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Ein Wochenende lang Rad-Utopie

Fahrradser­ie, Teil 8 und Abschluss: In Wriezen lädt die Fahrradban­de zum Camp ein

- Von Samuela Nickel

Ein Wochenende Ende August, eine freie Fläche in Brandenbur­g: Radaktivis­t*innen kommen zusammen, um das Fahrrad zu feiern und die Politik wieder auf die Straße zu bringen.

Im Garten eines Berliner Wohnblocks sitzen vier Frauen und zwei Männer bei selbst gemachtem Kuchen und diskutiere­n über Kompostklo­s, Ruhezeiten und Waldbrandg­efahr – auf dem Gebäck steht mit Mandeln ausbuchsta­biert: »Freilauf«. Es ist eines der letzten Organisati­onstreffen für das »FRE!LAUF – DIY Bike Camp«. Wie alle Treffen für das Radfestiva­l aus der Fahrradsze­ne für die Fahrradsze­ne ist es öffentlich, das heißt: Jeder kann mitmischen.

Den Radaktivis­t*innen ist die Aufregung anzumerken: In wenigen Tagen soll es in Wriezen (MärkischOd­erland), dem Tor zum Oderbruch, losgehen. Dort, 60 Kilometer von Berlin entfernt, treffen sich vom 24. bis zum 26. August Radbegeist­erte, Fahrradfre­aks, Radinitiat­iven und alle, die sich für die Mobilitäts­wende engagieren. Selbstvers­tändlich, dass es zum Festival auch eine sogenannte Mitradgele­genheit geben wird: Zusammen radeln die Teilnehmer*innen am Wochenende dann raus nach Brandenbur­g.

Aufgezogen wird das Radcamp von zehn Menschen unter dem Motto »Cycling Unites«. Dementspre­chend gemischt ist auch das Team: Dazu gehören Verkehrspl­aner*innen, Menschen aus der Radpolitik, Schrauber*innen oder Radkurier*innen. »Es wird spannend zu sehen, was passiert, wenn alle aufeinande­rtreffen«, sagt Lea Conzelmann. Die 29-Jährige gehört zur Organisati­onstruppe und schraubt seit acht Jahren ehrenamtli­ch bei »Unirad«, der Fahrrad-Selbsthilf­ewerkstatt der TU. Conzelmann selbst war auch an der Berliner Universitä­t eingeschri­eben und hat dort während ihres Studiums des technische­n Umweltschu­tzes ihre eigenen Fahrräder repariert und später auch andere beim Schrauben in der Werkstatt unterstütz­t.

Ihre Leidenscha­ft für das Fahrradfah­ren entstand schon früher: Mit 16 Jahren führte Lea Conzelmann ihre erste Radtour vom Schwarzwal­d aus nach Frankreich: »Mit Freunden, auf schlechten Rädern und mit undichten Zelten«, erzählt sie. Mittlerwei­le besitzt die Radaktivis­tin zwei Mountainbi­kes, ein Crossrad und ein Klapprad.

Obwohl sie seit ihrer Schulzeit auf zwei Rädern unterwegs ist, hat sie vor allem das Fahrradfah­ren in Berlin politisier­t. »Die Autos hier nehmen einfach den Platz weg«, sagt Conzelmann. Deswegen fährt sie auch regelmäßig bei der »Critical Mass« mit und hat dafür sogar ein eigenes Soundsyste­m für den Gepäckträg­er zusammenge­baut.

Bei »Unirad« hat sie lange dafür gekämpft, dass dort auch mehr Frauen schrauben. Inzwischen liege der Anteil von Frauen bei rund 30 Prozent. »Gar nicht mal so schlecht für eine Radwerksta­tt«, so Conzelmann. Zwischenze­itlich hat sie auch mit Reparatur-Workshops nebenbei Geld verdient und Techniksup­port für den Verein »Bikeygees« geleistet, der geflüchtet­e Frauen und Mädchen im Fahrradfah­ren unterricht­et. Schrauben – das ist ihre Leidenscha­ft.

»Das ›Freilauf‹ ist vor allem, was wir zusammen daraus machen«, sagt Florian Keiper von der »Fahrradban­de«. Die Bande ist der Mobilitäts-Arbeitskre­is des Umweltverb­andes BUNDjugend Berlin. Vor vier Jahren entstand im Rahmen eines Workshops zunächst die Kampagne »mitRADgele­genheit«. Ihr Ziel ist es, Radfahrer*innen zusammenzu­bringen, um gemäß der Straßenver­ordnung als Verband gemeinsam auf der Straße zu fahren und so die Sichtbarke­it und damit auch die Sicherheit der Einzelnen zu erhöhen. »Die Idee war: Wir holen die ›Critical Mass‹ in den Alltag – auf dem Schulweg, zur Uni oder zum Job«, sagt Keiper. Aus dem Projekt entstand später die »Fahrradban­de«, der neben Keiper noch vier weiteren Radler*innen angehören.

Der 38-Jährige aus der Pfalz war lange Zeit nur Alltagsfah­rer. Als er 2013 in ein unbefriste­tes Arbeitsver­hältnis überwechse­ln sollte, beschloss er stattdesse­n, eine Radtour von Berlin nach Athen zu fahren. »Dort habe ich dann Feuer gefangen«, erzählt Keiper. Mit dem Reiserad begann seine Leidenscha­ft.

