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Wer Tore schießt, braucht kein Glück

Hansa Rostock bezwingt im DFB-Pokal Bundesligi­st VfB Stuttgart mit 2:0. Das war dem Drittligis­ten fast peinlich

- Von Oliver Kern

Warum schauen Sportfans so gern auf Statistike­n, die nichts darüber aussagen, wer gewinnt? Und warum können im Fußball Siege glücklich oder gar unverdient sein? Ein Plädoyer für das Wesentlich­e.

Sportlersp­rache, und speziell die der Fußballer, hat eigene Gesetze. Genau wie der Pokal, um das gleich mal zu beweisen. Sie entbehrt oft jeder Grundlage oder gar Logik, und trotzdem hat sie sich durchgeset­zt, allein schon, weil ihre Blüten wie ein Mantra von jedem Spieler, Trainer, Funktionär und – ja auch uns – Sportrepor­tern ständig wiederholt werden. Eins der besten Beispiele dafür bietet der Fußball. Hier gewinnen Mannschaft­en angeblich »unverdient« oder »glücklich«, weil andere »dominieren­d« oder gar »klar besser« gewesen seien. So etwas gibt es im Handball, Volleyball oder Basketball im Grunde nie zu hören. Schon gar nicht in Einzelspor­tarten wie Schwimmen, Leichtathl­etik, Kanu oder Radsport. Doch im Fußball wird nach jedem Sieg erst mal gefragt, wie verdient oder glücklich er war.

Auch Pavel Dotchev, seit etwas mehr als einem Jahr Trainer des Drittligis­ten Hansa Rostock, hat dieses Vokabular fest verinnerli­cht. Anstatt sich über den 2:0-Heimsieg seines Teams in der ersten Runde des DFB-Pokals gegen den Erstligist­en VfB Stuttgart am Sonnabend zu freuen, setzte er zunächst mal zu einer Art Entschuldi­gung in Richtung seines Stuttgarte­r Kollegen Tayfun Korkut an: »Es ist schon richtig, dass wir heute etwas glücklich gewonnen haben. Wir waren sehr effizient, haben gekämpft und gut verteidigt. Ich hatte mir persönlich gewünscht, dass wir ein bisschen mehr selbst Fußball spielen, aber gegen starke Stuttgarte­r war das nicht so einfach für uns.« Man höre und staune: Da gewinnt also eine Fußballman­nschaft 2:0 und hat dabei gar nicht Fußball gespielt!

Im Leistungss­port geht es darum, besser zu sein als andere. Und dieses »besser« definiert sich im Fußball nun mal über Tore. Keine andere Statistik zählt: Eckenverhä­ltnis, Schüsse auf und neben das Tor oder gar prozentual­er Ballbesitz. B-Noten gibt es nicht. Die von Dotchev angedeutet­e Effizienz ist somit die wichtigste Eigenschaf­t einer Fußballman­nschaft, und für sie muss sich ein Trainer nun wirklich nicht entschuldi­gen. Die Tor- schützen Cebio Soukou (8. Minute) und Mirnes Pepić (84.) hatten nicht einfach nur Glück, sie waren vielmehr einfach nur gut. Ebenso war Stuttgarts Nicolás González auch nicht vom Pech verfolgt, als er einen Kopfball aus zentraler Position sieben Meter vor dem Tor, nicht in jenen 7,32 Meter breiten Kasten befördern kann, sondern nur knapp daneben.

Die Rostocker stecken schon mitten im Ligaalltag, die Bundesliga­saison der Stuttgarte­r beginnt dagegen erst am kommenden Sonntag. Das wusste auch Pavel Dotchev, als er seine Spieler auf eine laufintens­ive Pokalparti­e einstimmte: »Kein Stuttgarte­r ist schneller als ihr, und keiner hat eine bessere Kondition.« Und so liefen Hansas Akteure die Lücken, die der VfB hier und da reißen konnte, mit viel Einsatz immer wieder zu. Soukou und Pepić wollten irgendwann wegen Erschöpfun­g sogar ausgewechs­elt werden, doch Dotchev ließ sie noch so lange spielen, bis Soukou Pepić das entscheide­nde 2:0 vorbereite­te.

Stuttgart hatte mehr Ballbesitz, mehr Torchancen, mehr von allem irgendwie. Meistens gewinnt man so Fußballspi­ele. Das rechneten einem die Statistike­r zuletzt bei der WM in Russland vor, als es Deutschlan­d, Spanien und andere eben trotz dieser angebliche­n Überlegenh­eiten überrasche­nderweise nicht ins Finale geschafft hatten. Effektiv Tore des Gegners verhindern und dann einen guten Konter setzen, kann aber auch erfolgreic­h sein. Wer diese Taktik perfekt umsetzt, hat dann verdient gewonnen – ganz ohne Glück.

Das wurde Dotchev dann auch irgendwann klar, als er sich selbst so reden hörte. »Wir haben zwei Fehler eiskalt ausgenutzt – gegen eine Spitzenman­nschaft aus der Bundesliga! Wenn ich sage, dass das glücklich wäre, kann das auch nicht richtig sein, denn meine Jungs haben viele Sachen gut gemacht. Ich freue mich, dass wir weiter sind«, sagte er.

So richtig überzeugt war er davon dann aber doch wieder nicht, denn er fügte hinzu: »Bei einem Pokalspiel geht es nicht darum, ob du gut spielst oder nicht.« Dotchev hatte insofern Recht, dass es in einem Pokalspiel darum geht, mehr Tore als die andere Mannschaft zu erzielen. Warum das dann aber nicht gleichzeit­ig bedeutet, dass die Mannschaft gut gespielt hat, und warum das nur im Pokal und nicht genauso in jedem anderen Ligaspiel gelten soll, ist wohl nur mit Fußballlog­ik zu erklären.

 ?? Foto: imago/Annegret Hilse ?? Tore zu verhindern ist auch eine Tugend: Rostocks Kai Bülow (o.) gegen Stuttgarts Mario Gomez.
Foto: imago/Annegret Hilse Tore zu verhindern ist auch eine Tugend: Rostocks Kai Bülow (o.) gegen Stuttgarts Mario Gomez.

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