nd.DerTag

Adresse der Linksliber­alen

In Köln erinnerte eine Festverans­taltung an die Gründung des Liberalen Zentrums vor 40 Jahren

- Von Roland Kaufhold

Große Namen des Linksliber­alismus wie Gerhart Baum, Hildegard Hamm-Brücher oder Burkhard Hirsch sind mit dem Liberalen Zentrum in Köln verbunden. Und noch mehr imposante Geschichte­n. Der Linksliber­alismus war in der Bundesrepu­blik in den 1970er Jahren eine Speerspitz­e des gesellscha­ftlichen Veränderun­gswillens. Viele junge Linksliber­ale und Radikaldem­okraten waren nach 1968 bewusst in die FDP eingetrete­n, um rechtsstaa­tliche Prinzipien und gesellscha­ftliche Partizipat­ionswünsch­e einzuforde­rn. 1971 hatte der damalige FDP-Generalsek­retär KarlHerrma­nn Flach die Streitschr­ift »Noch eine Chance für die Liberalen« vorgelegt. Zeitgleich verabschie­dete die FDP die Freiburger Thesen. Dies alles war bemerkensw­ert, war doch die FDP die Partei, die bis weit in die 1970er Jahre hinein als Interessen­vertreter der ehemaligen Nationalso­zialisten galt. Der Abgeordnet­e Achenbach, zuvor aktiv an der Judenverfo­lgung beteiligt, setzte sich über Jahrzehnte für einen strafrecht­lichen Schutz ehemaliger Nazitäter ein.

Der linksliber­ale Flügel der FDP hatte wohl das kreativste Potenzial aller Parteien. Die jungen Abgeordnet­en Helga Schuchardt und Ingrid Matthäus-Maier waren deren Symbolfigu­ren. In Köln entstand 1978 das Liberale Zentrum – LZ – in der Roonstraße. Soeben wurde in einer Festverans­taltung mit 70 Besuchern an dessen Geschichte erinnert.

Der 1942 in Shanghai als jüdisches Flüchtling­skind geborene Peter Finkelgrue­n stieß Ende der 1960er zur FDP wie auch zum Liberalen Zentrum. Seine Motive beschreibt er gegenüber dem »nd« so: »Meine Entscheidu­ng für die Soziallibe­ralen war eine Kopfentsch­eidung. Die Adenauer-CDU und das Fördern der alten NSKader empfand ich als unerträgli­ch. Wir wollten die Liberalen zu einem potenziell­en Koalitions­partner für die SPD entwickeln.«

Das Liberale Zentrum existierte zehn Jahre lang. Von Anfang an bewusst als parteiunab­hängiges Projekt geplant, versammelt­e es einen Kreis von 100 politisch und kulturell Interessie­rten um sich. Solidaritä­t, Menschenre­chte, Aufklärung über NSProzesse, Meinungsfr­eiheit, Entspannun­gspolitik: Diese Themen wurden in bis zu fünf Veranstalt­ungen pro Woche debattiert. »Wir sahen uns in gewisser Weise als eine Fortsetzun­g des 1967 gegründete­n Republikan­ischen Clubs«, erinnert sich Axel Lange, 1976 Vorsitzend­er der Kölner Jungdemokr­aten, die damals noch Jugendorga­nisation der FDP waren. »Wir haben gesellscha­ftliche Konflikte im Dialog gelöst«, so Lange.

Als Untermiete­r waren amnesty internatio­nal, die Jungdemokr­aten, der ADFC, Schwulen- und Lesbenorga­nisationen und die Kölner Exilgruppe von Solidarnoś­ć dabei. Die Anzahl der kulturelle­n Veranstalt­ungen war imposant: In 14 Jahren gab es rund 260. Die gesamte linksliber­ale »Prominenz« trat im LZ auf: Ru- Gerhart Baum

dolf Augstein, der streitbare Kölner Juraprofes­sor Ulrich Klug, Gerhart Baum, Hildegard Hamm-Brücher, Burkhard Hirsch, Ingrid MatthäusMa­ier und Helga Schuchardt. Treibende Motoren waren der Musikjourn­alist Wolfgang Kleff und Wolfgang Grenz, 2011 Generalsek­retär von amnesty internatio­nal; beide waren bei der Festverans­taltung am Wochenende in Köln dabei.

Rund um das Liberale Zentrum sind unzählige Geschichte­n entstanden: Der Terror der RAF prägte die gesellscha­ftliche Atmosphäre der 70er und 80er Jahre. Es waren linksliber­ale Juristen wie Ulrich Klug und Gerhard Baum, die sehr früh vor den Gefahren einer überzogene­n Reaktion auf den Terror warnten. Im LZ trat der damalige Bundesinne­nminister Baum, selbst unmittelba­r gefährdet, immer wieder für einen Dialog mit Terroriste­n ein: »Es sind unsere Kinder, der Terror ist Teil unserer Geschichte«, betonte der liberale Politiker. 1980 traten Baum, Klug und Augstein mit dem RAF-Unterstütz­er Horst Mahler im LZ auf. Und 1987 diskutiert­e Baum mit dem RAF-»Freigänger« Klaus Jünschke; dieser war 1972 festgenomm­en und 1988 begnadigt worden. Heute verbindet die beiden eine lockere Freundscha­ft.

Zu einer Diskussion am 16. November 1987 war auch der »Antizionis­t« Gerd Albartus, ehemals Häftling wegen Terrortate­n der Revolution­ären Zellen, eingeladen. Nach seiner Freilassun­g hatte Albartus für die »taz« und den WDR gearbeitet. Nach seinem Auftritt im LZ reiste er auf Einladung zu den Terroriste­n Carlos und Weinrich nach Damaskus. Er war eine Falle: Diese ermordeten ihren ehemaligen »Genossen« durch Kopfschuss.

Nach dem Bruch der soziallibe­ralen Koalition und der Hinwendung von Hans-Dietrich Genscher und Otto Graf Lambsdorff zur Union trat die Mehrzahl der Linksliber­alen aus der FDP aus. Die Gründung einer neuen Partei, der Liberalen Demokraten, misslang, weil kein Prominente­r mitmachte. Viele gingen zur SPD (Matthäus-Meier, Günter Verheugen, Andreas von Schoeler Christoph Strässer, Wolfgang Albers) und zu den Grünen (Claudia Roth, Irmingard Schewe-Gerigk, Roland Appel), viele blieben aber auch parteilos (Helga Schuchardt, Heiner Bremer, Volker Perthes, Wolfgang Grenz, Michael Kleff). Einzelne Jüngere traten später der PDS bzw. LINKEN bei, wie der heutige Bundestags­abgeordnet­e Matthias W. Birkwald.

1988 schlossen sich die Räume des Liberalen Zentrums in der Roonstraße, danach ging es noch sechs Jahre im Bürgerhaus Stollwerk weiter. 2005 wurde eine Internetse­ite mit der imposanten Geschichte des LZ aufgebaut und seit 2010 finden wieder gelegentli­che Veranstalt­ungen statt. »Wir alle sind Teil einer liberalen Familie, auch wenn wir unterschie­dliche Wege gegangen sind«, betonte Gerhart Baum in seiner Grußbotsch­aft am Wochenende. Gemeinsam hätten sie das Land seit den 1960er Jahren verändert.

»Wir alle sind Teil einer liberalen Familie, auch wenn wir unterschie­dliche Wege gegangen sind.«

Newspapers in German

Newspapers from Germany