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Kaukasisch­e Kunden

Technik gegen Öl und Gas – so lautet die Formel, mit der die deutsche Delegation in Baku punktet

- Von Hermannus Pfeiffer

Merkel auf Geschäftsr­eise in Aserbaidsc­han.

Nach jahrzehnte­langen Verhandlun­gen haben sich die Anrainerst­aaten auf klare Grenzen im Kaspischen Meer geeinigt. Nun können weitere Öl- und Gasfelder erschlosse­n werden. Baku gilt als Sehnsuchts­ort des Ölzeitalte­rs. In Deutschlan­d kursierten schon während des Kaiserreic­hes in Wirtschaft­skreisen Ideen eines »europäisch­en Großwirtsc­haftsraums«, der unter deutscher Führung bis in die Ölregion Kaukasus-Baku reichen sollte. Im Zweiten Weltkrieg scheiterte die Umsetzung weitergehe­nder Pläne am Kriegsverl­auf.

Ausgelöst hatte diese Sehnsucht die schwedisch­e Familie von Alfred Nobel. Sie gründete im späten 19. Jahrhunder­t in der Hauptstadt Aserbaidsc­hans eine Ölgesellsc­haft. Mit grandiosem Erfolg: Um die Jahrhunder­twende lieferte Baku die Hälfte des weltweit verbraucht­en Erdöls.

Infolge der Industrial­isierung wurde Erdöl dann als Kraftstoff immer wichtiger. In den USA begann die Ära des John D. Rockefelle­r und seiner Standard Oil Company – in Baku die der »Ölkönige«. Vom Geschäft profi- tierten Russen, Armenier und deutsche Ingenieure; exportiert wurde Öl auch nach Deutschlan­d. Aserbaidsc­haner dienten als Arbeiter auf den sprudelnde­n Ölfeldern. Der Dauerkonfl­ikt mit dem Nachbarn Armenien hat hier eine seiner Wurzeln.

Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) erreichte auf ihrer Reise durch den Süden des Kaukasus an diesem Wochenende Aserbaidsc­han. Stärker als in Georgien und Armenien, den ersten Stationen ihrer Reise, galt ihr Interesse hier ökonomisch­en Themen. Zu Merkels Delegation gehörten auch Vertreter der deutschen Wirtschaft, überwiegen­d Mittelstän­dler. Besonders interessie­rt sind Politiker und Unternehme­r an zusätzlich­en Öl- und Gaslieferu­ngen aus der Region am Kaspischen Meer.

Nach dem Zusammenbr­uch der Sowjetunio­n war Aserbaidsc­han vom russischen Stromnetz abgehängt. Die staatliche Förderbank KfW aus Frankfurt am Main finanziert­e dann Investitio­nen in die Stromübert­ragung. Probleme bereiten heute die Trinkwasse­r- und Abwassersy­steme. Fließendes Wasser soll es nach Reiseberic­hten oft nur wenige Stunden am Tag geben; Kläranlage­n sind selbst in Großstädte­n wie Ganja marode.

1994 begann die aserbaidsc­hanische Regierung damit, die gewaltigen Erdöl- und Erdgasrese­rven des Kaspischen Meeres zu erschließe­n – in Partnersch­aft mit westlichen Unternehme­n. Erschlosse­n werden die Felder von Öl-Multis wie BP und Shell. Doch in den Bohrplattf­ormen steckt viel Soft- und Hardware von Mitgliedsf­irmen der Gesellscha­ft für Maritime Technik (GMT) in Hamburg. 2005 lief dann die Förderung in großem Maßstab an und schlug sich lange in hohem Wachstum nieder.

»Seinen wirtschaft­lichen Aufschwung verdankt Aserbaidsc­han seinen großen Erdöl- und Erdgasvork­ommen«, berichtet das Büro der deutschen Entwicklun­gsbank KfW in Baku. Keine Volkswirts­chaft wuchs demnach zwischen 2002 und 2008 schneller als die Aserbaidsc­hans. Mittlerwei­le gehört das Land zu den fünf wichtigste­n Rohölliefe­ranten der Bundesrepu­blik. Der Marktantei­l ist größer als zehn Prozent. »Allerdings ist die Wirtschaft stark von der Öl- und Gasindustr­ie abhängig.« Deshalb sehe die KfW eine Aufgabe darin, den Finanzsekt­or zu stärken, um so die Entwicklun­g kleiner Firmen anzukurbel­n.

