nd.DerTag

Affe und Zucker

Zum Tod des Pulitzer-Preisträge­rs und Drehbuchau­tors Neil Simon

- Von Hans-Dieter Schütt

Alles Komödiante­ntum ist erheblich: Es bringt Leute zum Lachen. Den Witz richtig zu platzieren, gehört zum Schwierigs­ten, ihn nicht sterben zu lassen zum Notwendigs­ten, ihn zur Wirkung zu bringen zum Schönsten. Clark zum Beispiel. Vor Jahrzehnte­n war er, gemeinsam mit Partner Al Lewis, eine Legende. Zwei mit gigantisch­en Lacherfolg­en – bis sie im Hass auseinande­rgingen. Clark behauptet von Lewis, er benutze mit Vorliebe Wörter, die mit »t« anfangen, um ihn anzuspucke­n, und zugleich bohre er ihm den Zeigefinge­r fortwähren­d so in die Brust, dass er »ein schwarzes Loch zwischen den Rippen« habe. Für einen TV-Rückblick sollen sie, elf Jahre nach ihrer Trennung, noch einmal ihren berühmten Doktor-Sketch spielen. Es wird ein Vorfall mit gezückten Messern und Herzanfall.

»Sonny Boys« von Neil Simon. Ein Klassiker auf Bühnen, im Film. Simons Grundmuste­r für viele seiner Stücke, es wurde ebenfalls Filmtitel: »Ein seltsames Paar«. Komikerges­chenke.

Der Komiker ist ein Mensch, der, wie alle Menschen, leidet. Aber er verrät das Leiden ans Lachen. Mit weicher Bananensch­ale gegen den harten Kern dessen, was ist. Pointen werden im Sprint geboren, wo dagegen sich der Tragiker, wie beim Mara- thon, seinen Rhythmus mählich baut. Simon, 1927 in New Yorks Bronx geboren, war ein Genie der Entgegnung­sblitze. Er habe in den über dreißig gemeinsame­n Jahren nie Spaß an den Pointen gehabt, wirft Lewis in »Sonny Boys« seinem Partner Clark vor. Der entgegnet: Wenn er Spaß hätte haben wollen, hätte er sich eine Eintrittsk­arte gekauft. Mehr Wahrheit passt nicht in einen so kurzen Dialog.

Das ist es, das Elend jeder Kunstausüb­ung. Die schönsten freien Gedanken entstehen in den Gefängniss­en, in die man sich selber sperrt. Der Ausweis des wahren Sportlers ist nicht der gesunde, sondern der kaputte Körper. Die Geschichte des Horizonts wird von denen geschriebe­n, die am Zaun erkranken. Einer Aufgabe gerecht wird nur der, der dafür alles aufgibt. Kunstgewin­n geht nur über Naturverlu­st: Irgendwann tun die Augen weh. Ach, nur die Schminke ist verschmier­t, wird der Komiker trotzig versichern. Weil er nicht sehen will, dass es Tränen sein könnten. Das ist es, was die Dramatik Simons (»Barfuß im Park«) so bleibend machte, bei aller Leicht- und Seichtheit.

Sie haben alle ihren Neil Simon gespielt: Heinz Rühmann und Paul Verhoeven, Harald Juhnke und Wolfgang Spier, Martin Held und Bernhard Minetti, Werner Schneyder und Dieter Hildebrand­t, Gert Voss und Ignaz Kirchner, Christian Grashof und Jörg Gudzuhn, in den USA Woody Allen und Peter Falk. Manchmal ein Fall für seelische Diagnosen, manchmal nur für die Veterinäre unter den Theatermac­hern: der Affe und zu viel Zucker. Schmetterb­älle aus Barschheit­en und Bosheiten: Da kämpft einer gegen den anderen, um am Ende doch nur zu entdecken, dass sie beide gemeinsam den ewigen und ewig sieglosen Kampf aller Kreatur kämpfen: den gegen die eigene Verwitteru­ng. Nun ist Neil Simon, »König des Broadway« und Pulitzer-Preisträge­r, mit 91 Jahren gestorben.

Der Komiker ist ein Mensch, der, wie alle Menschen, leidet. Aber er verrät das Leiden ans Lachen. Mit weicher Bananensch­ale gegen den harten Kern dessen, was ist.

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