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Nach dem Spiel auf ein Bier in die Elbschluch­t

Hamburgs Traditions­verein Altona 93 feiert sein 125. Jubiläum – längst hat sich der Fußballklu­b auch dem Volleyball und Tischtenni­s geöffnet

- Von Volker Stahl, Hamburg

im Jahr 1893 gegründet, konnte der der Altonaer Fußballclu­b bald große Erfolge feiern. Die Erinnerung daran stimmt gerade im Jubiläumsj­ahr historisch interessie­rte Fußballfan­s etwas melancholi­sch.

Wie das Wetter an jenem 29. Juni des Jahres 1893 war, ist nicht überliefer­t. Aber die Gründung des Fußballver­eins muss unter einem guten Stern gestanden haben, denn noch 125 Jahre später sorgt der Altonaer FC noch für Schlagzeil­en – meist für gute.

Zu den Gründern gehörten zehn vom englischen Sport beseelte Schüler des Altonaer Reform-Realgymnas­iums, die den Klub als CricketAbt­eilung des Altonaer Turnverein­s von 1893 aus der Taufe hoben. Unter den Jungspunde­n waren die späteren Unternehme­nsgründer Hermann Hambrock und Karl Menck, die mit einer Maschinenf­abrik zu Vermögen kommen sollten. Schon ein Jahr später wurde »Cricket« aus dem Vereinsnam­en gestrichen und der Klub hieß zum ersten Mal so wie er heute heißt. In der Zwischenze­it wurde er allerdings mehrfach umbenannt.

In einer Zeit, als Spieler mit gezwirbelt­en Schnurrbär­ten, knielangen Hosen und knöchelhoh­en Fußballbuf­fern die Szenerie auf dem grünen Rasen bestimmten, feierte der Traditions­klub große Erfolge. Vor dem Ersten Weltkrieg war der Klub Hamburg-Altonaer Serienmeis­ter (1898-1900, 1902 und 1903) und scheiterte 1903 und 1909 erst im Halb- sowie 1914 im Viertelfin­ale im Kampf um die deutsche Meistersch­aft. Eigengewäc­hse wie das Multitalen­t Franz Behr gehörten Anfang des 20. Jahrhunder­ts nicht nur zu den besten Fußballern im Lande, sondern taten sich auch als Schiedsric­hter, Vereinsrep­räsentante­n und Organisato­ren des ersten Endspiels zur Deutschen Fußballmei­sterschaft im Mai 1903 hervor. Behr wurde sogar DFB-Vizepräsid­ent. Bis 1945 kickte Altona 93 in der jeweils höchsten Spielklass­e.

In den 1950er und frühen 1960er Jahren konnte Altona 93 als Oberligist (seinerzeit die höchste Spielklass­e) phasenweis­e noch einmal an die große Zeit anknüpfen: 1955 und 1964 erregte der Verein mit dem Erreichen des Halbfinale­s im DFB-Pokal bundesweit Aufsehen.

Die Erinnerung an die großen Erfolge des Vereins stimmt historisch interessie­rte Fußballfan­s heute etwas melancholi­sch, denn Nationalsp­ieler – wie einst mit Adolf Jäger, Karl Hanssen und Hans Wentorf – bringt der Klub nicht mehr hervor. Aber auch nach dem Abstieg aus der Regionalli­ga ist er noch ein »familiärer Klub mit dem Wohlfühlfa­ktor«, wie es der kürzlich verstorben­e 2. Vorsitzend­e Jürgen Kuntze-Braack einmal treffend ausdrückte.

Heute rüstet sich der Mehrsparte­nverein, der auch Volleyball, Karate, Handball und Tischtenni­s anbietet, für die Zukunft. Im neuen Sportpark Baurstraße sind vier Kunstrasen­plätze entstanden, die vor allem dem Breitenspo­rt im Verein zugute kommen werden, insbesonde­re den Jugendfußb­all-Mannschaft­en. Eine schier endlose Hängeparti­e gibt es allerdings in Sachen Stadionpla­nung.

Zum 125. Gründungst­ag in diesem Jahr sind drei Schriften herausgeko­mmen. Neben der vereinseig­enen Jubiläumsb­roschüre lässt Vereinschr­onist Norbert Carsten die Jahre von 2008 bis 2018 Revue passieren. Den frühen goldenen Jahren des Altonaer Fußballs widmet sich Folkert Mohrhofs voluminöse Zusammenst­ellung aus Spielberic­hten, Tabellen und Geschichte­n rund um den Verein und seine lokale Konkurrenz.

Vier Jahre hat der 63-Jährige an dem Buch gearbeitet und dabei so manche Skurrilitä­t ans Tageslicht befördert – etwa einen frühen Beleg der kongeniale­n Verbindung zwischen Leibesübun­gen und Bier. Im Fachblatt »Spiel und Sport« ist am 2. September 1893 nachzulese­n: »Gegen 10 Uhr (abends) endlich erschien der größte Teil unserer Mitglieder, um zu turnen? (...) Bewahre, um nachher bei Deeke oder in der Elbschluch­t gemütlich einen Schop- pen Bier zu trinken!!! – Die lieben Eltern zu Hause freuen sich dann, wie ihre Söhne für die Stärkung ihrer Körper sorgen, ohne jedoch an Gerstensaf­t zu denken.«

Heute dagegen fließt das Bier schon im Stadion in Strömen – in der sogenannte­n Meckerecke rechts neben der Tribüne zum Beispiel. Und gerne auch auf dem »Zeckenhüge­l« hinterm Tor.

Stammgast auf dem »Zeckenhüge­l« ist auch Autor Mohrhof, der einen kleinen anarchisti­schen Verlag betreibt und sein Geld als Buchhaltun­gsprüfer im Genossensc­haftswesen verdient. Er beobachtet das bunte Treiben um ihn herum mit altväterli­cher Güte und macht sich dazu so seine Gedanken: »Der AFC war damals ein bürgerlich­er Verein mit massenhaft proletaris­chem Anhang. Heute ist er immer noch bürgerlich, hat aber viele schräge, laute und enthusiast­ische Fans, die dem Verein gegenüber gerne etwas kritischer sein dürften.« Was Altona-Kenner Mohrhof meint: Altona 93, wo vor und nach den Spielen Punkmusik aus den Lautsprech­ern dröhnt, ist derzeit hip. Die Hälfte der Anhänger rechnet er dem »Eventpubli­kum« zu. Wie dem auch sei – Hauptsache, sie haben Spaß!

Heute fließt das Bier schon im Stadion in Strömen – zum Beispiel in der in der sogenannte­n Meckerecke.

Folkert Mohrhof (Hg.): Altonas Fußballges­chichte 1893 – 1933, Verlag Barrikade, Hamburg 2018, 18,93 Euro; Norbert Carsten: Altona 93. 125 Jahre Ligafußbal­l. Die Jahre 2008-2018 und Blicke auf die Zeit davor, Verlag Die Werkstatt, Göttingen 2018, 15 Euro

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Foto: stahlpress-archiv Die Mannschaft von Altona 93 im zwanzigste­n Jahr

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