Für die Busfahrerin zu teuer
Deutsche Wohnen feiert Richtfest für Holzhäuser in der Eisenbahnersiedlung von Elstal
Die Deutsche Wohnen rettete die Eisenbahnersiedlung von Elstal vor dem Verfall und baut neu. Mieter und die LINKE sind aber nicht ausschließlich glücklich darüber, was sich hier abspielt. Am Anfang war der Rangierbahnhof. Dazu wurde vor 100 Jahren die Eisenbahnersiedlung gebaut. Aus dieser Siedlung entwickelte sich Elstal im Havelland, so wie man es heute kennt. In dem Ort entstand später beispielsweise das Olympische Dorf für die Sommerspiele von 1936 in Berlin. Aber das ist eine andere Geschichte. Die soll hier nicht erzählt werden. Stattdessen soll es um die Eisenbahnersiedlung gehen, in der Hildegard Müller mit ihrem Mann bereits seit 1972 wohnt. Einige Nachbarn sind sogar noch früher eingezogen. Das denkmalgeschützte Ensemble mit Kleingärten und Stallungen für Vieh ist eigentlich ein idyllisches Fleckchen.
Doch vor sieben Jahren schämte man sich bei dem Anblick, erinnert Holger Schreiber, parteiloser Bürgermeister der Gemeinde Wustermark, zu der Elstal gehört. Die Siedlung zerfiel zusehends. Rund 70 Prozent der Wohnungen standen leer. Wer noch dort lebte, überlegte bereits, was aus ihm werden sollte. »Die Situation war eine Katastrophe«, betont der Bürgermeister. Als Kulisse für Kriegsfilme habe die Gegend vielleicht noch getaugt, aber zum Leben?
Dann kaufte die Deutsche Wohnen die Häuser. Eine Sanierung war dringend notwendig. Doch das Unternehmen ließ es dabei nicht bewenden und modernisierte die Quartiere. Mit einer logischen Folge: drastische Erhöhung der Mieten. Knapp 300 Euro warm haben Hildegard Müller und ihr Mann früher pro Monat für ihre 58 Quadratmeter bezahlt. Jetzt verlange die Deutsche Wohnen 539 Euro, erzählt Frau Müller. Sie will nicht nur meckern. »Die Fenster, die sind gut.« Die alten waren in einem desolaten Zustand. Im Winter zog kalte Luft durch die Ritzen.
Aber sonst sind die Müllers unzufrieden. Ihr Bad hatten sie nach der Wende selbst gefliest. Das hätte nach ihrer Ansicht so bleiben können. Doch der neue Eigentümer ließ alles rausreißen und umbauen. »Die Badewanne von hinten nach vorn, die Toilette von links nach rechts«, erklärt die hochbetagte Seniorin. Einen Vorteil für sich kann sie nicht erkennen. Im Gegenteil: Jetzt sei alles so angeordnet, dass ihr der Ehemann nicht mehr aus der Wanne helfen könne. Den kleinen Trockenraum zum Aufhängen der Wäsche empfindet sie als Zu- mutung, und sie zeigt feuchte Stellen im Keller.
Derweil kämpft eine Mieterin in einem anderen Gebäude mit Schimmel an den Wänden. Im Moment ist nichts zu sehen, nur die frischen Tapetenbahnen an den Stellen, wo der Schimmel gesessen haben soll. Doch wenn die Heizperiode herangerückt sei, werde der Schimmel wieder kommen, erwartet die Frau. Ein Arzt habe ihr bescheinigt, dass sich ihre gesundheitlichen Probleme durch den Schimmel verstärkt haben, sagt sie. Dem Sohn gehe es besser, seit er sich woanders eine eigene Bleibe suchte. Auch die Mutter möchte mit ihrem Mann nun so schnell wie möglich ausziehen. Die vom Schimmel befallene Rückseite eines Schranks hat sich Wustermarks Linksfraktionschef Tobias Bank von der Familie geben lassen und in der Gemeindevertretersitzung vorgezeigt. Bei Bank häufen sich Beschwerden über die Deutsche Wohnen.
Nach Kenntnis von Unternehmenssprecherin Manuela Damianakis gibt es allerdings nicht auffällig viele Beschwerden. Die Mieterhöhungen rechtfertigt sie mit den Modernisierungen. Leerstand gebe es fast gar keinen mehr.
Na klar: Wohnungen sind hier im Berliner Speckgürtel inzwischen genauso gefragt wie in der Hauptstadt selbst. Wer eine Bleibe braucht, akzeptiert auch horrende Mietpreise. Er ist froh, wenn er überhaupt etwas findet.
Immerhin leistet die Deutsche Wohnung in gewisser Hinsicht auch einen kleinen Beitrag zu eine möglichen leichten Entspannung auf dem Wohnungsmarkt. In der Eisenbahnersiedlung lässt sie für 6,5 Millionen Euro vier moderne Häuser mit je drei Geschossen errichten. Alle Wandund Deckenelemente sind dabei aus Holz, die Treppen und die Fenster ebenfalls. Außerdem wird als Dämmmaterial Holzwolle verwendet. Noch in diesem Jahr sollen die ersten drei Häuser mit 17 Wohnungen fertig sein, das vierte Haus mit sieben weiteren Wohnungen Anfang 2019.
Stefan Degen, Geschäftsführer der Deutsche Wohnen Construction und Facilities GmbH spricht am Montag beim Richtfest von einem »hochkarätigen Prototyp«, der so oder so ähnlich auch an anderer Stelle realisiert werden könnte. In der Bundesrepublik sind bislang Eigenheime aus Holz gebaut worden. Hier aber erfolgt Geschosswohnungsbau. »Deutschland begibt sich langsam auf den Holzweg«, findet Degen – und seine Firma gehört nun zu den Vorreitern.
Brandenburgs Infrastrukturministerin Kathrin Schneider (SPD) spendet Lob. »Schnell, preiswert und nachhaltig« sollte gebaut werden, sagt die Ministerin beim Richtfest. Neubau werde dringend benötigt, um die Nachfrage befriedigen zu können. Darum kümmern sollen sich vor allem Wohnungsgenossenschaften und kommunale Wohnungsgesellschaften. »Aber wir brauchen auch private Investoren und den Häuslebauer.« An Häuslebauern mangele es nicht im Berliner Speckgürtel. Benötigt werde Geschosswohnungsbau.
Linksfraktionschef Bank bestätigt, dass Mietwohnungen gebraucht werden. Aber bezahlbare! Die Entwicklung in der Eisenbahnersiedlung führe jedoch dazu, »dass sich die Busfahrerin und der Verkäufer eine Wohnung in Elstal nicht mehr leisten können«. Wenn die Deutsche Wohnen Dachgeschosse ausbaue, Nebengelasse in Wohnungen verwandele und vielleicht noch Gärten für Neubauten opfern wolle, so verringere dies nicht nur die Lebensqualität im Viertel. Wo immer teure Neubauwohnungen entstehen, steigen fast zwangsläufig die Preise für die Altbauwohnungen. Denn was verlangt werden dürfe, richte sich nach den Vergleichsmieten. Insofern sind die innovativen Holzhäuser, gegen die Tobias Bank im Prinzip erst einmal nichts einzuwenden hat, dann seiner Ansicht nach doch ein Problem für Elstal.
Aus dem Bevölkerungswachstum der Ortschaft ergeben sich noch andere Schwierigkeiten. Zusätzliche Wohnungen bedeuten, dass Kitas und Schulen gebaut werden müssen, weiß Bürgermeister Schreiber. Ihm wird schwindelig, wenn er an die Summen denkt, die seine Gemeinde deswegen in den kommenden Jahren investieren muss. »Wir lösen hier draußen zum Teil Probleme, die Berlin nicht löst«, beklagt Schreiber mit Blick auf den unzulänglichen Wohnungsneubau in der Hauptstadt.
Nach dem Bürgermeister spricht beim Richtfest noch Maren Kern, Vorstand des Verbandes Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen. Sie versucht, die Deutsche Wohnen gegen Kritik von Politik und Presse in Schutz zu nehmen. Kommunalpolitiker Tobias Bank will keineswegs nur schimpfen. Kritik am Geschäftsgebaren hält er aber für berechtigt.