Wer Tore schießt, braucht kein Glück
Hansa Rostock bezwingt im DFB-Pokal Bundesligist VfB Stuttgart mit 2:0. Das war dem Drittligisten fast peinlich
Warum schauen Sportfans so gern auf Statistiken, die nichts darüber aussagen, wer gewinnt? Und warum können im Fußball Siege glücklich oder gar unverdient sein? Ein Plädoyer für das Wesentliche.
Sportlersprache, und speziell die der Fußballer, hat eigene Gesetze. Genau wie der Pokal, um das gleich mal zu beweisen. Sie entbehrt oft jeder Grundlage oder gar Logik, und trotzdem hat sie sich durchgesetzt, allein schon, weil ihre Blüten wie ein Mantra von jedem Spieler, Trainer, Funktionär und – ja auch uns – Sportreportern ständig wiederholt werden. Eins der besten Beispiele dafür bietet der Fußball. Hier gewinnen Mannschaften angeblich »unverdient« oder »glücklich«, weil andere »dominierend« oder gar »klar besser« gewesen seien. So etwas gibt es im Handball, Volleyball oder Basketball im Grunde nie zu hören. Schon gar nicht in Einzelsportarten wie Schwimmen, Leichtathletik, Kanu oder Radsport. Doch im Fußball wird nach jedem Sieg erst mal gefragt, wie verdient oder glücklich er war.
Auch Pavel Dotchev, seit etwas mehr als einem Jahr Trainer des Drittligisten Hansa Rostock, hat dieses Vokabular fest verinnerlicht. Anstatt sich über den 2:0-Heimsieg seines Teams in der ersten Runde des DFB-Pokals gegen den Erstligisten VfB Stuttgart am Sonnabend zu freuen, setzte er zunächst mal zu einer Art Entschuldigung in Richtung seines Stuttgarter Kollegen Tayfun Korkut an: »Es ist schon richtig, dass wir heute etwas glücklich gewonnen haben. Wir waren sehr effizient, haben gekämpft und gut verteidigt. Ich hatte mir persönlich gewünscht, dass wir ein bisschen mehr selbst Fußball spielen, aber gegen starke Stuttgarter war das nicht so einfach für uns.« Man höre und staune: Da gewinnt also eine Fußballmannschaft 2:0 und hat dabei gar nicht Fußball gespielt!
Im Leistungssport geht es darum, besser zu sein als andere. Und dieses »besser« definiert sich im Fußball nun mal über Tore. Keine andere Statistik zählt: Eckenverhältnis, Schüsse auf und neben das Tor oder gar prozentualer Ballbesitz. B-Noten gibt es nicht. Die von Dotchev angedeutete Effizienz ist somit die wichtigste Eigenschaft einer Fußballmannschaft, und für sie muss sich ein Trainer nun wirklich nicht entschuldigen. Die Tor- schützen Cebio Soukou (8. Minute) und Mirnes Pepić (84.) hatten nicht einfach nur Glück, sie waren vielmehr einfach nur gut. Ebenso war Stuttgarts Nicolás González auch nicht vom Pech verfolgt, als er einen Kopfball aus zentraler Position sieben Meter vor dem Tor, nicht in jenen 7,32 Meter breiten Kasten befördern kann, sondern nur knapp daneben.
Die Rostocker stecken schon mitten im Ligaalltag, die Bundesligasaison der Stuttgarter beginnt dagegen erst am kommenden Sonntag. Das wusste auch Pavel Dotchev, als er seine Spieler auf eine laufintensive Pokalpartie einstimmte: »Kein Stuttgarter ist schneller als ihr, und keiner hat eine bessere Kondition.« Und so liefen Hansas Akteure die Lücken, die der VfB hier und da reißen konnte, mit viel Einsatz immer wieder zu. Soukou und Pepić wollten irgendwann wegen Erschöpfung sogar ausgewechselt werden, doch Dotchev ließ sie noch so lange spielen, bis Soukou Pepić das entscheidende 2:0 vorbereitete.
Stuttgart hatte mehr Ballbesitz, mehr Torchancen, mehr von allem irgendwie. Meistens gewinnt man so Fußballspiele. Das rechneten einem die Statistiker zuletzt bei der WM in Russland vor, als es Deutschland, Spanien und andere eben trotz dieser angeblichen Überlegenheiten überraschenderweise nicht ins Finale geschafft hatten. Effektiv Tore des Gegners verhindern und dann einen guten Konter setzen, kann aber auch erfolgreich sein. Wer diese Taktik perfekt umsetzt, hat dann verdient gewonnen – ganz ohne Glück.
Das wurde Dotchev dann auch irgendwann klar, als er sich selbst so reden hörte. »Wir haben zwei Fehler eiskalt ausgenutzt – gegen eine Spitzenmannschaft aus der Bundesliga! Wenn ich sage, dass das glücklich wäre, kann das auch nicht richtig sein, denn meine Jungs haben viele Sachen gut gemacht. Ich freue mich, dass wir weiter sind«, sagte er.
So richtig überzeugt war er davon dann aber doch wieder nicht, denn er fügte hinzu: »Bei einem Pokalspiel geht es nicht darum, ob du gut spielst oder nicht.« Dotchev hatte insofern Recht, dass es in einem Pokalspiel darum geht, mehr Tore als die andere Mannschaft zu erzielen. Warum das dann aber nicht gleichzeitig bedeutet, dass die Mannschaft gut gespielt hat, und warum das nur im Pokal und nicht genauso in jedem anderen Ligaspiel gelten soll, ist wohl nur mit Fußballlogik zu erklären.