Hetzjagd im Rechtsstaat
Rechtsextreme instrumentalisieren Tod eines Mannes in Chemnitz
Berlin. Die Bundesregierung hat mit deutlichen Worten auf ausländerfeindliche Attacken in Chemnitz reagiert. »Das hat in unserem Rechtsstaat keinen Platz«, erklärte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag in Berlin. Er fügte hinzu: »Solche Zusammenrottungen, Hetzjagden auf Menschen anderen Aussehens, anderer Herkunft, oder der Versuch, Hass auf den Straßen zu verbreiten, das nehmen wir nicht hin.«
In seltener Einigkeit mit Politikern von Linkspartei und Grünen schrieb Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) im Kurznachrichtendienst Twitter: »Es ist wider- lich, wie Rechtsextreme im Netz Stimmung machen und zur Gewalt aufrufen.«
Am Sonntagnachmittag hatten sich mindestens 800 Menschen in der Chemnitzer Innenstadt versammelt. Videos in sozialen Medien zeigten Übergriffe auf Migranten. Rund 50 gewaltbereite Menschen waren laut Polizei unter den Demonstranten. Diese hätten in dem Aufzug den Ton angegeben, sagte die Chemnitzer Polizeipräsidentin Sonja Penzel am Montag. Polizisten seien mit geworfenen Flaschen und Steinen angegriffen worden. Drei Geschädigte, ein Afghane, ein Syrer und ein Bulgare, hätten bislang Anzeige erstattet.
Auslöser der Gewalt war ein tödlicher Streit in der Nacht zum Sonntag nach dem Chemnitzer Stadtfest. Ein 35-jähriger Deutscher war im Krankenhaus an seinen Verletzungen gestorben. Die Staatsanwaltschaft Chemnitz beantragte am Montag Haftbefehle gegen einen Syrer (23) und einen Iraker (22). Ihnen wird gemeinschaftlicher Totschlag vorgeworfen.
Für Montagabend rief die rechte Bürgerbewegung »Pro Chemnitz« zu einer Versammlung in der Stadt auf. Dagegen wollten verschiedene Gruppen unter dem Motto »Nein zu Rassismus und Gewalt« im Stadthallenpark Chemnitz demonstrieren.
Nach einer tödlichen Messerstecherei marschierten etwa 1000 Rechte in Chemnitz auf, die Polizei war damit sichtlich überfordert. Der Stadt stehen unruhige Tage bevor. Als sich am Sonntagnachmittag Hunderte Rechte in der Chemnitzer Innenstadt treffen, wird rasch klar: Den fast 1000 gewaltbereiten, rechten Hooligans und anderen Neonazis steht ein viel zu kleines Aufgebot an Polizisten gegenüber. Die Beamten sind mit nur etwa 100 Einsatzkräften vor Ort. Kontrollieren lässt sich die aufgeheizte Gruppe damit nicht, was die Polizei noch am Abend einräumt. Die Gruppierung habe »keine Kooperationsbereitschaft« gezeigt und »reagierte nicht auf die Ansprache« durch die Beamten, hieß es in einer ersten Einschätzung. Was das bedeutet, dokumentieren mehrere über die sozialen Netzwerke verbreitete Videos, die teils von anwesenden Antifaschisten ins Netz gestellt wurden, teils von Rechtsradikalen selbst. Sie zeigen, wie Teile des Aufmarsches zu einer Hetzjagd auf Menschen ansetzen, die aus ihrer Sicht keine Deutschen sind.
In einem Video ist zu sehen, wie mehrere Männer auf zwei Personen losstürmen und diese sich über eine befahrene Straße flüchten. Währenddessen skandiert die Gruppe: »Haut ab« und »Ihr seid hier nicht willkommen«. In einem zweiten Clip ist zu hören, wie aus dem Aufmarsch heraus jemand »Zecken« brüllt und damit auf eine Gruppe vermeintlicher Linker hinweist, die aus der Ferne das Geschehen beobachten. Wieder stürmen mehrere Rechte los, die Menge grölt, pfeift und lacht. Am Ende des Tages ist es wohl eher dem Zufall zu verdanken, dass nichts Schlimmeres passiert. Aus seinen Absichten machte der rechte Mob keinen Hehl. Antifaschisten, die vor Ort waren, berichten dem »nd«, wie Rechte zum »Kanakenklatschen!« aufgerufen haben sollen und die rechte Parole »Frei, sozial und national« skandierten.
