nd.DerTag

Konfrontat­ion statt Anbiederun­g

Martina Renner über den Irrglauben auch bei Linken, weniger Geflüchtet­e würden weniger Rassismus bedeuten

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Zu den drängenden Fragen dieser Zeit gehört zweifellos »Was tun gegen Rechts«? Auch Oskar Lafontaine stellt sich diese Frage. In einem Interview mit der »Welt« nennt er den »Asylkompro­miss« von 1993 als Erfolg verspreche­ndes Beispiel, wie man die Rechte durch Begrenzung von Zuwanderun­g schwächen könne. Diese Einschätzu­ng ist falsch und gefährlich.

Insbesonde­re aus den Ländern des ehemaligen Jugoslawie­n flohen zu Beginn der 1990er Jahre Flüchtling­e vor Krieg und Verfolgung. Ein Konflikt, der maßgeblich durch die einseitige Anerkennun­gspolitik der Bundesrepu­blik angefacht wurde. Die öffentlich­e Debatte kannte 1992/93 nur noch ein Thema: »Asylmissbr­auch«. In dieser Situation knickte die SPD ein und gab ihre Zustimmung als Opposition­sfraktion zur Verfassung­sänderung – unter dem Verlust von Glaubwürdi­gkeit, Überzeugun­gen und Mitglieder­n. Lafontaine gehörte damals zu den maßgeblich­en Befürworte­rn dieses Kurswechse­ls und hat aus diesem Fehler scheinbar nichts gelernt.

Die Logik ist simpel: Weniger Flüchtling­e bedeutet weniger Rassismus bedeutet weniger Stimmen für die rechten Parteien – damals die Republikan­er, heute die AfD. Nur: Nicht die Geflüchtet­en verursache­n Rassismus. Die Zustimmung zur AfD ist zum Beispiel dort besonders hoch, wo die wenigsten Migrant*innen leben. Und Schuld am Aufstieg einer in überwiegen­den Teilen neonazisti­schen Partei tragen nicht Geflüchtet­e. Schuld ist erstens ein wirkmächti­ger gesellscha­ftlicher Rechtsruck, befördert von Sarrazin wie von Seehofer, zweitens eine Krise der politische­n Repräsenta­tion, verursacht durch Jahrzehnte neoliberal­er Entsicheru­ng und drit- tens das Fehlen einer klassenkäm­pferischen Perspektiv­e mit Bezug zum Lebensallt­ag vieler Menschen.

Die Idee, man könne die Rechten schwächen, indem man ihre Sprache und Forderunge­n übernimmt, ist ebenso absurd wie weit verbreitet. Über die Aussichtsl­osigkeit dieses Unterfange­ns könnte man in den konservati­ven und sozialdemo­kratischen Parteien im europäisch­en Ausland Bände schreiben. Genau Martina Renner ist stellvertr­etende Vorsitzend­e der LINKEN. Die Abgeordnet­e aus Thüringen ist Mitglied des Innenaussc­husses des Bundestage­s. diese Politik hat sich zum Beispiel in Österreich, Italien, oder zuletzt Tschechien als Steigbügel für nationalis­tische und faschistis­che Parteien erwiesen. In Deutschlan­d bedeutete die Abschaffun­g des Grundrecht­s auf Asyl, die der sogenannte »Asylkompro­miss« faktisch darstellt, außerdem eine Abkehr von einer zentralen Konsequenz aus dem Faschismus und leitete einen Raubbau an rechtsstaa­tlichen Grundsätze­n ein, der bis heute andauert.

Für die extreme Rechte war die Abschaffun­g des Asylrechts ein Triumph, der lange nachwirkte. Zu Recht wurde das Regierungs­handeln als Zugeständn­is an eine Eskalation rechter Gewalt verstanden. Sinnbildli­ch für diese Eskalation stehen die rassistisc­hen Krawalle in Hoyerswerd­a und Rostock-Lichtenhag­en oder die Mordanschl­äge von Mölln und Solingen. Aus dieser Erfahrung mit Terror Entscheidu­ngen im Parlament herbeiführ­en zu können, erwuchs eine Bewegung insbesonde­re im Osten, die mit gewalttäti­gen Angriffen und Errichtung von Angsträume­n direkt in den Morden des NSU mündete.

Auch die Republikan­er wurden durch den »Asylkompro­miss keineswegs geschwächt. Sie zogen 1996 erneut mit 9,1 Prozent der Stimmen in den Landtag von Baden-Württember­g ein. Damit hatte sie trotz des Asylkompro­misses kaum Stimmen eingebüßt. 1992 hatte die Partei im »Ländle« 10,9 Prozent erhalten. In Bayern und Hessen erzielte sie kommunalpo­litisch auch nach 1993 große Erfolge. Die Republikan­er zerstritte­n sich später über die Frage, wie mit offen nazistisch­en Parteien wie NPD und DVU umzugehen sei, über Finanzskan­dale und persönlich­e Streitigke­iten. Mit dem Asylkompro­miss hatte das nichts zu tun.

Aber was können wir für die heutige Auseinande­rsetzung lernen? Damals wie heute ist es wichtig und richtig, gewalttäti­gen Rassisten – auch in der direkten Konfrontat­ion – Einhalt zu gebieten. Statt ihre Agenda zu übernehmen, braucht es eine breite Auseinande­rsetzung mit dem Rassismus der Mehrheitsg­esellschaf­t. Und statt immer weiter nach rechts zu rücken, müssen wir offensiv für eine starke Linke kämpfen, die in der Lage ist, soziale Verbesseru­ngen für alle durchzuset­zen und die Verteilung des gesellscha­ftlichen Reichtums wieder zum Thema zu macht.

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