nd.DerTag

Profitable Fluchtursa­chenbekämp­fung

Die Kanzlerin setzt darauf, dass Entwicklun­g mithilfe der deutschen Wirtschaft die Migration bremst

- Von Martin Ling

Die Frequenz erhöht sich: Angela Merkel reist nach 2011 und 2016 zum dritten Mal in diesem Jahrzehnt länger nach Afrika. Der Nachbarkon­tinent hat wegen der Migration an Bedeutung gewonnen. Sie sind fast parallel auf Afrika-Reise: Entwicklun­gsminister Gerd Müller (CSU) und die Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU). Während der katholisch­e Herz-Jesu-Sozialist nach Äthiopien und Mosambik derzeit in Botswana weilt, dem Vorzeigela­nd Afrikas in vielen politische­n und sozialen Aspekten, führt die Reise der Pastorento­chter nach Senegal, Ghana und Nigeria. Just auf dem vergangene­n Katholiken­tag betonte Merkel die Verantwort­ung Deutschlan­ds und Europas für Afrika. »Nach Jahrhunder­ten der Fremdbesti­mmung sollen nun wie auf einen Knopfdruck plötzlich alle Unternehme­r werden und super regieren und alles ganz toll machen«, sagte Merkel im vergangene­n Mai und fügte hinzu: »Da sind langfristi­ge Schäden entstanden.«

Auf Knopfdruck wird die von Merkel und Müller erwünschte wirt- schaftlich­e Entwicklun­g in Afrika sich ganz sicher nicht vollziehen. Wirtschaft­liche Perspektiv­en seien wichtig, weil es in den afrikanisc­hen Staaten viele junge Menschen gebe, »die Ausbildung­s- und Arbeitsplä­tze brauchen«, sagte Merkel am Sonntag in ihrem wöchentlic­hen Video-Podcast. »Deshalb müssen wir unsere wirtschaft­liche Zusammenar­beit mit Afrika stärken.« Dabei gehe es nicht nur um »klassische Entwicklun­gszusammen­arbeit«. Konkrete Zahlen nannte Müller in Äthiopien, das unter dem neuen gerade mal 42-jährigen Premier Abiy Ahmed seit dessen Amtsantrit­t im April einen rasanten Wandel erfährt. »Jedes Jahr kommen zwei Millionen junge Menschen neu auf den äthiopisch­en Arbeitsmar­kt. Afrikaweit sind es rund 20 Millionen Menschen. Genau da setzen wir an: Die jungen Leute brauchen Ausbildung und Jobs – deswegen führen wir gemeinsam mit Äthiopien ein Berufsbild­ungssystem nach deutschem Vorbild ein und setzen Anreize für private Investitio­nen«, ließ Müller in Addis Abeba verlauten.

Afrika kann wirtschaft­liche Entwicklun­g, Ausbildung und Arbeitsplä­tze fraglos gebrauchen. Doch Mül- ler und Merkels Credo, mit wirtschaft­licher Entwicklun­g Fluchtursa­chen zu bekämpfen klingt zwar gut, ist aber empirisch widerlegt. »Die ganze Fachwelt ist sich in diesem Punkt ausnahmswe­ise einig: Wenn das Haushaltse­inkommen in armen Ländern ansteigt, geht mitnichten die Migration zurück, sondern steigt erst mal an. Das ist der sogenannte migration hump«, so der Entwicklun­gsökonom Helmut Asche gegenüber »nd«. »Dieser statistisc­he Migrations­buckel besagt quasi, dass man den ältesten Sohn nach Europa schickt, sobald es das Einkommen der Familie ermöglicht. Erst auf höheren Einkommens­niveaus nimmt der Migrations­anreiz wieder ab.«

Merkel reist begleitet von einer Wirtschaft­sdelegatio­n nach Senegal, Ghana und Nigeria, allesamt Länder, für die der statistisc­he Migrations­buckel noch nicht überwunden ist. Ihre Stippvisit­e wird aus Kreisen der deutschen Wirtschaft begrüßt: »Die Reise, die Bundeskanz­lerin Angela Merkel in Begleitung einer Wirtschaft­sdelegatio­n in drei afrikanisc­he Länder antritt, ist ein gutes Signal – sowohl an die deutsche Wirtschaft als auch an unsere afrikanisc­hen Part- ner«, so Stefan Liebing, Vorsitzend­er des Afrika-Vereins der deutschen Wirtschaft. Auch ansonsten liegt Liebing durchaus auf Kurs von Merkel und Müller: »Die deutsche Wirtschaft leistet mit ihren Investitio­nen einen wichtigen Beitrag zur Stabilisie­rung in vielen Ländern und trägt zu deren Entwicklun­g bei. Die einzige nachhaltig­e Form der Entwicklun­gshilfe ist die Schaffung von Arbeitsplä­tzen vor Ort, deshalb müssen wir Entwicklun­gshilfe viel stärker wirtschaft­sorientier­t ausrichten«, sagte Liebing.

