Die Dielen knarren
Sympathisch radikal: Die Weimarer Ausstellung »Wie das Bauhaus nach Weimar kam«
Sympathisch radikal erinnert Weimar an seine Bauhaus-Tradition.
Das Bauhaus Weimar wurde 1919 gegründet. Eine von Gewalt gekennzeichnete Zeit, ein innovatives Jahr. Die Waffen in Europa schwiegen. Die imperialistische Entente hatte gesiegt, der Versailler Vertrag war besiegelt. Und nun brodelte es im hungernden Deutschen Reich selbst, das bis zuletzt dem Bewusstsein der Bevölkerung den Sieg eingepeitscht hatte. Sozialer Frost im Innern folgte auf die Hitze des Krieges an und hinter den Grenzen. Dem Reich fehlten die jungen Männer, sie waren im Krieg verheizt worden wie der Weizen in den heutigenBio material verbrennung san lagen, und viele der Kriegs heimkehr ersuchten nach Essen und Wohnstatt.W arme und billige Wohnungen musste man suchen.
Das neugegründete Bauhaus in Weimar war vielleicht eine Möglichkeit. »Ich bitte um eine kleine Werkstatt, in der ich auch schlafen kann.« Berührend sind die Briefe künstlerisch ambitionierter junger Bewerber an die frisch gegründete Schule, nachsuchend um einen Raum, in dem man auch wohnen und kochen kann, wo es warm und trocken ist. Die Ausstellung »Wie das Bauhaus nach Weimar kam – Ein Archiv von Hitze und Kälte« zeigt Kopien dieser Dokumente.
Der Ort: Weimar, Erfurter Straße 8. Das dreistöckige Haus beherbergte einst die Buchbinder werkstatt des Otto Dorfner (1885–1955). Der Architekt und Designer Henryv an deVelde (1863–1957) hatte Dorfner 1910 an die Kunst gewerbe schule Weimar berufen. Von 1919 bis 1921 war dieser als Werkmeister tätig, zählte also zu den Mitgründern und danach als Freiberufler bald »zu den renommiertesten Einbandkünstlern des 20. Jahrhunderts«. Endet die Ausstellung, steht das Haus wieder leer. Seine Ge- schichte ist kompliziert. Ab 1953 war die Werkstatt der ruhmvollen Hochschule für Grafik und Buchkunst unterstellt. Später diente sie als Ausstellungsort der Kunsthochschule Burg Giebichenstein Halle. Die über 5000 Einzelstücke bestehen aus 14 Maschinen, 31 Möbelstücken und Büchern der umfassenden Handbibliothek des in breiteren Kreisen wenig bekannten Meisters. Wo sie im Einzelnen unterkamen, ist nicht bekannt. Heute figuriert die Hinterlassenschaft als Dauerleihgabe der Klassik-Stiftung Weimar.
Das alte Flair geistert in den leeren Fluren und Räumen. Nichts ist neu gemacht. Das WC ist, abgesehen vom Klodeckel, noch das von vor 50 Jah- ren. Die Holztreppen sind abgelaufen, die Dielen knarren. Unten führt eine Seitentür auf den Hof mit den Müllkästen. Das Haus ist den Nebenhäusern zum Verwechseln ähnlich. Kein Hauch von Lack und Prunk. Wer glaubt, die Wände innen seien frisch getüncht, sieht sich getäuscht. Gut, dass in jenem authentischen Haus noch bis zum 2. September diese Ausstellung zu sehen ist. Der Rahmen: das Kunstfest Weimar. Eines seiner Schwerpunkte ist die Bauhausgeschichte der Stadt. Dieses Erbe steht spätestens seit 1970 unter denkmalpflegerischem Schutz, als in der DDR die Bauhausbewegung wiederauflebte und der Staat den zentralen Häu- sern in Dessau und Weimar den Rang zuwies, der ihnen gebührt.
