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Ein gewollter Kontrollve­rlust

Bei Sachsens LINKE soll erstmals die Basis über Spitzenkan­didatur und Tenor des Wahlprogra­mms bestimmen

- Von Hendrik Lasch, Hoyerswerd­a

In einem Jahr wählt Sachsen einen neuen Landtag. Wer die LINKE dabei anführt und welche Akzente sie im Wahlprogra­mm setzt, soll erstmals die Basis entscheide­n. Die Revolution wurde im Handumdreh­en und kurz vor Feierabend beschlosse­n. Sieben Stunden hatten die Delegierte­n eines Parteitags der sächsische­n LINKEN in Hoyerswerd­a bereits beraten, als der Antrag aufgerufen wurde, der die Schlagzeil­en bestimmen sollte – und am Ende gab es nicht einmal eine Für-, geschweige denn eine Gegenrede. Binnen Minuten war beschlosse­n, dass die Partei im Freistaat Neuland betritt: Sie lässt den Spitzenkan­didaten und darüber hinaus auch wichtige Schwerpunk­te des Programms für die Landtagswa­hl am 1. September 2019 von der Basis bestimmen. Im November wird diese zur Urabstimmu­ng gebeten. Es sei eine Entscheidu­ng, die Mut erfordere, sagte Landesvors­itzende Antje Feiks – »Mut zum Kontrollve­rlust«.

Bisher halten sich Unwägbarke­iten zumindest in der Frage in Grenzen, wer, wie Feiks formuliert­e, »unser Gesicht sein wird in diesem Wahlkampf«. Zwar läuft die Frist für Bewerber erst am 2. Oktober ab. Interesse an der Kandidatur hat bisher jedoch nur Rico Gebhardt angemeldet, der Fraktionsc­hef im Landtag ist. Mit weiteren Bewerbunge­n rechnet kaum jemand ernsthaft. Gebhardt war bereits 2014 Spitzenkan­didat der LINKEN, die damals auf 18,9 Prozent gekommen war und damit 27 Mandate erhalten hatte. Nur eines davon wurde direkt errungen – im Leipziger Süden von Juliane Nagel. Alle anderen Abgeordnet­en zogen über die Landeslist­e ins Parlament ein.

Das mag die Inbrunst erklären, mit der auf dem Parteitag über eine andere Frage gestritten wurde: die, nach welchem Modus die Bewerber jenseits des Spitzenkan­didaten nominiert werden. Die Liste selbst soll zwar erst im Frühjahr, kurz vor der Kommunal- und Europawahl in Sachsen, aufgestell­t werden. Gegenstand hitziger Debatten war aber schon jetzt, welche Rolle etwa die Kreisverbä­nde spielen, ob der Spitzenkan­didat auch eine »Spitzenman­nschaft« auf vorderen Listenplät­zen platzieren darf und für wie viele davon der Landesvors­tand der entscheide­nden Delegierte­nversammlu­ng bereits namentlich­e Vorschläge unterbreit­et. Am Ende einigte man sich auf einen Antrag, wonach die Vorschlagl­iste 20 Bewerber umfassen soll, davon vier Mitglieder eines nach »personelle­r und / oder fachlicher Kompetenz« ausgewählt­en »Kernteams« sowie je einen Vertreter aus allen 13 Kreisverbä­nden. Wer das ist, sollen diese vorab festlegen.

Die Regelung stößt nicht auf ungeteilte Begeisteru­ng. Die Bautzener Kreischefi­n Marion Junge etwa plädierte für eine Liste mit 30 Namen, auf der jeder Kreis mit zwei Bewerbern vertreten wäre; Dierk Kunow, ihr Amtskolleg­e aus Görlitz, nannte es »essenziell« für den ländlichen Raum, dass jeder Landkreis zwei Abgeordnet­e hat. Nach dem jetzt beschlosse­nen Modell gibt es dafür indes keine Garantie; über Plätze jenseits der 20 vorab Nominierte­n befindet allein die Delegierte­nversammlu­ng. Diese solle »nicht nur abnicken«, begründete das Landesgesc­häftsführe­r Thomas Dudzak, der einräumte, man könne »nicht alle Interessen überein bringen«.

Zuversicht­lich ist die Landespart­ei immerhin, dass eine künftige Fraktion nicht wesentlich kleiner ist als die jetzige – trotz einer veränderte­n politische­n Lage im Freistaat mit einem deutlichen Rechtsruck. An den wolle man inhaltlich aber keine Zugeständ- nisse machen, sagte Gebhardt. Es gehe um die Verteidigu­ng von Rechtsstaa­t, Menschenre­chten und der »eigenen Haltung«, sagte er und fügte an, dafür müsse »eine Partei auch be- reit sein, auf drei oder vier Prozentpun­kte Wahlergebn­is zu verzichten«.

Angesichts der Sorge vor einem sehr hohen Ergebnis für die AfD und Schwierigk­eiten, eine Regierung ohne diese zu bilden, erteilte Gebhardt allen Spekulatio­nen eine Abfuhr, es könne eine Zusammenar­beit der LINKEN mit der CDU von Regierungs­chef Michael Kretschmer geben. Es sei für ihn »derzeit völlig unvorstell­bar«, diesen zum Ministerpr­äsidenten zu wählen. Kretschmer sei ein »Fremdenfei­nd« und »Anti-Demokrat«, sagte Gebhardt: »Mit solchen Leuten will ich kein Land regieren.«

Der seit 1990 in Sachsen ununterbro­chen regierende­n CDU warf er vor, den Lehrermang­el verursacht, die Polizei »herunterge­wirtschaft­et« sowie Grund- und Freiheitsr­echte abgebaut zu haben. Eine solche Partei, sagte Gebhardt, sei »kein Partner für uns und gehört abgewählt«. Er strich stattdesse­n gemeinsame Initiative­n mit den Grünen und einzelnen Mitglieder­n der SPD-Fraktion heraus, die sich derzeit freilich in einer Koalition mit der CDU befindet. Man arbeite, »soweit das möglich ist«, an Projekten zur Überwindun­g der konservati­ven Vormacht. Gleichwohl räumte Gebhardt ein, dass »Rot-Rot-Grün im Moment in Sachsen nicht vor der Tür steht«. Einer Umfrage vom Frühsommer zufolge kommen die Parteien zusammen nur auf gut ein Drittel der Wählerstim­men. Landeschef­in Feiks bekräftigt­e angesichts dessen die Bereitscha­ft, bei Bedarf über »eine Minderheit­sregierung oder andere Modelle« zu reden – was dann für viel mehr Streit sorgen dürfte als jetzt der Mitglieder­entscheid.

CDU-Ministerpr­äsident Michael Kretschmer sei ein »Fremdenfei­nd« und »Anti-Demokrat«, sagte Gebhardt: »Mit solchen Leuten will ich kein Land regieren.«

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Foto: dpa/Sebastian Kahnert Antje Feiks, Landesvors­itzende der LINKEN, wirbt für Basisdemok­ratie.

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