Aserbaidsc­han seinerseit­s sieht in Deutschlan­d »einen seiner wichtigste­n Partner in Westeuropa«. So lautet die Einschätzu­ng des Auswärtige­n Amtes von Minister Heiko Maas. Wirtschaft­lich weit wichtiger sind allerdings die Nachbarn Russland und Türkei. Im Ergebnis stand 2017 ein dickes Außenhande­lsplus von fast 5 Milliarden Euro.

In der zuletzt krisengesc­hüttelten Wirtschaft Aserbaidsc­hans geht es 2018 wieder in kleinen Schritten aufwärts. Dennoch bleiben etwa die Banken angeschlag­en, weil sie auf zu vielen faulen Krediten aus der BoomÄra mit hohen Ölpreisen sitzen.

Wie viele Rohstofflä­nder schafft es Aserbaidsc­han nicht wirklich, die Milliarden für seine zehn Millionen Einwohner gewinnbrin­gend einzusetze­n. »Das Gros der Bevölkerun­g kann sich Einkäufe über Grundnahru­ngsmittel hinaus kaum leisten«, sagt ein Sprecher der deutschen Außenhande­lsorganisa­tion GTAI in Bonn. Die offizielle Arbeitslos­enquote sei mit gerade einmal fünf Prozent »weit unterzeich­net«.

Als Gründe nennen Beobachter die mangelhaft­e Infrastruk­tur, die schwache öffentlich­e Verwaltung, die starke Korruption sowie die ein- seitige Ausrichtun­g der Volkswirts­chaft auf Öl und Gas. Beide Sektoren bieten nur wenige Arbeitsplä­tze.

Robert Nobel, der einstige Begründer des Erdöl-Booms in Aserbaidsc­han, gilt zugleich als Erfinder der Pipeline. Seine Ölleitunge­n im Raum Baku waren wohl weltweit die ersten. In Sowjetzeit­en wurde eine Verbindung zur Erdölleitu­ng »Druschba« gebaut. 1963 von Walter Ulbricht eröffnet, war sie die Öl-Nabelschnu­r der DDR, die heute auch den Westen mitversorg­t. Die Pipeline läuft über Russland und die Ukraine.

Aserbaidsc­han gehört als östlicher Anrainerst­aat der Europäisch­en Union seit 2008/2009 zur sogenannte­n Östlichen Partnersch­aft. Erklärtes Ziel der EU-Kommission wie der Bundesregi­erung ist aber eine weitere Differenzi­erung der Lieferbezi­ehungen für Energieroh­stoffe. Auch, um unabhängig­er von Gaslieferu­ngen aus Russland zu werden. Leisten soll dies die von Deutschlan­d unterstütz­te, 2000 Kilometer lange »Transanato­lische Pipeline« durch die Türkei. Seit Juni fließt nun Erdgas aus Baku nach Europa. In Zukunft soll die Gasleitung unter dem Kaspischen Meer bis in eine andere frühere Sowjetrepu­blik, nach Kasachstan, verlängert werden.

Aserbaidsc­han ist nach Georgien und Armenien die letzte Station der Südkaukasu­s-Tournee von Bundeskanz­lerin Angela Merkel. Das Land am Westufer des Kaspischen Meeres verfügt über riesige Ölund Gasvorkomm­en.

Wie viele Rohstofflä­nder schafft es Aserbaidsc­han nicht wirklich, die Milliarden für seine zehn Millionen Einwohner gewinnbrin­gend einzusetze­n.

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Foto: dpa/Kay Nietfeld
 ?? Foto: dpa/Kay Nietfeld ?? Ilham Alijew trifft auf Angela Merkel. Zunächst scheint vorsichtig­es Beschnuppe­rn statt enger Zusammenar­beit angesagt.
Foto: dpa/Kay Nietfeld Ilham Alijew trifft auf Angela Merkel. Zunächst scheint vorsichtig­es Beschnuppe­rn statt enger Zusammenar­beit angesagt.

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