Ein Wochenende lang Rad-Utopie
Fahrradserie, Teil 8 und Abschluss: In Wriezen lädt die Fahrradbande zum Camp ein
Ein Wochenende Ende August, eine freie Fläche in Brandenburg: Radaktivist*innen kommen zusammen, um das Fahrrad zu feiern und die Politik wieder auf die Straße zu bringen.
Im Garten eines Berliner Wohnblocks sitzen vier Frauen und zwei Männer bei selbst gemachtem Kuchen und diskutieren über Kompostklos, Ruhezeiten und Waldbrandgefahr – auf dem Gebäck steht mit Mandeln ausbuchstabiert: »Freilauf«. Es ist eines der letzten Organisationstreffen für das »FRE!LAUF – DIY Bike Camp«. Wie alle Treffen für das Radfestival aus der Fahrradszene für die Fahrradszene ist es öffentlich, das heißt: Jeder kann mitmischen.
Den Radaktivist*innen ist die Aufregung anzumerken: In wenigen Tagen soll es in Wriezen (MärkischOderland), dem Tor zum Oderbruch, losgehen. Dort, 60 Kilometer von Berlin entfernt, treffen sich vom 24. bis zum 26. August Radbegeisterte, Fahrradfreaks, Radinitiativen und alle, die sich für die Mobilitätswende engagieren. Selbstverständlich, dass es zum Festival auch eine sogenannte Mitradgelegenheit geben wird: Zusammen radeln die Teilnehmer*innen am Wochenende dann raus nach Brandenburg.
Aufgezogen wird das Radcamp von zehn Menschen unter dem Motto »Cycling Unites«. Dementsprechend gemischt ist auch das Team: Dazu gehören Verkehrsplaner*innen, Menschen aus der Radpolitik, Schrauber*innen oder Radkurier*innen. »Es wird spannend zu sehen, was passiert, wenn alle aufeinandertreffen«, sagt Lea Conzelmann. Die 29-Jährige gehört zur Organisationstruppe und schraubt seit acht Jahren ehrenamtlich bei »Unirad«, der Fahrrad-Selbsthilfewerkstatt der TU. Conzelmann selbst war auch an der Berliner Universität eingeschrieben und hat dort während ihres Studiums des technischen Umweltschutzes ihre eigenen Fahrräder repariert und später auch andere beim Schrauben in der Werkstatt unterstützt.
Ihre Leidenschaft für das Fahrradfahren entstand schon früher: Mit 16 Jahren führte Lea Conzelmann ihre erste Radtour vom Schwarzwald aus nach Frankreich: »Mit Freunden, auf schlechten Rädern und mit undichten Zelten«, erzählt sie. Mittlerweile besitzt die Radaktivistin zwei Mountainbikes, ein Crossrad und ein Klapprad.
Obwohl sie seit ihrer Schulzeit auf zwei Rädern unterwegs ist, hat sie vor allem das Fahrradfahren in Berlin politisiert. »Die Autos hier nehmen einfach den Platz weg«, sagt Conzelmann. Deswegen fährt sie auch regelmäßig bei der »Critical Mass« mit und hat dafür sogar ein eigenes Soundsystem für den Gepäckträger zusammengebaut.
Bei »Unirad« hat sie lange dafür gekämpft, dass dort auch mehr Frauen schrauben. Inzwischen liege der Anteil von Frauen bei rund 30 Prozent. »Gar nicht mal so schlecht für eine Radwerkstatt«, so Conzelmann. Zwischenzeitlich hat sie auch mit Reparatur-Workshops nebenbei Geld verdient und Techniksupport für den Verein »Bikeygees« geleistet, der geflüchtete Frauen und Mädchen im Fahrradfahren unterrichtet. Schrauben – das ist ihre Leidenschaft.
»Das ›Freilauf‹ ist vor allem, was wir zusammen daraus machen«, sagt Florian Keiper von der »Fahrradbande«. Die Bande ist der Mobilitäts-Arbeitskreis des Umweltverbandes BUNDjugend Berlin. Vor vier Jahren entstand im Rahmen eines Workshops zunächst die Kampagne »mitRADgelegenheit«. Ihr Ziel ist es, Radfahrer*innen zusammenzubringen, um gemäß der Straßenverordnung als Verband gemeinsam auf der Straße zu fahren und so die Sichtbarkeit und damit auch die Sicherheit der Einzelnen zu erhöhen. »Die Idee war: Wir holen die ›Critical Mass‹ in den Alltag – auf dem Schulweg, zur Uni oder zum Job«, sagt Keiper. Aus dem Projekt entstand später die »Fahrradbande«, der neben Keiper noch vier weiteren Radler*innen angehören.