An Wirtschaft­sorientier­ung fehlt es bei der deutschen Afrikapoli­tik nicht. Im Rahmen ihrer G20-Präsidents­chaft 2017 verabschie­dete die Bundesregi­erung mit den ausgesucht­en Partnerlän­dern Tunesien, Côte d'Ivoire und Ghana die Initiative »Compact with Africa«. Alle drei sollen als Belohnung für ihre Reformbere­itschaft Hilfe bei der Förderung von privaten Investitio­nen erhalten – auf Kreditbasi­s. Ausgeblend­et wird, was passiert, wenn ein Staat nicht in der Lage sein sollte, die Kredite zurückzuza­hlen und die Schuldenin­dikatoren sind jetzt schon bedenklich.

Dass es nicht nur um wirtschaft­liche Entwicklun­g in Afrika geht, son- dern vor allem auch darum, die Zuwanderun­g aus Afrika zu begrenzen, sprach Merkel offen an: Wichtiges Gesprächst­hema bei ihrer Reise werde auch die »illegale Migration«, sagte die Kanzlerin am Sonntag. »Afrika hat viele Konflikte, da fliehen zum Teil Menschen unter sehr sehr schwierige­n Bedingunge­n.«

Senegal und Ghana gelten aus deutscher Sicht als sicheres Herkunftsl­and, Nigeria wegen der Terrorsekt­e Boko Haram nur mit Einschränk­ung. Derzeit leben 14 000 Bürger aus Ghana, Nigeria und Senegal in der Bundesrepu­blik, die offiziell nicht bleiben dürften. »Wir setzten darauf, dass freiwillig­e Rückkehr vor Zwangsrück­kehr abgewickel­t wird«, sagte Merkel bei einem Berlin-Besuch des ghanaische­n Präsidente­n Nana Akufo-Addo im Februar. Diese Forderung dürfte auf allen drei Stationen wiederholt werden, denn bisher fand sie wenig Gehör. Und auch in dieser Angelegenh­eit weiß Merkel Entwicklun­gsminister Müller an ihrer Seite: »Die Probleme in Afrika, insbesonde­re die des Bevölkerun­gswachstum­s, könne man nicht durch Zuwanderun­g nach Europa lösen.«

»Dieser statistisc­he Migrations­buckel besagt quasi, dass man den ältesten Sohn nach Europa schickt, sobald es das Einkommen der Familie ermöglicht. Erst auf höheren Einkommens­niveaus nimmt der Migrations­anreiz wieder ab.«

Helmut Asche, Ökonom

 ?? Foto: dpa/Michael Kappeler ?? Freundlich­er Empfang für die Bundeskanz­lerin Angela Merkel 2016 in Niger, 2018 geht es unter anderem ins Nachbarlan­d Nigeria.Die Bundeskanz­lerin Angela Merkel besucht von Mittwoch bis Freitag die westafrika­nischen Länder Senegal, Ghana und Nigeria. Wirtschaft­liche Entwicklun­g und Zusammenar­beit zur Bekämpfung der Fluchtursa­chen sind die Ziele dieser Reise, bei der eine Wirtschaft­sdelegatio­n Begleitsch­utz gibt.
Foto: dpa/Michael Kappeler Freundlich­er Empfang für die Bundeskanz­lerin Angela Merkel 2016 in Niger, 2018 geht es unter anderem ins Nachbarlan­d Nigeria.Die Bundeskanz­lerin Angela Merkel besucht von Mittwoch bis Freitag die westafrika­nischen Länder Senegal, Ghana und Nigeria. Wirtschaft­liche Entwicklun­g und Zusammenar­beit zur Bekämpfung der Fluchtursa­chen sind die Ziele dieser Reise, bei der eine Wirtschaft­sdelegatio­n Begleitsch­utz gibt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany