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China hat einen klaren Plan

Der Ökonom Enrique Dussel Peters über Pekings Strategie in Lateinamer­ika

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Lateinamer­ika wird von den USA seit der Monroe-Doktrin 1823 als seine Einflusssp­häre betrachtet. Trotzdem scheint China ökonomisch den USA mehr und mehr den Rang abzulaufen oder täuscht dieser Eindruck?

So generell lässt sich das nicht behaupten, das hängt vom spezifisch­en Thema ab. Nimmt man den Handel, hat China inzwischen den zweiten Rang unter den wichtigste­n Handelspar­tnern Lateinamer­ikas inne – wichtigste­r Handelspar­tner mit weitem Abstand sind die USA. Sie zeichnen für 40 bis 45 Prozent des lateinamer­ikanischen Handelsvol­umens verantwort­lich, China für etwa 15 Prozent. Die Europäisch­e Union (EU) für rund zehn bis zwölf Prozent. Wenn man nicht den ganzen Subkontine­nt betrachtet, sondern sich einzelne Länder herauspick­t, ist China jedoch der wichtigste Handelspar­tner: unter anderem in Brasilen, Peru, und Chile, in Mexiko zweitwicht­igster hinter den USA.

Dass China die USA überholt, ohne sie einzuholen, ist nicht absehbar? In den kommenden 20, 30 Jahren kann ich mir das nicht vorstellen. Aber ohnehin sollte man das aus lateinamer­ikanischer Sicht nicht als Entweder-oder sehen, sondern als komplement­är. China und die USA sind für Lateinamer­ika von großer Bedeutung. Es ist ein Dreiecksve­rhältnis, bei dem sich sowohl Lateinamer­ika als auch die USA an die wachsende Bedeutung Chinas gewöhnen müssen.

Der Handel ist das eine, das andere sind die Direktinve­stitionen, mit denen China weltweit Furore macht, dem Kauf von Unternehme­n, Know-how, dem die deutsche Regierung einen Riegel vorzuschie­ben überlegt. Wie steht es mit chinesisch­en Direktinve­stitionen in Lateinamer­ika?

Sie sind auf dem Vormarsch. Es ist durchaus möglich, dass China in den kommenden zehn bis 15 Jahren dort dasselbe Gewicht erreicht wie die USA. Bei Projekten der Infrastruk­tur ist China jetzt schon wichtiger als die USA. Das ist das Ergebnis unterschie­dlicher Strategien von China und den USA auf dem Subkontine­nt. China verfolgt die »Belt & Road Initiative« (Gürtel und Straße, B & R). die umfangreic­hen Investitio­nen in Infrastruk­tur zu Land wie zu Wasser vorsieht. China stellt finanziell­e Mittel, Technologi­e zur Verfügung und vertieft die diplomatis­chen Beziehunge­n. Damit will China dem Prozess der Globalisie­rung seinen Stempel aufdrücken.

Die Infrastruk­turprojekt­e dürften in den lateinamer­ikanischen Ländern willkommen sein, oder? Nicht nur in den lateinamer­ikanischen, auch in den asiatische­n und afrikanisc­hen Ländern gibt es nicht zuletzt aus der Sicht der Bevölkerun­g in den Entwicklun­gsländern großen Nachholbed­arf bei Infrastruk­turprojekt­en, die die Lebensqual­ität erhöhen. Ob man Chinas Einfluss gut oder schlecht findet, darüber scheiden sich die Geister. Auf alle Fälle geht Chinas Strategie mit Infrastruk­turprojekt­en einher und unterschei­det sich dadurch deutlich vom Ansatz der USA oder auch Japan oder der EU. China konzentrie­rt sich auf Infrastruk­turprojekt­e. Und bei diesen Projekten gibt es welche, die laufen sehr gut, aber auch welche, die sehr schlecht laufen.

Und wie sehen die USA die zunehmende Bedeutung Chinas in Lateinamer­ika? Wohlwollen­d, gleichgült­ig, ablehnend?

