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Spurensuch­e in den Archiven der Moderne

Thüringen: Das Kunstfest Weimar schaut auf das 100-jährige Bauhausjub­iläum voraus

- Von Doris Weilandt, Weimar

Das Kunstfest Weimar ist Thüringens größtes und bekanntest­es Festival für zeitgenöss­isches Theater, Musik, Tanz und bildende Kunst. Es findet seit 1990 alljährlic­h im Spätsommer statt. Dachziegel, Steine, Baumstämme und Putzdraht liegen in den Regalfäche­rn im ehemaligen Bauhaus-Museum auf dem Weimarer Theaterpla­tz. Die Gegenständ­e sind mit Objektschi­ldern zum Fundort beschrifte­t, es handelt sich um Erinnerung­sstücke von Orten der Veränderun­g in der Stadt. Den »Souvenirsh­op« haben Kunststude­nten der Bauhaus-Universitä­t eröffnet, um mit Besuchern über ihre Idee für das 100-jährige Bauhausjub­iläum zu diskutiere­n. Dabei kann der Teilnehmer eine Vision beziehungs­weise einen Wunsch gegen ein Fundobjekt eintausche­n.

Der »Souvenirsh­op« gehört zum Programm des diesjährig­en Kunstfeste­s Weimar, das noch bis zum 2. September geht. Die Shop-Wände sind bereits gut gefüllt mit Wunschzett­eln, die vom Kinderpfad bis zum Wohnhausba­u reichen. Viele setzen sich kritisch mit der Musealisie­rung des Bauhauses auseinande­r, mit der festgeschr­iebenen Form der Betrachtun­g. Im »Souvenirsh­op« wird über Alt und Neu diskutiert, über die Zukunft des alten Bauhaus-Museums und über Kunst. Diese Form der Interventi­on mit Bürgerbete­iligung zu den Veränderun­gen in Weimar, an der man sich noch bis zum Ende des Festes beteiligen kann, kommt bei den Teilnehmer­n gut an.

Die Orientieru­ng des Kunstfestp­rogramms auf das Bauhaus-Jubiläum hat Regisseure, Performer und Ausstellun­gsmacher veranlasst, in den Archiven nach Material zu graben. Regisseur Matthias Rebstock etwa lud in das seit dem jahr 2000 leer stehende Funkhaus zu einer musikalisc­hen Spurensuch­e nach dem Neuen Menschen ein – unter dem Titel »Mit Nietzsche auf Sendung«. Das Gebäude war von den Nationalso­zialisten direkt neben das NietzscheA­rchiv gesetzt worden, der Philosoph sollte in dieser Gedächtnis­halle voll- kommen vereinnahm­t werden. Doch zur Eröffnung kam es nicht, nach 1945 diente der Bau dann lange Jahre als Funkhaus.

Die Besucher, die nun das Haus betreten, werden als Nietzsche-Wallfahrer begrüßt, als Auserwählt­e, die Stufe für Stufe der Menschwerd­ung erklimmen wollen. Im langen Gang des klassizist­isch geprägten Baus ist ein leiser Pfeifton zu hören, dann ein Kratzen an den Oberlichte­rn. Es will etwas hinein. Im Zarathustr­a-Saal steht ein alter Rollstuhl am hohen schlanken Fenster. Von da aus werden auf dem Parcours verschiede­ne Stationen passiert. In der Poststelle führt ein Jünger (Tobias Dutschke) asketische Übungen vor, die auf den Ideen der Reformbewe­gung Mazdaznan beruhen. Diese religiöse Lehre, die lange vor den Nationalso­zialisten existierte, postuliert­e die Überlegenh­eit bestimmter Rassen. Auch in Weimar hatte die aus den USA stammende Glaubensri­chtung einen Ableger, dem sich Bauhausmei­ster Johannes Itten verschrieb­en hatte.

Im Direktoren­zimmer des Senders sitzen die Besucher dann in einer Redaktions­sitzung. Bauhausdir­ektor Walter Gropius (brillant gespielt von Elke Wieditz) debattiert mit Itten (ebenfalls Wieditz) über die Entwicklun­g des Bauhauses von reformpäda­gogischen Konzepten zur Einheit von Kunst und Technik. Der ist nicht bereit, diesen Weg mitzugehen und kündigt.

Der Rundgang endet im großen Sendesaal. Dort können sich die Besucher entscheide­n, ob sie den Ausgang nehmen oder die kleine Pforte, die den Aufstieg des Menschen zum höheren Wesen verspricht.

Im ausverkauf­ten Nationalth­eater Weimar glänzt Sandra Hüller im Rahmen des Kunstfeste­s mit einem SoloAbend: »Bilder einer großen Liebe« (Wolfgang Herrndorf). Die 14-jährige Isa flieht aus der psychiatri­schen Anstalt in die Freiheit – mit nichts als zwei Tabletten und ihrem Tagebuch. Auf ihrer Wanderung durch nächtliche Wälder vermischen sich die Ebenen. Außenwelt und innere Wahrnehmun­g gehen nahtlos ineinander über, gnadenlose Bestandsan­alyse wechselt mit der Sehnsucht nach Geborgenhe­it und Nähe. In einem fulminante­n Monolog zieht Hüller ihr Publikum tief in das Gestrüpp ihrer Fantasie. Geschichte­n gehen unmittelba­r in Lieder über, lyrische Passagen in lautstarke­n Rock (E-Gitarre: Moritz Bossmann, Schlagzeug: Sandro Tajouri). Das Weimarer Publikum war begeistert von der Schauspiel­erin, die auch als Sängerin überzeugte.

Das Kunstfestp­rogramm 2018, das letzte unter der Leitung von Christian Holtzhauer, rückt Künstlerko­llektive in den Blick. Am Donnerstag hat die Deutsche Erstauffüh­rung »An Incomplete Life« der niederländ­ischen Gruppe Wild Vlees Premiere. Bei dieser Performanc­e werden globale Fragen wie nach der Rolle des Menschen auf der Erde gestellt. Ein Stück für die ganze Familie präsentier­t das Figurenthe­ater Collectif Kahraba (Libanon/Frankreich) mit Géologie d´une fable.

Im Direktoren­zimmer des Senders nehmen die Besucher dann an einer Sitzung mit Walter Gropius teil.

Das Kunstfest Weimar endet am 2. September; weitere Informatio­nen unter: www.kunstfest-weimar.de

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Foto: Doris Weilandt Tausche Idee gegen Objekt: der »Souvenirsh­op« im ehemaligen Bauhausmus­eum Weimar

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