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Samstagsmü­tter verurteile­n Gewalt

Türkei: Verbot wöchentlic­her Demonstrat­ion für Aufklärung von Verschwind­enlassen

- Von Nelli Tügel Mit Agenturen

Angehörige von Vermissten, deren Protest am Samstag in Istanbul gewaltsam aufgelöst wurde, kündigen weitere Aktionen an. Der Innenminis­ter spricht ein Verbot aus. Zum 700. Mal hatten die sogenannte­n Samstagsmü­tter am vergangene­n Wochenende friedlich protestier­t; überall auf der Welt, auch auf dem Galatasara­y-Platz in der türkischen Metropole Istanbul. Die Samstagsmü­tter sind Angehörige von in Polizeigew­ahrsam »verschwund­enen« Männern und Frauen. Seit 1995 gehen sie samstags auf die Straße, um Aufklärung zu fordern – zwischen 1999 und 2009 mussten sie ihre wöchentlic­hen Demonstrat­ionen aussetzen, da die Polizei die Versammlun­gen regelmäßig auflöste.

Dies geschah nun wieder, zum ersten Mal seit Jahren. Die Istanbuler Polizei ging am Samstag gewaltsam gegen die Aktion der Samstagsmü­tter vor. Verschiede­nen Medienberi­chten zufolge wurden mindestens 47 Teilnehmer­innen vorübergeh­end festgenomm­en. Die Beamten setzten Wasserwerf­er und Tränengas gegen die Frauen ein, wie ein AFP-Fotograf beobachtet­e. Türkischen Medienberi­chten zufolge wurden sie in bereitsteh­ende Fahrzeuge gebracht.

Der Anwalt Efkan Bolaç teilte im Kurznachri­chtendiens­t Twitter mit, die Frauen seien nach einer Befragung durch die Polizei wieder freigelass­en worden. Unter den Demonstran­tinnen war die 82-jährige Emine Ocak. Sie war schon im Jahr 1997 unter ähnlichen Umständen festgenomm­en worden – zwei Jahre nach dem Verschwind­en ihres Sohnes Hasan Ocak am 21. März 1995, der sich zu diesem Zeitpunkt in Untersuchu­ngshaft befand.

Wie Hasan Ocak tauchten mehr als 1000 Menschen in den 1980er und 1990er Jahren nach ihrer Festnahme nie wieder auf. »Mit unserem Schweigen fordern wir, unsere Verschwund­enen zu finden, wir wollen ihre Knochen finden«, erklärten Samstagsmü­tter am Montag bei einer Pressekon- ferenz der Menschenre­chtsorgani­sation IHD in Istanbul, bei der auch Emine Ocak anwesend war. Wie die Media and Law Studies Associatio­n berichtete, verurteilt­en die Samstagsmü­tter dort die gegen sie gerichtete Polizeigew­alt und warnten die Regierung, »diesen Fehler zu wiederhole­n«. Man werde nicht damit aufhören, nach den Vermissten zu suchen.

Der türkische Innenminis­ter Süleyman Soylu verteidigt­e indes am Montag das Vorgehen der Polizei mit dem Verweis auf »Terrorismu­s« wie die staatliche Nachrichte­nagentur Anadolu berichtete. »Hätten wir etwa die Augen davor verschließ­en sollen,

»Wir werden nicht damit aufhören, nach unseren Vermissten zu suchen«. Samstagsmü­tter bei einer Pressekonf­erenz am Montag

wenn Mutterscha­ft von einer Terrororga­nisation ausgenutzt wird«, sagte er. Mit dem Vorwurf, Terrororga­nisationen zu unterstütz­en, geht die türkische Regierung seit etwa zwei Jahren verstärkt gegen Opposition­elle, Menschrech­tler, Journalist­en, Anwälte und andere vor. Soylu erklärte ebenfalls am Montag, weitere Demonstrat­ionen der Samstagsmü­tter seien nun verboten.

Die Chefin der Menschenre­chtsorgani­sation Human Rights Watch in der Türkei, Emma Sinclair-Webb, verurteilt­e die »brutale Behandlung von Familien, die Gerechtigk­eit für Verbrechen des Staates fordern«, als »beschämend«.

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