Der 38-Jährige aus der Pfalz war lange Zeit nur Alltagsfahrer. Als er 2013 in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis überwechseln sollte, beschloss er stattdessen, eine Radtour von Berlin nach Athen zu fahren. »Dort habe ich dann Feuer gefangen«, erzählt Keiper. Mit dem Reiserad begann seine Leidenschaft.
Als er zurück in Berlin war, stand für ihn fest: Die nächste Strecke heißt Radaktivismus. Im Oktober 2017 fuhr er dann mit weiteren Aktivist*innen in einer Mitradgelegenheit zur Weltklimakonferenz nach Bonn. Auf dem Weg dorthin trafen sie weitere Fahrradgruppen und Radinitiativen in anderen Städten, einige fuhren sogar eine Strecke lang mit. »Die Initiativen auf dem Weg nach Bonn waren so herzlich«, erzählt Keiper. »Es waren zwar sehr unterschiedliche Gruppen, aber sie haben sehr gut miteinander funktioniert.« Das lag vor allem an der gemeinsamen Leidenschaft, meint er: dem Fahrrad.
»Was mich am Rad fasziniert, ist, dass es Unabhängigkeit schafft. Ich kann überall hin fahren – allein, flexibel. Ich kann so weit fahren, wie ich will, bin nicht auf Geld für Benzin angewiesen, und wenn was kaputt geht, kann ich es selbst reparieren«, sagt Keiper. Wenn er drei Tage mal nicht fährt, fehlt ihm schnell etwas. Auch er besitzt vier Fahrräder: einen Citycruiser, sein Reiserad, ein altes Rennrad und ein Gästerad. Mittlerweile fährt er das ganze Jahr über – auch bei Glatteis.
Auf der Radtour nach Bonn im letzten Jahr entstand auch die Idee für ein Bike Camp mit Workshops, Musik und einer Radwerkstatt. »Die Ideen sprudelten nur so«, erinnert er sich. Später wurde das Radfestival auf dem Vernetzungstreffen der Berliner Radinitiativen vorgestellt und fand breite Resonanz. Denn an dem Wochenende in Wriezen soll das Rad rundum gefeiert werden: Der ADFC wird Workshops zum Lastenrad anbieten, der Verein »einleuchtend« will zeigen, wie man ein Handyladegerät lötet, und das Netzwerk Fahrradfreundliches Neukölln bietet Bauanleitungen für eigene Feinstaubsensoren. In einem Workshop für den Umgang mit sogenannten Automachos, gegen die Frauen des Volksentscheids Fahrrad bereits eine Petition gestartet hatten, geht es vor allem darum, auf Beleidigungen und aggressive Konfrontationen mit Autofahrern aufmerksam zu machen. Die Selbsthilfewerkstatt »BikeKitchenSpace« aus Oldenburg stellt eine mobile Werkstatt bereit, um Freakbikes zusammenzuschrauben, bei »Upcycling Headwear« können eigene Fahrradkappen genäht werden, und auch das Rostocker Radkino zum Mitstrampeln wird am Start sein.
Das DIY, kurz für »do it yourself« (mach es selbst), im Namen des Camps sei überaus wichtig, so Keiper. Man wolle nicht ein Festival anbieten, zu dem man nur kommt, um zu konsumieren. »Das Camp wird das, was wir draus machen«, sagt er. Um auch finanziell unabhängig zu bleiben, hatten die Organisator*innen mit Erfolg eine Crowdfunding-Kampagne initiiert. Mit dem eingenommenen Geld sollen die Referent*innen, Bands und DJs bezahlt werden. Auch die Eintrittskosten für das Radfestival sind nach dem Solidaritätsprinzip aufgeschlüsselt: Von 40 bis 120 Euro soll jeder das bezahlen, was er kann. Die Verpflegung ist im Preis enthalten – im Camp wird es vegane Küche für alle (Küfa) sowie Getränke von einem Getränkekollektiv geben. Und Bedürftige werden ökologische Kompostklos vorfinden.
Für Florian Keiper ist das »Freilauf« das Highlight des Jahres – es steckt viel Herzblut darin. Der Radaktivist will von diesem Wochenende auch die Motivation mitnehmen, den Alltag anders zu gestalten: Auf dem Camp treffen sich Fahrradinitiativen und Radbegeisterte aus dem ganzen Bundesgebiet, um gemeinsam Fahrradkampagnen zu entwickeln. Diese sollen danach auch in die Welt getragen werden. Und wenn es nächstes Jahr weitergeht, könnte es sogar international werden – zum Beispiel mit Teilnehmern aus den Niederlanden, Polen oder Dänemark.
Die Eintrittskarten für das »FRE!LAUF – DIY Bike Camp« sind auf 200 Stück begrenzt. Es sind nur noch wenige Plätze frei. Anmeldestopp ist der 22. August, 12 Uhr.
Anmeldung unter: http://fahrrad-bande.org/freilauf