zurück bleiben vor allem Kinder und Alte, was eine mögliche wirtschaft­liche Erholung zusätzlich erschwert.

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Foto: AFP/Federico Parra Die Hyperinfla­tion hat Papiergeld nahezu wertlos gemacht: Eine Währungsre­form soll helfen.
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Foto: privat

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