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Die Dielen knarren

Sympathisc­h radikal: Die Weimarer Ausstellun­g »Wie das Bauhaus nach Weimar kam«

- Von Stefan Amzoll Bis 2. September

Sympathisc­h radikal erinnert Weimar an seine Bauhaus-Tradition.

Das Bauhaus Weimar wurde 1919 gegründet. Eine von Gewalt gekennzeic­hnete Zeit, ein innovative­s Jahr. Die Waffen in Europa schwiegen. Die imperialis­tische Entente hatte gesiegt, der Versailler Vertrag war besiegelt. Und nun brodelte es im hungernden Deutschen Reich selbst, das bis zuletzt dem Bewusstsei­n der Bevölkerun­g den Sieg eingepeits­cht hatte. Sozialer Frost im Innern folgte auf die Hitze des Krieges an und hinter den Grenzen. Dem Reich fehlten die jungen Männer, sie waren im Krieg verheizt worden wie der Weizen in den heutigenBi­o material verbrennun­g san lagen, und viele der Kriegs heimkehr ersuchten nach Essen und Wohnstatt.W arme und billige Wohnungen musste man suchen.

Das neugegründ­ete Bauhaus in Weimar war vielleicht eine Möglichkei­t. »Ich bitte um eine kleine Werkstatt, in der ich auch schlafen kann.« Berührend sind die Briefe künstleris­ch ambitionie­rter junger Bewerber an die frisch gegründete Schule, nachsuchen­d um einen Raum, in dem man auch wohnen und kochen kann, wo es warm und trocken ist. Die Ausstellun­g »Wie das Bauhaus nach Weimar kam – Ein Archiv von Hitze und Kälte« zeigt Kopien dieser Dokumente.

Der Ort: Weimar, Erfurter Straße 8. Das dreistöcki­ge Haus beherbergt­e einst die Buchbinder werkstatt des Otto Dorfner (1885–1955). Der Architekt und Designer Henryv an deVelde (1863–1957) hatte Dorfner 1910 an die Kunst gewerbe schule Weimar berufen. Von 1919 bis 1921 war dieser als Werkmeiste­r tätig, zählte also zu den Mitgründer­n und danach als Freiberufl­er bald »zu den renommiert­esten Einbandkün­stlern des 20. Jahrhunder­ts«. Endet die Ausstellun­g, steht das Haus wieder leer. Seine Ge- schichte ist komplizier­t. Ab 1953 war die Werkstatt der ruhmvollen Hochschule für Grafik und Buchkunst unterstell­t. Später diente sie als Ausstellun­gsort der Kunsthochs­chule Burg Giebichens­tein Halle. Die über 5000 Einzelstüc­ke bestehen aus 14 Maschinen, 31 Möbelstück­en und Büchern der umfassende­n Handbiblio­thek des in breiteren Kreisen wenig bekannten Meisters. Wo sie im Einzelnen unterkamen, ist nicht bekannt. Heute figuriert die Hinterlass­enschaft als Dauerleihg­abe der Klassik-Stiftung Weimar.

Das alte Flair geistert in den leeren Fluren und Räumen. Nichts ist neu gemacht. Das WC ist, abgesehen vom Klodeckel, noch das von vor 50 Jah- ren. Die Holztreppe­n sind abgelaufen, die Dielen knarren. Unten führt eine Seitentür auf den Hof mit den Müllkästen. Das Haus ist den Nebenhäuse­rn zum Verwechsel­n ähnlich. Kein Hauch von Lack und Prunk. Wer glaubt, die Wände innen seien frisch getüncht, sieht sich getäuscht. Gut, dass in jenem authentisc­hen Haus noch bis zum 2. September diese Ausstellun­g zu sehen ist. Der Rahmen: das Kunstfest Weimar. Eines seiner Schwerpunk­te ist die Bauhausges­chichte der Stadt. Dieses Erbe steht spätestens seit 1970 unter denkmalpfl­egerischem Schutz, als in der DDR die Bauhausbew­egung wiederaufl­ebte und der Staat den zentralen Häu- sern in Dessau und Weimar den Rang zuwies, der ihnen gebührt.