Dass die Situation derartig eskalierte, hatte auch mit Falschinformationen zu tun, die über den Anlass des Aufmarsches verbreitet wurden. Am frühen Sonntagmorgen war es in der Chemnitzer Innenstadt zu einer Messerstecherei gekommen, deren konkreter Hergang noch ermittelt werden muss. Sicher ist nur: Infolge der Auseinandersetzung von etwa zehn Personen unterschiedlicher Nationalität wurden drei Männer teils schwer verletzt, ein 35-Jähriger erlag später im Krankenhaus seinen Verletzungen. Am Sonntagvormittag verbreitete sich dann über die sozialen Netz- werke das Gerücht, Auslöser des tödlichen Streits seien Migranten gewesen, die auf dem gerade stattfindenden Stadtfest Frauen belästigt hätten. Zudem hieß es, es habe einen zweiten Toten gegeben. Die Polizei stellte klar, es handle sich um Falschinformationen, doch da hatte sich die Geschichte längst verselbstständigt.
Zusätzlich Öl ins Feuer goss zudem die Berichterstattung der »Bild«, die in einem Onlineartikel die Gerüchte teilweise übernahm, was wiederum Grundlage für einschlägige rechte Websites wie Plattform »PINews« war, der Geschichte einen aufgeheizten Dreh zu geben. Schließlich war es die AfD Chemnitz, die für Sonntagnachmittag zu einer »Spontandemo« mobilisierte, an der sich zunächst etwa 100 Menschen beteiligten.
Wohl dadurch zusätzlich motiviert, riefen auch andere rechte Gruppierungen über die sozialen Netzwerke auf, durch die Innenstadt zu marschieren. »Lasst uns zusammen zeigen, wer in der Stadt das Sagen hat«, hieß es in einem inzwischen gelöschten Aufruf auf der Facebook-Seite der rechten Ultragruppe »Kaotic Chemnitz«, die sich im Umfeld des Fußballvereins Chemnitzer FC organi- siert. Selbst Sachsens Verfassungsschutz ist die Gruppierung ein Begriff. Die Behörde stuft »Kaotic« als »rechtsextremistische Hooligangruppierung« ein, ebenso wie die schon dem Namen nach als Neonazi-Gruppe ersichtlichen »NS-Boys« (»New Society Boys«). Entsprechend war der Aufmarsch vom Sonntag auch keine friedliche Zusammenkunft, die nur ein Todesopfer betrauern wollte. Einschlägig bekannte Rechte waren ebenso beteiligt, wie Anhänger der Neonazipartei »Der III. Weg« und lokale Kameradschaften. Die Chemnitzer Neonaziszene gilt schon seit den 1990er Jahren als gut vernetzt, nicht grundlos tauchten hier 1998 die NSUTerroristen Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe ab.
Aus Sicht von AfD-Vertretern versammelten sich am Sonntag jedoch nur sogenannte besorgte Bürger. »Wenn der Staat die Bürger nicht mehr schützen kann, gehen die Menschen auf die Straße und schützen sich selber. Ganz einfach«, rechtfertigte der Bundestagsabgeordnete Markus Frohnmaier den Aufmarsch, der an blinde Selbstjustiz erinnerte.
Deutlich differenzierter äußerten sich Vertreter anderer Parteien im Freistaat. »Die Ereignisse der letzten 48 Stunden in Chemnitz machen mich fassungslos«, sagte Sachsens LINKEChefin Antje Feiks. Den gewaltsamen Tod eines Menschen habe sie mit Bestürzung zur Kenntnis genommen. Die sich anschließende Mobilisierungswelle im Spektrum der extremen Rechten und Hooligans lasse Erinnerungen an die Pogrome zu Beginn der 1990er Jahre aufkommen. »Chemnitz darf kein zweites Rostock-Lichtenhagen werden«, warnte Feiks.
Die Grünen im Freistaat gaben der sächsischen Landesregierung eine Mitschuld an den Ereignissen. Es fehle seit Jahren eine klare Haltung gegen rechts, und man habe jene gewähren lassen, die hetzten und zündelten, so Parteichefin Christin Melcher. Frühere Vorfälle wie in Heidenau oder Clausnitz und das teils zögernde Eingreifen von Polizeibeamten dort hätten ein Signal gegeben, dass solche Gewaltexzesse nicht durchgreifend geahndet würden. Tatsächlich sorgte Sachsen in den letzten Jahren immer wieder für Schlagzeilen, weil es aus rechten Aufmärschen heraus immer wieder zu Hetzjagden auf Migranten und Linke gekommen war.
Chemnitz stehen heikle Tage bevor. Für Montagabend mobilisierten mehrere Neonazigruppen zu Aufmärschen, auch aus dem Umfeld von Pegida sind in den nächsten Tagen Aktionen angekündigt. Antifaschisten wollen ihrerseits dagegenhalten.