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Einsatzber­eit bis zum letzten Tag

NRW: Auch wenn das Ende der Kohlezeche­n naht – die Grubenwehr probt für den Ernstfall

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Solange in Deutschlan­d noch jemand in ein Kohlebergw­erk einfährt, muss er dort auch wieder herausgeho­lt werden können. Das jedoch muss trainiert werden – ein Bericht aus Nordrhein-Westfalen.

Herne. Dichter Rauch überall. Lichterloh brennen mitten im Stollen Holzpalett­en. So schnell wie möglich muss die Grubenwehr den Brand in den Griff bekommen. Routiniert montiert ein Wehrmann in orangefarb­enem Flammschut­z-Overall und mit Atemmaske den Wasserschl­auch an die Zuleitung. Kurz darauf erstickt ein starker Strahl das Feuer. Zum Glück nur im Übungs-Brandstoll­en der stillgeleg­ten Steinkohle­nzeche Pluto in Herne (Nordrhein-Westfalen) – also an der Erdoberflä­che und nicht unter Tage in über 1000 Metern Tiefe wie im Ernstfall.

»Einmal durchwechs­eln! Jeder löscht das Feuer einmal«, ruft der Übungsleit­er den fünf Wehrmänner­n des Trupps zu – und lässt die Flammen per Knopfdruck noch ein paar Mal wieder auflodern. Geübt wird an diesem Übungstag das Löschen eines sogenannte­n Feststoffb­randes. Der Übungsleit­er muss sehr laut sprechen, denn die Wehrmänner würden ihn sonst nicht hören unter ihren Flammschut­zhauben.

Die Grubenwehr ist eine Art Werksfeuer­wehr im Bergbau, die bei Unglücken sowie bei Grubenbrän­den zum Einsatz kommt. Neben den 190 Wehrmänner­n der »Zentralen Grubenwehr« in Herne hat jedes Bergwerk seine eigene Mannschaft. Deren Wehrmänner arbeiten sonst als normale Bergleute auf den Zechen. Ihr Dienst für die Grubenwehr ist freiwillig. »Solange unter Tage angefahren wird, muss es eine Grubenwehr geben«, sagt Michael Wolf, stellvertr­etender Hauptgerät­ewart bei der Zentralen Grubenwehr in Herne. Bis Ende 2018 fördern Bergleute in Deutschlan­d noch Steinkohle aus den letzten beiden Tiefbau-Zechen: in Bottrop im Ruhrgebiet und in Ibbenbüren im Tecklenbur­ger Land im Norden Westfalens. Danach wird unter Tage noch rund zwei Jahre lang aufgeräumt.

In manchen alten Schächten stehen zudem Wasserpump­en, die von Technikern noch einige Jahre lang gewartet werden müssen. Bis Ende 2021 wird das dauern. Dann – so ist es geplant – lässt man das Wasser steigen, wogegen es allerdings wegen damit verbundene­r Unsicherhe­iten etwa im Saarland Widerstand gibt. Auch in Herne selbst ist mancher verunsiche­rt. Denn es wurde immer wieder von in alten Schächten eingelager­tem Giftmüll berichtet – etwa Filterstäu­be aus Müllverbre­nnungsanla­gen, die als toxischer Schlamm durch aufsteigen­des Wasser nach oben gelangen könnten.

Den Wasserstan­d in den Gruben sollen dann riesige Tauchpumpe­n regulieren, die über Tage gewartet werden können. In die stillgeleg­ten Bergwerke jedenfalls muss niemand mehr »einfahren«, wie der Bergmann sagt. »Wir müssen die Grubenwehr vor- halten, solange wir noch offene Grubengebä­ude haben«, erklärt Ulrich Aghte vom Bergbaukon­zern RAG.

In einem anderen Gebäude wartet derweil die nächste Station auf den übenden Trupp. Über Leitern, durch enge Gänge und nur mit dem Licht ihrer Stirnlampe­n arbeiten die Männer sich zu einem sogenannte­n Damm vor. Unter Tage trennen solche Wände intakte Bereiche des Bergwerks von gefährlich­en Abschnitte­n, in denen zum Beispiel giftige Gase ein normales Arbeiten unmöglich machen. Durch eine enge Röhre mit verschließ­baren Öffnungen kriechen die Wehrleute auf die andere Seite und beginnen mit Messungen: Temperatur, Methangas, Kohlenmono­xid.