Die Gründungsgeschichte in Weimar trägt die Narben der Zeit. Neues bahnte sich den Weg, doch um welchen Preis? Zwischen Bruch und Kontinuität siedelt der geschichtliche Auftakt. Das Kaiserreich unter Wilhelm II. hatte mit einer Schuldquote von Millionen im Stellungskrieg verheizter Soldaten sein Leben ausgehaucht. Neue Verhältnisse kündigten sich an, kulminierend in der Novemberrevolution. Diese wurde von SPD-Kriegstreibern wie Friedrich Ebert und Gustav Noske zwar niedergeschlagen, aber ihre Formen der Agitation, der demokratische Geist der Räte, ihre Vision freier geistiger Betätigung steckten die Künstler unmittelbar an. Die »Novembergruppe« gründete sich im Dezember 1918, als noch Revolutionäre hinter ihren Verschanzungen fielen. Wenige Monate später rief Walter Gropius das Bauhaus Weimar ins Leben. Gropius versammelte zunächst ausschließlich Maler. Seine Devise lautete: »Wir Künstler müssen in dieser Zeit das Eisen schmieden, solange es heiß ist.« Die Stimmung sei »sympathisch radikal«. Zu lesen ist das so in der über die Ausstellung informierenden Begleitschrift, die auf die Kategorien Hitze und Kälte fokussiert und inhaltlich weit über das knappe Konvolut der Ausstellung hinausführt. Das Bauhaus sei auch eine Antwort auf die hitzeintensiven Arbeiten der Expressionisten gewesen.
Novembergruppe und Bauhaus berührten sich in vielem. Beide verstanden sich als legitimer Teil der Nachkriegsmoderne. Erstere rekrutierte sich aus Futuristen, Konstruktivisten, Künstlern der Dada-Bewegung, Expressionisten, vorneweg »Der Sturm« (Herwarth Walden). Die expressionistische Zeitschrift nahm begeistert die Bauhausbewegung an und widmete ihr ganze Nummern. Einige davon sind original und in Kopie in der Erfurter Straße zu betrachten. Mies van der Rohe, László Moholy-Nagy und andere BauhausProtagonisten bissen sich nicht mit Novembergruppe-Leuten, Ausstellungen, Konzerte, Manifestationen wurden gemeinsam auf die Beine gestellt. Auch Frauen stellten ihre Arbeiten aus, etwa Hanna Höch. Die Nazis verteufelten beiderlei: die konstruktiven, funktionalistischen Ideen der Streiter um Gropius ebenso wie die als »Rote Novembergruppe« denunzierte heterogene linke Künstlergemeinschaft.
Dass das Gropius-Projekt in Weimar amtlich auf wenig Gegenliebe stieß, bezeugen Schriftsätze von Stadtpolitikern und Anwälten. Das Kaiserreich war unter Reichpräsident Ebert bis zu dessen Tod 1925 und danach keineswegs erledigt. Wie 1933 unter den Nazis und seit 1946 in den Westzonen und der Bundesrepublik unter Adenauer überlebte fast die gesamte Beamtenschaft. Sie überlebte wie die aristokratischen Residenzen, in denen die Kriegsziele bestimmt wurden, sie überlebte wie die über das ganze Land verstreuten Bismarcktürme und Heldendenkmäler. Ein Deutschnationaler warnt in einem in der Ausstellung zu sehenden Brief vor den »Einseitigkeiten« der neuen Schule und will die Verhältnisse an der angestammten Kunstgewerbeschule unangetastet wissen. Das Bauhaus wusste sich unter Gropius Schritt um Schritt durchzusetzen. Eine Chronik gibt darüber Auskunft. Schon 1919 begann die Arbeit an einfachen, gebrauchsfähigen, alltagstauglichen architektonischen Modellen und klaren, schnörkellosen Objekten.
Die Devise von Walter Gropius lautete: »Wir Künstler müssen in dieser Zeit das Eisen schmieden, solange es heiß ist.«