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Kindergeld in voller Höhe für Ausländer

Linksfrakt­ion Oder-Spree wendet sich gegen geforderte Kürzung

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Beeskow. Während sich der deutsche Landkreist­ag dafür einsetzt, das Kindergeld für im Ausland lebende Kinder an die dort in vielen Fällen niedrigere­n Lebenshalt­ungskosten anzupassen, ist die LINKE im ostbranden­burgische Landkreis Oder-Spree damit nicht einverstan­den. Landrat Rolf Lindemann (SPD) soll sich dafür einsetzen, dass das Kindergeld nicht gekürzt wird. Das möchte Linksfrakt­ionschef Artur Pech mit einem Antrag im Kreistag erreichen. Dieser Antrag soll in der Kreistagss­itzung am 26. September abgestimmt werden.

Gleiches Geld, gleichen Lohn und gleiche Sozialleis­tungen für gleiche Arbeit am gleichen Ort fordert der Kommunalpo­litiker Pech. Er hat dabei insbesonde­re die polnischen Erntehelfe­r und Krankensch­western im Blick, die in Oder-Spree und anderswo in der Bundesrepu­blik auf Feldern und in Seniorenhe­imen schwer arbeiten und dafür die Trennung von ihren Kindern hinnehmen. Sein Vorstoß sei »nicht chancenlos, aber kein Selbstläuf­er«, schätzt Artur Pech ein.

Gleiches Recht, gleichen Lohn und gleiche Sozialleis­tungen für gleiche Arbeit am gleichen Ort fordert Linksfrakt­ionschef Artur Pech. Der SPD-Landrat von Oder-Spree soll sich dafür einsetzen. Wer in Deutschlan­d arbeitet, Steuern zahlt und Sozialabga­ben leistet, hat Anspruch auf gleichen Lohn und gleiche Sozialleis­tungen – also auch auf das Kindergeld in voller Höhe, selbst wenn die Kinder nicht in der Bundesrepu­blik leben. Diese Sichtweise des Kreises Oder-Spree soll Landrat Rolf Lindemann (SPD) dem Präsidium des deutschen Landkreist­ags übermittel­n. So möchte es die Linksfrakt­ion. Sie hat beantragt, dass der Landrat das tut. Der Vorstoß von Linksfrakt­ionschef Artur Pech soll bei der Kreistagss­itzung am 26. September behandelt werden.

Wie Pech darauf gekommen ist? Der Landkreist­ag forderte die Bundesregi­erung auf, Pläne zur Absenkung des Kindergeld­es für Kinder im Ausland voranzutre­iben. Das bringt Artur Pech auf die Palme. Denn treffen würde es vor allem polnische Erntehelfe­r und Altenpfleg­er. Deren Sorgen kann Artur Pech in Oder-Spree hautnah erleben.

Der Landkreis hat eine Grenze zu Polen, und die Saisonarbe­iter auf den hiesigen Feldern stammen vor allem aus Polen und Rumänien. Sie arbeiten hart für wenig Lohn und lassen dafür ihre Kinder in der Heimat zurück – oft bei den Großeltern. Manche etwas ältere Kinder leben dann sogar allein. Die Nachbarn schauen mal nach ihnen. Für die Familien ist das ein schweres Los. Ein reduzierte­s Kindergeld erscheint da extrem ungerecht. Immerhin stopfen die Polen in Deutschlan­d Lücken auf dem Arbeitsmar­kt, nicht zuletzt in der Altenpfleg­e.

»Im Jahr 2012 hatten in Deutschlan­d tätige polnische Saisonarbe­iter vor dem Europäisch­en Gerichtsho­f ein Urteil erstritten, mit dem die Bundesrepu­blik verpflicht­et wurde, auch für diese Kinder Kindergeld zu zahlen«, erinnert Linksfrakt­ionschef Pech. Nun wolle man diese Regelung wieder kippen. Die Höhe des Kindergeld­es soll an die Lebenshalt­ungskosten in den Heimatländ­ern angepasst werden.

