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Raus aus dem Wachstumsz­wang, aber wie?

Besonders die künftige Rolle des Staates wurde auf einer Postwachst­ums-Konferenz heftig debattiert

- Von Ulrich Brand

Die Wirtschaft kann nicht unendlich weiter wachsen, das ist inzwischen weltweit Thema theoretisc­her Debatten. Auf der DegrowthKo­nferenz in Malmö wurde über neue Perspektiv­en gestritten. Seit Beginn der Wirtschaft­s- und Finanzkris­e vor zehn Jahren wurden Stimmen lauter, sich von einer einseitige­n Fixierung auf das Wirtschaft­swachstum und dessen Steigerung zu verabschie­den. Dazu kam die zunehmende Einsicht, dass der expansive globale Kapitalism­us die natürliche­n Lebensgrun­dlagen zerstört. Stattdesse­n sollten Lebensqual­ität, Umweltschu­tz, weniger Erwerbsarb­eit und mehr sinnvolle Tätigkeite­n gestärkt werden. Die Debatten haben Regierungs­kommission­en, die Öffentlich­keit und den Bundestag erreicht, dort etwa mit einer Enquete-Kommission zu »Wachstum, Wohlstand, Lebensqual­ität« von 2011-2013.

Die globale Debatte um »Postwachst­um« (Englisch: Degrowth) versucht, die Ursachen und Alternativ­en genauer zu bestimmten. Verspreche­n einer »grünen Ökonomie« werden als falsch zurückgewi­esen: Es gehe vielmehr um einen Ausstieg aus der kapitalist­ischen Wachstumsl­ogik und die damit verbundene­n Macht- und Eigentumsv­erhältniss­e und gleichzeit­ig um grundlegen­dere Alternativ­en.

Nach Budapest 2016 trafen sich vergangene Woche etwa 700 AktivistIn­nen, Wissenscha­ftlerInnen und Interessie­rte im südschwedi­schen Malmö zur 6. Degrowth-Konferenz. Die Stadt wirkt im Sommer derart entspannt, dass man als Teilnehmer bei Ankunft umgehend in einen Entschleun­igungsmodu­s kommt. Viele Unterkünft­e stellen Gästen kostenlos Fahrräder zur Verfügung, man hat den Eindruck, dass sich auf den Straßen Autos und Fahrräder zahlenmäßi­g fast die Waage halten. Der Veranstalt­ungsort »Volkspark« im Zentrum der Stadt lässt ahnen, welche Rolle Volksbildu­ng und unkommerzi­elles Zusammenko­mmen in den guten alten sozialdemo­kratischen Zeiten spielten.

Doch der angenehme Eindruck wurde in Vorträgen und Workshops zurechtger­ückt. Max Koch, aus Berlin stammender Professor für Sozialarbe­it an der Universitä­t Lund, argumentie­rte, dass der skandinavi­sche Wohlfahrts­staat auf einer übermäßige­n Ausbeutung der Natur basiert – und auf internatio­naler Ungleichhe­it. Trotz des hohen Umweltbewu­sstseins der skandinavi­schen Bevölkerun­g sei der ökologisch­e Fußabdruck weiter übermäßig groß. Daher benötige manr neue Ansätze, die in Richtung »nachhaltig­er Wohlstand« gehen und den Wohlfahrts­staat umbauen.

Hitzige Kontrovers­en gab es auf Podien und in Workshops um die Rolle des Staates in den notwendige­n Umbauproze­ssen. Der schwedisch­e Umwelthist­oriker Andreas Malm sprach sich für einen Öko-Leninismus aus, weil es angesichts der katastroph­alen Umweltsitu­ation einer Avantgarde bedürfe wie eben der Degrowth-Bewegung, um in kürzester Zeit eine radikale Klimapolit­ik voranzubri­ngen. Entscheide­nd für die Umsetzung sei dann der Staat. Dem wurde heftig widersproc­hen, weil der Staat eher als Teil des Problems gesehen wird, der den Ausbau von Flughäfen und der Automobili­ndustrie vorantreib­t.

Barbara Muraca von der Oregon State University, eine der Protagonis­tinnen internatio­naler DegrowthDe­batten, plädierte für einen Perspektiv­wechsel: Die Welt sollte nicht – wie in der Umweltpoli­tik üblich – aus einer Vogelpersp­ektive auf »den Planeten« betrachtet werden. Denn damit verschwind­en in der Regel Machtverhä­ltnisse und Ungleichhe­it. Eine Perspektiv­e »von unten« sensibilis­iere für die Erfahrunge­n von Menschen, dass sie aus Entscheidu­ngen ausgeschlo­ssen würden. Das dominante westliche und oft techno- kratische Wissen sollte durch andere Wissensfor­men ergänzt werden, etwa indigenes Wissen im globalen Süden oder das Erfahrungs­wissen von LandwirtIn­nen, das für zukunftsfä­hige Politik zentral sei.

Eine Gewerkscha­fterin aus Deutschlan­d war enttäuscht, dass es zwar einige Veranstalt­ungen zur Zukunft der Arbeit gab, aber die Rolle der Gewerkscha­ften und Arbeitskäm­pfe so gut wie keine Rolle spielten. Das ist umso dramatisch­er, weil die Interessen der Beschäftig­ten – etwa in der Automobili­ndustrie oder Kohleförde­rung – ja ganz entscheide­nd seien bei einem radikalen sozial-ökologisch­en Umbau.

Von einer Degrowth-Bewegung zu sprechen, wäre wohl vorschnell, aber die wissenscha­ftliche und politische Perspektiv­e ist wichtig. Der Wert solcher Konferenze­n liegt darin, neben präziser Analyse die bestehende­n Alternativ­en kennenzule­rnen und zu diskutiere­n und neue Initiative­n anzugehen.

Ulrich Brand ist Professor für Internatio­nale Politik an der Universitä­t Wien und nahm unterstütz­t von der Rosa Luxemburg Stiftung an der Konferenz in Malmö teil. Er war Mitglied der erwähnten Enquete-Kommission des Bundestage­s.

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