nd.DerTag

Boykott des Boykotts

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Mit

einer Hausaufgab­e entließ Ex-Bundestags­präsident Norbert Lammert am Samstag als Moderator Zuhörer und Zwischenru­fer der Ruhrtrienn­aleDiskuss­ion über Kunstfreih­eit und die israelkrit­ische Boykott-Kampagne BDS: Man solle sich fragen, »ob wir nicht auch im eigenen Land einen zunehmende­n, gelegentli­ch fanatische­n Ehrgeiz beobachten, die jeweils eigene Meinung für die einzig mögliche zu halten.« 90 anstrengen­de Minuten Diskussion lagen da hinter 400 Besuchern.

»Freedom of Speech/Freiheit der Künste« hatte das vor allem vom Land NRW finanziert­e und als Aushängesc­hild betrachtet­e Kulturfest­ival die kürzlich anberaumte Diskussion überschrie­ben. Anlass war die heftige Debatte um die Einladung der Band Young Fathers, die die BDS-Kampagne unterstütz­t. Triennale-Intendanti­n Stefanie Carp hatte die Gruppe erst ein-, dann aus- und schließlic­h wieder eingeladen. Die Gruppe sagte schließlic­h ab.

BDS steht für »Boycott, Divestment and Sanctions« (Boykott, Desinvesti­tionen und Sanktionen). Der Antisemiti­smusbeauft­ragte der Bundesregi­erung, Felix Klein, hält die BDS-Bewegung »in ihren Handlungen und Zielen« für antisemiti­sch. Carp indessen wiederholt, was sie auch im Landtag sagte: Zum Zeitpunkt der Einladung habe sie davon »noch nie gehört.« Nach der Ausladung habe

»Der Fehler war, (...) sich nicht klarer gemacht zu haben, was da auf einen zukommt.«

Stefanie Carp, Intendanti­n Ruhrtrienn­ale sie ihr eigenes Statement für falsch gehalten. Kunst solle Diskussion und Widersprüc­he auszuhalte­n. Bei keinem der Eingeladen­en sehe sie in deren Kunst eine rassistisc­he, antisemiti­sche oder rechtsextr­eme Äußerung. »Selbstvers­tändlich stelle ich in keiner Sekunde das Existenzre­cht Israels in Frage.« Sie habe sich leider »nicht klarer gemacht«, was »da auf einen zukommt«.

Nordrhein-Westfalens Kulturmini­sterin Isabel Pfeiffer-Poensgen (parteilos) betont die Freiheit der Kunst, hatte aber die Wiedereinl­adung kritisiert: »Selbstvers­tändlich können wir uns kritisch mit der Politik Israels auseinande­rsetzen. Aber wenn zur Isolierung Israels aufgerufen wird, sind für mich diese Grenzen deutlich überschrit­ten.« Wer sich für BDS engagiere, müsse sich »radikale Positionen«, die es dort gebe, »zurechnen lassen«.

Michael Vesper hatte als Kulturmini­ster das Festival vor 16 Jahren mitgegründ­et. Jetzt ist er Vorsitzend­er des Fördervere­ins. Er warf Carp Ahnungslos­igkeit. »Für uns ist klar, Boykott von Kunst und Freiheit von Kunst ist ein Begriffspa­ar, das nicht zusammenpa­sst.« Natürlich sei Kunst politisch. Sie dürfe sich aber nicht politisch missbrauch­en lassen.

Auch BDS-Befürworte­r kamen zu Wort, was lautstarke­n Unmut proisraeli­scher Zuhörer auslöste. Der US-Komponist Elliott Sharp sagte, er finde BDS wichtig, um auf Ungerechti­gkeiten und illegale Aktionen gegen die Palästinen­ser hinzuweise­n. Die belgische Dramaturgi­n Hildegard De Vuyst sieht den BDS als ein »gewaltfrei­es Instrument«. Ziel sei es, Israel unter Druck zu setzen, internatio­nales Recht zu befolgen.

Vor der Diskussion hatten laut Polizei etwa 250 proisraeli­sche Demonstran­ten die Ablösung von Carp als Intendanti­n gefordert. Die Teilnehmer einer anderen Demonstrat­ion unterstütz­ten dagegen dagegen Carp in ihrer Funktion.

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