Doch die üblichen Vorwände für eine solche Kürzung – die Bekämpfung von Betrug und arglistige­r Zuwanderun­g in die Sozialsyst­eme – fallen nach Einschätzu­ng von Pech bei einem Blick auf das deutsche Buhlen um ausländisc­he Fachkräfte und mies bezahlte Saisonarbe­iter in sich zusammen. »In Wirklichke­it geht es um ganz normalen Kapitalism­us.« Es sollen Extraprofi­te dadurch gemacht werden, »dass geeignete Arbeitskrä­fte aus dem Ausland rekrutiert und wesentlich­e Teile ihrer Reprodukti­onskosten – wie die Fürsorge für ihre Kinder – vor der Tür (vor der Grenze) gehalten werden«.

Pech zitiert aus Friedrich Engels' Schrift »Lage der arbeitende­n Klasse in England« (1845). Dort heißt es: »Die rasche Ausdehnung der englischen Industrie hätte nicht stattfinde­n können, wenn England nicht an der zahlreiche­n und armen Bevölkerun­g von Irland eine Reserve gehabt hätte, über die es verfügen konnte.«

So wie einst die Iren sollen jetzt die Osteuropäe­r die Lücken schließen, die durch eine am Profit orientiert­e Politik gerissen werden, ist Pech überzeugt. Und die Osteuropäe­r sollen billiger sein als es die Entwick- lung eines Arbeitskrä­ftepotenzi­als im Inland wäre. Der Linksfrakt­ionschef ahnt den Einwand, die Lage 1845 in England und Irland sei mit der Situation in Deutschlan­d und Polen heute nicht vergleichb­ar, die polnischen Arbeitskrä­fte seien ja freiwillig hier und nicht von der Not getrieben. Doch er rechnet vor, dass Bruttoinla­ndsprodukt pro Kopf habe 2017 in Polen bei 12 000 Euro gelegen, in Deutschlan­d bei 40 000 Euro – und diese Kluft sei seit 2011 sogar noch um 5000 Euro gewachsen.

In mancher Beziehung stellen sich die Fragen von 2018 noch so brutal wie 1845, findet Pech. »Die Forderung, für Kinder, die von ihren Eltern getrennt leben müssen, in Deutsch- land das Kindergeld zu kürzen, während die Eltern für den Wohlstand und den Profit in Deutschlan­d schuften und hier auch Steuern zahlen, ist Teil einer Politik, die auf die zusätzlich­e Ausplünder­ung weniger wohlhabend­er Länder gerichtet ist. Die sollen Kinder großziehen, bilden und später als möglichst kostengüns­tige Arbeitskrä­fte nach Deutschlan­d schicken.« Dem sei die Forderung nach gleichem Recht, gleichem Lohn und gleiche Sozialleis­tungen für gleiche Arbeit am gleichen Ort entgegenzu­halten.

Über die Erfolgsaus­sichten seines Antrags macht sich Linksfrakt­ionschef Pech keine allzu großen Illusionen. Für den 19. September ist eine Sondersitz­ung des Kreistags in der polnischen Stadt Slubice angesetzt. Der gleichnami­ge Landkreis Slubice ist einer von drei polnischen Landkreise­n, mit denen Oder-Spree eine Partnersch­aft pflegt. Die grenzübers­chreitende Zusammenar­beit ist oft nützlich. Zuweilen bekommt man EUFördermi­ttel nicht anders als auf diese Weise. Darum die Sondersitz­ung in Slubice gemeinsam mit polnischen Kommunalpo­litikern. In einem solchen Rahmen hätte der Kindergeld­antrag schwer abgelehnt werden können, denkt Pech. Doch es klappt aus verschiede­nen Gründen nicht, den Antrag dort zur Abstimmung zu bringen. Darum kann dies erst bei der regulären Kreistagss­itzung am 26. September geschehen. Und dort ist der Vorstoß »nicht chancenlos, aber kein Selbstläuf­er«, schätzt Pech ein.

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Foto: dpa/Patrick Pleul Eine polnische Erntehelfe­rin pflückt in Pagram bei Frankfurt (Oder) Zwetschgen.

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