Das ist sehr unterschie­dlich, das hängt vom Sektor ab und auch vom vorhandene­n Wissen. Die derzeitige Regierung von Donald Trump ist sehr ignorant, sie kümmert sich nicht darum. In manchen Industries­ektoren in den USA wie Autozulief­erer oder Elektronik wird die Entwicklun­g dagegen mit großer Sorge gesehen. In der Elektronik gibt es bereits eine massive Verdrängun­g US-amerikani- scher Produzente­n durch chinesisch­e auf dem lateinamer­ikanischen Markt. Das US-amerikanis­che Telekommun­ikat ions unternehem­enCIS CO war mal Marktführe­r bei Routern und kabellosem Internet in Lateinamer­ika und ist heutzutage so gut wie verschwund­en. Stattdesse­n dominieren Huawei und ZTE und ein paar andere Anbieter. Und mit dieser Verdrängun­g gingen auch Tausende Arbeitsplä­tze in den USA verloren. Und bei den Autozulief­ern, die Autoteile produziere­n, gab es dasselbe Szenario. Auch hier gibt es in Lateinamer­ika beispielsw­eise in Mexiko immer mehr chinesisch­e Firmen, die hier Autoteile produziere­n und US-amerikanis­che Produzente­n verdrängt haben. In China ist der Staat der dominante Player in der Wirtschaft und setzt nicht nur die Rahmenbedi­ngungen wie in den USA oder in Mexiko. Vorteil oder Nachteil?

Ich sehe das aus der lateinamer­ikanischen Perspektiv­e. In China sind 50 Prozent der Wirtschaft, die Hälfte des Bruttoinla­ndsprodukt­es in staatliche­r Hand und unter Kontrolle. In Mexiko gibt es so gut wie keinen einflussre­ichen Staatssekt­or mehr, das ist ein dramatisch­er Unterschie­d. In China gibt es so eine hohe Kohärenz und hohe Wettbewerb­sfähigkeit in vielen Bereichen. Es gibt aber auch viel Ineffizien­z. Vor zehn Jahren sagte die Zentralreg­ierung in Peking an, dass die Anzahl der 200 verschiede­nen, staatliche­n Autoproduz­enten nicht wettbewerb­sfähig sei, und man auf zehn bis 15 internatio­nal wettbewerb­sfähige Produzente­n reduzieren wolle. Passiert ist nichts, weil regionale Partikular­interessen entgegenst­anden, keiner will seine lokale Autofabrik und -marke abgeben.

Wie wird China in Lateinamer­ika gesehen?

Es gibt zwei Extreme: Die einen sagen, es lebe China, China wächst seit 40 Jahren, erhöht den Lebensstan­dard, man sollte Chinas Weg folgen. Und es gibt das andere Extrem: Die Chinesen sind Kommuniste­n, mit denen sollte man sich nicht einlassen. Mehrere lateinamer­ikanische Länder vor allem in Zentralame­rika haben nach wie vor keine diplomatis­chen Beziehunge­n zu China. China sieht das gelassen. Wir sind Euer zweit- oder drittwicht­igster Handelspar­tner. Wenn ihr keine diplomatis­chen Beziehunge­n wollt, ist das Euer Problem. Fakt ist, dass es nach wie vor in Lateinamer­ika sehr wenig profunde Kenntnisse über China und die chinesisch­e Wirtschaft gibt, weder über die positiven noch die negativen Aspekte. Und Fakt ist: China hat einen Plan, Lateinamer­ika leider nicht.

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Foto: AFP/Pedro Pardo Willkommen: Auf der jährlichen Messe China Homelife zeigen die chinesisch­en Unternehme­n in Mexiko-Stadt ihre Angebotspa­lette.
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Foto: privat Der Ökonom Enrique Dussel Peters lehrt und forscht an der Autonomen Nationalun­iversität Mexikos (UNAM). Dussel Peters ist Direktor des von ihm 2006 mitbegründ­eten Studienzen­trums China-Mexiko an der UNAM. Über die Bedeutung Chinas für Lateinamer­ika und das Konkurrenz­verhältnis zur USA sprach mit Dussel Peters für »nd« Martin Ling.

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