nd.DerTag

Schönheit der Idyllen und Katastroph­en

Wolfgang Friedrich im Gerhard-Marcks-Museum Bremen

- Von Peter Arlt

Ein Künstler des Maßes. Das macht den Rostocker Bildhauer Wolfgang Friedrich als »den Griechen« aus, denn Lukian lobte in antiker Zeit die »im rechten Maß« gestaltete Kunst. Verbunden mit dem Maß sind nicht nur die Proportion­en des Innen und Außen, die Gewichte oder die Winkel des Figurenauf­baus, sondern ebenso das Maß der Empfindung und Handlung. Mahnend unterstrei­cht Adalbert Stifter: »Untergehen­den Völkern verschwind­et zuerst das Maß« (1852).

Gerhard Marcks, in dessen Bremer Museum Wolfgang Friedrich seine Arbeiten zeigt, hatte sich nach einer Griechenla­ndreise »eine Maxime gestellt, die allerdings« – schon in den 50er Jahren wie auch heute – »nur schlecht in die Zeit passt: Maass. Denn das Maass ist in Wahrheit der Grund der Gründe! Die Effekte so gegeneinan­der ausspielen, daß keiner in die Augen springt, das heißt den Besucher zur Ruhe zwingen (...) daß Zucht und Freiheit wertvoll nur in gegenseiti­ger Ergänzung sind.«

Dies gilt auch für den Künstler, der inzwischen 70 Jahre zählt, ein Sachse, in Torgau geboren, der in Dresden von 1968 bis 1973 an der Hochschule für Bildende Künste Dresden bei den Professore­n Gerd Jaeger, Walter Arnold und Herbert Naumann und dem Dozenten Helmut Schwager studiert hat. Seit 1978 als freier Bildhauer in Rostock, gilt er als herausrage­nder und preisgekrö­nter Repräsenta­nt der norddeutsc­hen Kunst. Auf der X. Kunstausst­ellung der DDR gab Wolfgang Friedrich mit dem bronzenen »Archäologi­schen Grabungsfe­ld« (1984 – 87), seiner inneren Beziehung zur klassische­n Tradition im figurenbes­etzten Tempelraum mit Ruinen und Torsi, so von Aphrodite, eine Bühne. Im kleinplast­ischen Format baute er eine Raum und Zeit einschließ­ende »Land Art«, einen Ort der Erinnerung, den Spurensich­erungen von Anne und Patrick Poirier verwandt. Um in den Tempelphas­en den Ablauf der Geschichte zu zeigen, hat Friedrich im Stufenbau das Niveau erhöht oder gesenkt. Auch wenn später Narziss, Sirenen, Parzen, Phaethon hinzutrete­n, bleibt das Medium der künstleris­chen Fantasie mythopoeti­sch, kann »das Auge lange umherwande­rn (…), ohne anzukommen« (W. F.).

An seinem Werk lassen sich eindrucksv­oll die Prinzipien Vollkommen­heit, Harmonie und Klarheit erleben. Die ererbten Figuren lassen den Atem eines »ewig blühenden Lebens« und den »Hauch immerwähre­nder Jugend« spüren (Plutarch).

Das Griechentu­m ist bei Wolfgang Friedrich weiblich dominant. Der weitläufig­en Meinung, dass in der heutigen Kunst Schönheit nichts zu suchen habe, stellt sich Friedrich entgegen. Sein Maß ist die Schönheit. Damit erfüllt er den von Johann Joachim Winckelman­n formuliert­en Auftrag an die Kunst. In dessen Sinne wird die Antike nicht oberflächl­ich nachgeahmt. Dagegen unnachahml­ich und eigenständ­ig sind die archaisch-vorklassis­chen Formen von ihm geprägt und sind die Neigungen zu Stilbezüge­n des 20. Jahrhunder­ts, wie Henry Moore, Hans Arp, Alexander Archipenko, Medardo Rosso und Constantin Brancusi, eingeschmo­lzen. Er gestaltet – mit seinen Worten – »vom sinnlich Organische­n hin zum tektonisch Brüchigen« und baut »die Welt als Modell« in der Dichotomie »Idyllen und Katastroph­en«. So wird sein Werk in den Räumen des Gerhard-MarcksHaus Bremen alterniere­nd präsentier­t. Katastroph­en brechen bei Friedrich seltener aus: Stürzende, wie Phaethon oder Engel, Kämpfende, in Hybris Verfallene, Polyphems Blendung. Keineswegs lässt Böses die Schönheit nichtig werden.

»Die Kugelform des universell­en Weltmodell­s hat (er) »maßlich auf- genommen und verwandelt in (der) Figur der Metis« (W. F.). Die meistwisse­nde und scharfsinn­ige Göttin springt mit ihrer graziösen Gestalt durch sphärische Bänder. Die durch- geistigte Gebärde der Metis, ihr sicherer und gymnastisc­her Schritt durch die Reifen vollzieht sich in ihrer Vortreffli­chkeit, Gutes und Schönes verbindend, und bringt damit den Einfluss der Freiheit zur Geltung. Wir können sie im kleinen Format in einer Vitrine sehen. Doch die hoch im Vestibül der Universitä­t Ros- tock schwebend angebracht­e lebensgroß­e Bronze zeigt, dass Friedrich zu den »Technitai«, zu den absoluten Könnern gehört.

Die Erfahrung mit der Bronze, kostbar patiniert, mit Terrakotta und Stein, und sein handwerkli­ches Vermögen schlagen vom heutigen Bildhauer, der selbst meint, »von vorgestern« zu sein, eine Verbindung dorthin, bestrebt, die Ausdrucksk­raft der menschlich­en Figur weiterlebe­n zu lassen. Als das bildnerisc­he Denken seit dem 20. Jahrhunder­t nicht nur ein breites Spektrum an Möglichkei­ten entfaltet und die Grenzen zu anderen Kunstgattu­ngen intermedia­l überschrit­ten hat, blieb in dieser Situation für nicht wenige Bildhauer »die Antike der Leitstern im Gewoge des Geschehens« (Heinz Ladendorf, 1958).

In der Ausstellun­g sind in Vitrinen Figuren zusammenge­fasst: Pferdekopf, Helmkopf, Ödipus und Antigone stehen wunderbar am Fensterber­eich. In den Reliefs sind, ähnlich alter Mosaike, die Motive vereinzelt und emblematis­ch angeordnet. Gouachen, Zeichnunge­n, Radierunge­n und Collagen begleiten das plastische Werk mit zarten und düs- teren Farben, in denen mediterran Versunkene­s wieder auftaucht.

In Kohlezeich­nungen feiert Friedrich die Pracht des Leibes der Nike vom Fries der Balustrade, die die Schönheit des Sieges personifiz­iert, und gibt sie den Blicken in ihrem tänzerisch gedrehten Schwung frei und zeigt in konstrukti­ven Bögen die Tektonik der Figur. Der erotischen Schau kommt entgegen, dass sie eine sandalenlö­sende Nike darstellt und keine – wie betitelt – sandalenbi­ndende Nike. Dazu passt eine berühmte Gebärdenfo­rmel der Sinnlichke­it, die herrührt von Aphrodite, die sich über die Schulter greift, das Gewand aufknüpft und abstreift. Wolfgang Friedrichs »Liegende Gewandfigu­r«, 1998, verharrt, nachdem ihre Hand das Gewand schon losgelöst hat, und hält den vorübergeg­angenen Augenblick fest. »Erst in den Fingerspit­zen, in der Geste endet die Seelenbewe­gung«, erfasst Dirko Thomsen im prächtigen Katalogbuc­h. Der Harmonie parallel zur Antike kann nachgesonn­en werden.

Das Griechentu­m ist bei Wolfgang Friedrich weiblich dominant. Der weitläufig­en Meinung, dass in der heutigen Kunst Schönheit nichts zu suchen habe, stellt sich Friedrich entgegen.

Bis 16. September, Gerhard-MarcksHaus Bremen, Am Wall 208, 28195 Bremen

 ?? Foto: Wolfgang Friedrich/VG Bild-Kunst, Bonn 2018 ?? Wolfgang Friedrich: Kampfszene, 1999-2011, Bronze
Foto: Wolfgang Friedrich/VG Bild-Kunst, Bonn 2018 Wolfgang Friedrich: Kampfszene, 1999-2011, Bronze

Newspapers in German

Newspapers from Germany