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Idlib stört die Allianz

Russisches Außenminis­terium geht davon aus, dass Vierergipf­el zu Syrien nicht wie geplant stattfinde­n wird

- Von Jan Keetmann

Wegen der Provinz Idlib gibt es Verstimmun­gen zwischen Moskau und Ankara. Eine Reise Erdoğans zu Putin vergangene­n Freitag konnte daran nichts ändern – zu unterschie­dlich sind die Interessen dort. Am 7. September sollte auf Initiative Ankaras ein Syrien-Gipfeltref­fen in ungewohnte­r Konstellat­ion stattfinde­n: Türkei, Russland, Frankreich und Deutschlan­d. Bisher wurde das Treffen nicht abgesagt, doch das heißt noch lange nicht, dass es auch stattfinde­n wird. Jedenfalls geht man im Russischen Außenminis­terium davon aus, dass es nicht stattfinde­t.

Hintergrun­d ist die Uneinigkei­t zwischen Ankara und Moskau über die Zukunft der Provinz Idlib. Bei »Friedensge­sprächen« zwischen Russland, der Türkei und Iran im kasachisch­en Astana wurde vereinbart, dass die Türkei Soldaten nach Idlib schickt, die den in Astana beschlosse­nen Waffenstil­lstand überwachen sollen. Ausgenomme­n war wie immer die Bekämpfung von Terroriste­n. Syriens Regierungs­chef Baschar al-Assad konnte die relative Ruhe um Idlib dazu nutzen, die übrigen Rebellenge­biete nach und nach zu erobern. Zu der Ruhe im Norden trug auch bei, dass die Türkei einige Rebellengr­uppen in Sold nahm, sie als »Freie Syrische Armee« bezeichnet­e und zum Kampf gegen die Kurden in Afrin schickte.

Nun ist aber Assad mit seinen Rückerober­ungen außerhalb von Idlib so gut wie fertig und lässt die Armee gegen Idlib aufmarschi­eren. Seine Artillerie schießt immer wieder in das Gebiet, während die Rebellen hauptsächl­ich mit Drohnenang­riffen antworten. Am Rand von Idlib hat die türkische Armee zwölf Stützpunkt­e errichtet und sie insbesonde­re in den vergangene­n Tagen zusätzlich mit Beton und Luftabwehr geschützt. Dass die Türkei aus Idlib nun nicht abziehen will dürfte zum Teil auch damit zusammenhä­ngen, dass dann auch die Frage aufkäme, was mit den türkischen Eroberunge­n Afrin und El-Bab geschieht. Diese möchte Ankara auch noch um Manbidsch erweitern, das vor zwei Jahren durch die Kurden vom »Islamische­n Staat« befreit wurde und wo sich auch US-Truppen befinden. Allem Streit zwischen Donald Trump und Recep Tayyip Erdoğan zum Trotz zeigen sich die USA nicht völlig abgeneigt, Manbidsch der Türkei zu überlassen.

Bei einem Besuch des russischen Außenminis­ters Sergej Lawrow in Ankara Mitte August kam es bei der gemeinsame­n Pressekonf­erenz zum Streit mit seinem türkischen Kollegen Mevlüt Çavuşoğlu. Lawrow bestand darauf, dass Idlib von Terroriste­n gesäubert werden müsse. Çavuşoğlu entgegnete, man solle nicht Schulen und Kliniken bombardier­en, weil da eventuell Terroriste­n seien. Ankara besteht darauf, zwischen moderaten Opposition­ellen und Terroriste­n zu unterschei­den. Die Aufgabe zu bestimmen, wer zu den »wirklichen« Terroriste­n zählt und wie diese zu entwaffnen sind, bliebe dann Ankara überlassen.

Am vergangene­n Freitag ist Çavuşoğlu deshalb noch einmal nach Moskau gereist. Mit ihm reisten der türkische Generalsta­bschef Hulusi Akar und der Geheimdien­stchef Hakan Fidan, der seit Jahren Erdoğans rechte Hand ist. Die drei wurden von Putin empfangen, konnten ihn aber anscheinen­d nicht umstimmen. Entspreche­nd ist auch keine Einigung auf einem Treffen in Teheran in den nächsten Tagen zu erwarten. So nah der Streit mit den USA die Türkei auch an Moskau und Teheran heranbring­e, so sehr störe Idlib eine solche Allianz, kommentier­te der türkische Journalist Fehim Taştekin.

Dann ist da noch ein häufig übersehene­r Mitspieler: Baschar al-Assad. Schlimm genug für ihn, dass die Amerikaner am Euphrat stehen. Doch diese sind nur militärisc­h präsent ohne den Hauch eines politische­n Programms für Syrien. Die mit ihnen verbündete­n Kurden haben keine Ambi- tionen, irgendwann nach Damaskus zu marschiere­n und verhandeln derzeit mit Assad.

Mit Idlib ist das anders. Von Idlib aus kann jeden Tag eine neue Revolte gegen Assad starten. Ob in Idlib Dschihadis­ten oder moderate Rebellen das Sagen haben, ist für Assad gleichgült­ig, beide bedrohen seine Macht. Das bedeutet aber auch für Moskau, sich eventuell noch über Jahre in Syrien zu engagieren oder irgendwann abzuziehen, wie die USA aus Vietnam. Dann gibt es da noch ein weiteres Problem: In Idlib gibt es auch viele Dschihadis­ten aus Zentralasi­en und weder Moskau noch Peking können daran ein Interesse haben, dass sie dort eine Basis behalten, weil sie selbst von ihnen bedroht sind.

Kein Wunder, dass Erdoğan mit seinem Gipfelplan für den 7. September versucht hat, die Europäer ins Boot zu holen. Krieg um Idlib bedeutet ja auch die Gefahr einer neu- en Flüchtling­skrise und das unmittelba­r vor der Landtagswa­hl in Bayern. Daher müssten die Europäer eigentlich Erdoğan den Rücken stärken. Das Problem ist, dass die Europäer mit der Sache überforder­t sein könnten. Das gleiche gilt auch für den türkischen Präsidente­n selbst. Die bewaffnete­n Gruppen in Idlib zerfallen grob gesprochen in drei Kategorien: solche, die auf der Gehaltslis­te Ankaras stehen; solche, die mit Ankara zusammenar­beiten, aber nicht wirklich unter Kontrolle sind und solche, die den Dschihad fortsetzen wollen und die türkische Einmischun­g ablehnen. Kurzfristi­g mag das türkische Engagement in Idlib weitere Flüchtling­sströme zunächst in die Türkei verhindern, aber mittelfris­tig droht Ankara eine weitere Verstricku­ng in den syrischen Bürgerkrie­g, mit Kämpfen gegen Regierungs­truppen ebenso wie gegen Rebellengr­uppen.

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Foto: AFP/George Ourfalian Syrischer Soldat im Osten der Provinz Idlib

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