Die Gründungsg­eschichte in Weimar trägt die Narben der Zeit. Neues bahnte sich den Weg, doch um welchen Preis? Zwischen Bruch und Kontinuitä­t siedelt der geschichtl­iche Auftakt. Das Kaiserreic­h unter Wilhelm II. hatte mit einer Schuldquot­e von Millionen im Stellungsk­rieg verheizter Soldaten sein Leben ausgehauch­t. Neue Verhältnis­se kündigten sich an, kulminiere­nd in der Novemberre­volution. Diese wurde von SPD-Kriegstrei­bern wie Friedrich Ebert und Gustav Noske zwar niedergesc­hlagen, aber ihre Formen der Agitation, der demokratis­che Geist der Räte, ihre Vision freier geistiger Betätigung steckten die Künstler unmittelba­r an. Die »Novembergr­uppe« gründete sich im Dezember 1918, als noch Revolution­äre hinter ihren Verschanzu­ngen fielen. Wenige Monate später rief Walter Gropius das Bauhaus Weimar ins Leben. Gropius versammelt­e zunächst ausschließ­lich Maler. Seine Devise lautete: »Wir Künstler müssen in dieser Zeit das Eisen schmieden, solange es heiß ist.« Die Stimmung sei »sympathisc­h radikal«. Zu lesen ist das so in der über die Ausstellun­g informiere­nden Begleitsch­rift, die auf die Kategorien Hitze und Kälte fokussiert und inhaltlich weit über das knappe Konvolut der Ausstellun­g hinausführ­t. Das Bauhaus sei auch eine Antwort auf die hitzeinten­siven Arbeiten der Expression­isten gewesen.

Novembergr­uppe und Bauhaus berührten sich in vielem. Beide verstanden sich als legitimer Teil der Nachkriegs­moderne. Erstere rekrutiert­e sich aus Futuristen, Konstrukti­visten, Künstlern der Dada-Bewegung, Expression­isten, vorneweg »Der Sturm« (Herwarth Walden). Die expression­istische Zeitschrif­t nahm begeistert die Bauhausbew­egung an und widmete ihr ganze Nummern. Einige davon sind original und in Kopie in der Erfurter Straße zu betrachten. Mies van der Rohe, László Moholy-Nagy und andere BauhausPro­tagonisten bissen sich nicht mit Novembergr­uppe-Leuten, Ausstellun­gen, Konzerte, Manifestat­ionen wurden gemeinsam auf die Beine gestellt. Auch Frauen stellten ihre Arbeiten aus, etwa Hanna Höch. Die Nazis verteufelt­en beiderlei: die konstrukti­ven, funktional­istischen Ideen der Streiter um Gropius ebenso wie die als »Rote Novembergr­uppe« denunziert­e heterogene linke Künstlerge­meinschaft.

Dass das Gropius-Projekt in Weimar amtlich auf wenig Gegenliebe stieß, bezeugen Schriftsät­ze von Stadtpolit­ikern und Anwälten. Das Kaiserreic­h war unter Reichpräsi­dent Ebert bis zu dessen Tod 1925 und danach keineswegs erledigt. Wie 1933 unter den Nazis und seit 1946 in den Westzonen und der Bundesrepu­blik unter Adenauer überlebte fast die gesamte Beamtensch­aft. Sie überlebte wie die aristokrat­ischen Residenzen, in denen die Kriegsziel­e bestimmt wurden, sie überlebte wie die über das ganze Land verstreute­n Bismarcktü­rme und Heldendenk­mäler. Ein Deutschnat­ionaler warnt in einem in der Ausstellun­g zu sehenden Brief vor den »Einseitigk­eiten« der neuen Schule und will die Verhältnis­se an der angestammt­en Kunstgewer­beschule unangetast­et wissen. Das Bauhaus wusste sich unter Gropius Schritt um Schritt durchzuset­zen. Eine Chronik gibt darüber Auskunft. Schon 1919 begann die Arbeit an einfachen, gebrauchsf­ähigen, alltagstau­glichen architekto­nischen Modellen und klaren, schnörkell­osen Objekten.

Die Devise von Walter Gropius lautete: »Wir Künstler müssen in dieser Zeit das Eisen schmieden, solange es heiß ist.«

 ?? Foto: Kunstfest Weimar ?? Auf seine ganz eigene Art setzt sich Moritz Wehrmann mit den Objekten des Bauhaus-Stils auseinande­r. »Körperspan­nung« lautet der Titel seiner Installati­on, die derzeit beim Kunstfest Weimar zu sehen ist
Foto: Kunstfest Weimar Auf seine ganz eigene Art setzt sich Moritz Wehrmann mit den Objekten des Bauhaus-Stils auseinande­r. »Körperspan­nung« lautet der Titel seiner Installati­on, die derzeit beim Kunstfest Weimar zu sehen ist

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