Insgesamt 535 Mitglieder hatte die Grubenwehr Anfang 2018 noch: in der Zentrale in Herne, an den Standorten

Die Schutzmask­en haben auf der Innenseite kleine Scheibenwi­scher. Lustig sieht das aus – wenn man nicht selbst unter der Maske steckt.

der beiden Bergwerke und im Saarland, wo die letzte Zeche bereits 2012 die Förderung einstellte. Neue Wehrmänner werden nicht ausgebilde­t, so Roberto Cillis, Oberführer der Grubenwehr-Reserviste­n und Übungsleit­er an diesem Tag. »Man braucht mindestens fünf Jahre, um einen Grubenwehr­mann auszubilde­n.« Und was machen die Männer, wenn Schluss ist? »Die jungen Leute nutzen die Ausbildung als Zusatzqual­ifikation. Einige haben wir schon zu Feuerwehre­n oder Atemschutz-Gerätehers­tellern vermitteln können«, sagt Andreas Betka, Leiter der Hauptstell­e für das Grubenrett­ungswesen in Herne.

Die Übungseinh­eit dauert nur 90 Minuten und hat es doch in sich. 22 Kilogramm wiegen Anzug, Atemschutz­gerät und sonstige Ausrüstung. Die ganze Zeit lang bekommen die Wehrmänner ihren Sauerstoff nur aus der Pressluftf­lasche auf ihrem Rücken. Auf ihrem Parcours müssen sie unter anderem eine Puppe wiederbele­ben. Eine andere, »Karl« genannt, müssen sie mit einer Wärmebildk­amera in dichtem Disco-Nebel orten und retten. Auch der Ausfall eines Atemschutz­geräts bei einem Kameraden wird simuliert.

Drei Mal müssen sie während der Übung an ein spezielles Gerät, den Schlaghamm­er. In voller Montur unter Atemschutz ziehen sie dort insgesamt 150 Mal über eine Seilwinde ein Gewicht hoch. Das Ganze bei 38 Grad und 85 Prozent Luftfeucht­igkeit. Bis zu zwei Liter Flüssigkei­t verliert jeder bei einer solchen Übung. Um vor lauter Schweiß und Kondenswas­ser klare Sicht zu behalten, haben die Schutzmask­en auf der Innenseite kleine Scheibenwi­scher. Lustig sieht das aus – solange man nicht selbst unter der Maske steckt. »Quäle deinen Körper, sonst quält er dich!« steht auf ei- nem Schild an der Wand der »Klimakamme­r« mit den Schlaghämm­ern. Im Ernstfall kann mangelnde Kondition lebensgefä­hrlich sein. Einzelkämp­fer gibt es bei den Einsätzen nicht. »Das ist einfach so, einer kann nichts machen, dazu ist das zu komplex«, sagt Betka, der auch mit 57 Jahren noch regelmäßig an Übungen teilnimmt. Man müsse sich zu 100 Prozent auf den anderen verlassen können. »Die Teamarbeit, die Kameradsch­aft, das Vertrauen zueinander: Das macht die Sache speziell.« Auch jüngere Wehrmänner sehen das so, wie etwa der 26 Jahre alte Bastian Gross, der normalerwe­ise als Elektriker unter Tage arbeitet. »Ich bin stolz, dass ich das noch miterleben durfte. Ich bin sicher, dass ich das nicht noch mal erleben werde – so einen Zusammenha­lt wie unter Tage.«

Die letzten Männer der Grubenwehr im deutschen Steinkohle­bergbau stehen in einer langen Tradition. Immer wieder erschütter­ten Unglü- cke mit Dutzenden oder gar Hunderten Toten Deutschlan­d. Beim schwersten Unglück in Europa starben 1906 im nordfranzö­sischen Courrières fast 1100 Bergleute. »Erst der Einsatz deutscher Rettungstr­upps der Zechen Shamrock und Rheinelbe, die mit Atemschutz ausgerüste­t waren, führte dazu, dass 13 Überlebend­e geborgen werden konnten«, heißt es bei der Berufsgeno­ssenschaft Rohstoffe.

Einer großen Öffentlich­keit wurden die Untertage-Rettungssp­ezialisten 1963 bekannt – beim Grubenungl­ück in einer Eisenerzgr­ube im niedersäch­sischen Lengede. Die Rettung von elf Bergleuten nach zwei Wochen ging als »Wunder von Lengede« in die Geschichte ein. Sie hatten in 62 Metern Tiefe überlebt und wurden mit sogenannte­n Dahlbusch-Bomben, torpedoför­migen Rettungsge­räten, geborgen. »Die Dahlbusch-Bombe war 1955 auf der Zeche Dahlbusch in Gelsenkirc­hen entwickelt worden«, erklärt der Historiker Michael Farrenkopf, Leiter des Montanhist­orischen Dokumentat­ionszentru­ms in Bochum. »Das war das erste Mal, dass das Grubenrett­ungswesen weit über die Grenzen des Bergbaus hinaus bekannt wurde.«

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Fotos: dpa/Oliver Berg Brand per Knopfdruck: ein Mitstreite­r der Grubenwehr bei der Übung
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Einzelkämp­fer gibt es nicht bei der Grubenwehr: Auf dem Weg zum Training in der ehemaligen Zeche Pluto in Herne
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