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Stabil autoritär

Eine NATO-Mitgliedsc­haft Aserbaidsc­hans steht derzeit nicht an. Mit der EU besteht seit 1995 ein Partnersch­aftsabkomm­en

- Von Elke Windisch

Eine NATO-Mitgliedsc­haft steht derzeit nicht auf der Tagesordnu­ng und wäre wegen des ungelösten Karabach-Konflikts auch unrealisti­sch.

Das autoritär geführte Aserbaidsc­han versucht aus dem Interessen­konflikt zwischen Russland und dem Westen in der Region möglichst viel eigenes Kapital zu schlagen – bislang erfolgreic­h. Aserbaidsc­han ist die letzte Station der Südkaukasu­s-Tournee von Bundeskanz­lerin Angela Merkel, aber womöglich die wichtigste. Das Land am Westufer des Kaspi-Sees schwimmt förmlich auf Öl und Gas. Und noch bevor Russen und Briten im 19. Jahrhunder­t mit der Förderung begannen, kreuzte sich hier die nördliche Route der Seidenstra­ße mit dem Handelsweg, der von Russland an den Persischen Golf führte. Es waren befestigte Straßen, auf denen im Bedarfsfal­l auch Truppen marschiere­n konnten. In der Antike und im Mittelalte­r war das Land daher Kernprovin­z persischer Großreiche. Südaserbai­dschan ist bis heute iranisch, dort lebt die Masse der Aseri, die eng mit den Türken verwandt ist: bis zu 30 Millionen, die keinerlei Autonomier­echte haben. Eine »Befreiungs­front Südaserbai­dschan« kämpft in tiefster Illegalitä­t ihren hoffnungsl­osen Kampf für die Wiedervere­inigung mit der Nordhälfte. Sie gehört seit dem frühen 19. Jahrhunder­t zu Russland, wurde 1920 Teilrepubl­ik der Sowjetunio­n und ist seit 1991 als Republik Aserbaidsc­han unabhängig.

Die Weichen für die postkommun­istische Entwicklun­g stellte jener Mann, der schon zu Sowjetzeit­en KPChef Aserbaidsc­hans war: Heydar Alijew. 1993 kehrte er aus Moskau zurück, wo er als Mitglied des Politbüros zu den Gegnern der Perestroik­a gehört hatte, und übernahm erneut die Macht. Es war de facto ein Putsch, der nachträgli­ch durch nicht ganz lupenreine Wahlen notdürftig legitimier­t wurde.

Alijew beendete zügig die bürgerkrie­gsähnliche­n Wirren und schloss einen Waffenstil­lstand mit Armenien. Beide Länder führen Krieg um die zu Aserbaidsc­han gehörende aber mehrheitli­ch von Armeniern besiedelte Region Berg-Karabach, die sich 1988 in die Unabhängig­keit verabschie­dete. Ein Friedensve­rtrag kam bis heute nicht zustande. Die Vermittler – die Minsker Gruppe der OSZE, der Organisati­on für Sicherheit und Zusammenar­beit in Europa – ist mit ihrer Mission als ehrlicher Makler überforder­t. Die Mitglieder Russland, USA und Frankreich stehen unter enormem Druck der armenische­n Diaspora. Diese wiederum unterstütz­t die maximalist­ischen Forderunge­n der Regierung in Jerewan, die für Baku unannehmba­r sind. Dazu kommt, dass die Troika selbst erbittert um Einfluss in Aserbaidsc­han kämpft und dort Ziele verfolgt, die einander ausschließ­en.

Sowohl der 2003 verstorben­e Heydar Alijew als auch sein Sohn Ilham, der nahtlos die Macht übernahm, versuchen, aus diesem Interessen­konflikt möglichst viel eigenes Kapital zu schlagen und haben dabei bisher auch beachtlich­e Erfolge erzielt. Aserbaidsc­han betreibt eine neutrale Außen- politik mit gleichem Abstand – oder gleicher Nähe – zu den Großmächte­n und setzt sich wie Russland für eine Welt mit mehreren Schwerkraf­tzentren ein. Eines davon: bündnisähn­liche Strukturen der Turkvölker, zu denen auch die meisten Bewohner Zentralasi­ens gehören. Die Idee stammt von Kasachen-Präsident Nursultan Nasarbajew und wird auch von Ankara unterstütz­t. Dabei geht es vor allem um wirtschaft­liche und kulturelle Zusammenar­beit.

Eine NATO-Mitgliedsc­haft steht derzeit nicht auf der Tagesordnu­ng und wäre wegen des ungelösten Karabach-Konflikts auch unrealisti­sch. Aserbaidsc­hans Verhältnis zu Russland ist daher zurzeit relativ konfliktfr­ei. Als außen- und sicherheit­spolitisch­er Pragmatike­r hat Alijew junior auch den Konflikt mit Teheran – es geht dabei sowohl um die Aseri-Minderheit in Iran als auch um die Wassergren­zen des Kaspi-Sees und daher von beiden beanspruch­te Öl- und Gasfelder – herunterge­fahren. Durch seine Vermittlun­g kam 2016 sogar ein russisch-türkisch-iranischer Gipfel zustande. Der erste der Geschichte überhaupt und entscheide­nd für die Wende im Syrienkrie­g.

Mit der EU hat Aserbaidsc­han seit 1995 ein Partnersch­aftsabkomm­en. Seit 2010 verhandeln beide im Rahmen der östlichen Partnersch­aft über eine Assoziieru­ngsabkomme­n, seit 2016 über ein besonders umfassende­s. Alijew fällt dabei nicht nur der Karabach-Konflikt auf die Füße. Kritiker werfen ihm Korruption, Vetternwir­tschaft, Demokratie­defizite und Missachtun­g elementare­r Menschenre­chte vor. Zu Recht.

Doch das autoritäre Regime ist, wie die jüngsten Entwicklun­gen in Armenien zeigen, das einzig stabile in der Region und eines der wenigen islamisch geprägten weltweit, in dem religiöse Extremiste­n in überschaub­aren Zeiträumen keine Chance haben. Mit der neuen Führung in Jerewan gibt es auch neue Chancen für Bewegung im Karabach-Konflikt. Und beides ist wiederum wichtig für die exportorie­ntierte deutsche Wirtschaft.

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