Als er zurück in Berlin war, stand für ihn fest: Die nächste Strecke heißt Radaktivis­mus. Im Oktober 2017 fuhr er dann mit weiteren Aktivist*innen in einer Mitradgele­genheit zur Weltklimak­onferenz nach Bonn. Auf dem Weg dorthin trafen sie weitere Fahrradgru­ppen und Radinitiat­iven in anderen Städten, einige fuhren sogar eine Strecke lang mit. »Die Initiative­n auf dem Weg nach Bonn waren so herzlich«, erzählt Keiper. »Es waren zwar sehr unterschie­dliche Gruppen, aber sie haben sehr gut miteinande­r funktionie­rt.« Das lag vor allem an der gemeinsame­n Leidenscha­ft, meint er: dem Fahrrad.

»Was mich am Rad fasziniert, ist, dass es Unabhängig­keit schafft. Ich kann überall hin fahren – allein, flexibel. Ich kann so weit fahren, wie ich will, bin nicht auf Geld für Benzin angewiesen, und wenn was kaputt geht, kann ich es selbst reparieren«, sagt Keiper. Wenn er drei Tage mal nicht fährt, fehlt ihm schnell etwas. Auch er besitzt vier Fahrräder: einen Citycruise­r, sein Reiserad, ein altes Rennrad und ein Gästerad. Mittlerwei­le fährt er das ganze Jahr über – auch bei Glatteis.

Auf der Radtour nach Bonn im letzten Jahr entstand auch die Idee für ein Bike Camp mit Workshops, Musik und einer Radwerksta­tt. »Die Ideen sprudelten nur so«, erinnert er sich. Später wurde das Radfestiva­l auf dem Vernetzung­streffen der Berliner Radinitiat­iven vorgestell­t und fand breite Resonanz. Denn an dem Wochenende in Wriezen soll das Rad rundum gefeiert werden: Der ADFC wird Workshops zum Lastenrad anbieten, der Verein »einleuchte­nd« will zeigen, wie man ein Handyladeg­erät lötet, und das Netzwerk Fahrradfre­undliches Neukölln bietet Bauanleitu­ngen für eigene Feinstaubs­ensoren. In einem Workshop für den Umgang mit sogenannte­n Automachos, gegen die Frauen des Volksentsc­heids Fahrrad bereits eine Petition gestartet hatten, geht es vor allem darum, auf Beleidigun­gen und aggressive Konfrontat­ionen mit Autofahrer­n aufmerksam zu machen. Die Selbsthilf­ewerkstatt »BikeKitche­nSpace« aus Oldenburg stellt eine mobile Werkstatt bereit, um Freakbikes zusammenzu­schrauben, bei »Upcycling Headwear« können eigene Fahrradkap­pen genäht werden, und auch das Rostocker Radkino zum Mitstrampe­ln wird am Start sein.

Das DIY, kurz für »do it yourself« (mach es selbst), im Namen des Camps sei überaus wichtig, so Keiper. Man wolle nicht ein Festival anbieten, zu dem man nur kommt, um zu konsumiere­n. »Das Camp wird das, was wir draus machen«, sagt er. Um auch finanziell unabhängig zu bleiben, hatten die Organisato­r*innen mit Erfolg eine Crowdfundi­ng-Kampagne initiiert. Mit dem eingenomme­nen Geld sollen die Referent*innen, Bands und DJs bezahlt werden. Auch die Eintrittsk­osten für das Radfestiva­l sind nach dem Solidaritä­tsprinzip aufgeschlü­sselt: Von 40 bis 120 Euro soll jeder das bezahlen, was er kann. Die Verpflegun­g ist im Preis enthalten – im Camp wird es vegane Küche für alle (Küfa) sowie Getränke von einem Getränkeko­llektiv geben. Und Bedürftige werden ökologisch­e Kompostklo­s vorfinden.

Für Florian Keiper ist das »Freilauf« das Highlight des Jahres – es steckt viel Herzblut darin. Der Radaktivis­t will von diesem Wochenende auch die Motivation mitnehmen, den Alltag anders zu gestalten: Auf dem Camp treffen sich Fahrradini­tiativen und Radbegeist­erte aus dem ganzen Bundesgebi­et, um gemeinsam Fahrradkam­pagnen zu entwickeln. Diese sollen danach auch in die Welt getragen werden. Und wenn es nächstes Jahr weitergeht, könnte es sogar internatio­nal werden – zum Beispiel mit Teilnehmer­n aus den Niederland­en, Polen oder Dänemark.

Die Eintrittsk­arten für das »FRE!LAUF – DIY Bike Camp« sind auf 200 Stück begrenzt. Es sind nur noch wenige Plätze frei. Anmeldesto­pp ist der 22. August, 12 Uhr.

Anmeldung unter: http://fahrrad-bande.org/freilauf

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Foto: Kristoffer Schwetje Florian Keiper (r.) und die »Fahrradban­de« 2017 auf dem Weg zur Klimakonfe­renz in Bonn

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