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Merkel in Senegal unter ferner liefen

Der Präsident des großen Investors China wurde mit weit mehr Aufmerksam­keit willkommen geheißen als die deutsche Regierungs­chefin

- Von Odile Jolys, Dakar

Was erwartet Senegal vom Besuch der deutschen Kanzlerin? Angela Merkel hält sich einen halben Tag in dem 16-Millionen-Einwohner-Entwicklun­gsland auf. Dann geht es weiter nach Ghana und Nigeria. Mit keinem Wort wird der bevorstehe­nde Besuch der deutschen Bundeskanz­lerin Angela Merkel in der Presse diskutiert oder auch nur erwähnt. Ganz anders beim Besuch des chinesisch­en Präsidente­n Xi Jinping im vergangene­n Juli, wo schon Tage zuvor, die Presse die Mahnung des senegalesi­schen Präsidente­n Macky Sall weitergab, den chinesisch­en Präsidente­n mit Ehre zu empfangen. Kein Wunder: Merkel kommt mit Hilfsgelde­rn, Chinas Präsident kam mit einem großen Sack voller Investitio­nszusagen.

In Diamniadio, der neuen Stadt mit angeschlos­sener Wirtschaft­szone, Macky Salls ganzer Stolz und unweit der Hauptstadt Dakar gelegen, hat sich bis jetzt kein deutsches Unter- nehmen niedergela­ssen. Chinesisch­e Unternehme­n schon.

Am Tag des Besuchs werden sicher Deutschlan­ds Bemühungen in Sachen Solarenerg­ie und Wirtschaft­sförderung zum Zwecke der Migrations­bekämpfung in den Medien erwähnt und gelobt.

Wenn man die neue Generation von Intellektu­ellen im Land fragt, was sie denn von Europa erwarten, kommt als Antwort nur lapidar: Vom Ausland erwarten wir nichts, wir erwarten was von unseren gewählten Regierunge­n. Klartext: Erst mal sollte in Senegal diskutiert werden, was man will, was man braucht und dann sollte angepackt werden.

Um die zahlreiche­n Probleme eines Entwicklun­gslandes anzupacken, ist eine Strategie, eine Priorisier­ung, ein Plan notwendig. Und so könnte auch Deutschlan­d mit seinen eigenen Interessen ins Gespräch kommen.

Die Praxis sieht anders aus. Die europäisch­en Entwicklun­gsbeamten kommen mit ihren Listen an Projekten in die betroffene­n Ministerie­n. Es wird genickt. Wenn ein Punkt hinzugefüg­t werden muss, geht es meist nur um die Stärkung der Verwaltung­skapazität­en im Land. Konkret heißt das, mehr Workshops, am liebsten im Ausland für die Beamten.

Wenn die fehlende Kohärenz der deutschen Entwicklun­gszusammen­arbeit beklagt wird, sollte man auch über die fehlende Kohärenz der Entwicklun­gspläne in Senegal sprechen. Ein Beispiel: Millionen Entwicklun­gsgelder fließen seit Jahrzehnte­n in die Fischerei, auch um die Frauen, die Fisch trocknen und verkaufen, besser zu organisier­en, ihre Arbeit zu modernisie­ren. Seit Kurzem jedoch entstehen an Senegals Küsten Fischmehlf­abriken. Sie kaufen den ganzen Fisch auf, für die Frauen bleibt immer weniger. Diskussion­en über den Sinn und Zweck dieser Fischmehlf­abriken hat es nicht gegeben.

Anderes Beispiel: Seit ein paar Monate hat die französisc­he Supermarkt­kette Auchan in Dakar und Umgebung zahlreiche Läden eröffnet. Die Preise sind niedriger als auf den hei- mischen Märkten, die Konsumente­n jubeln. Die Märkte leeren sich. Hat der Staat die Folgen bedacht? Hat er Pläne für die bedrohten Arbeitsplä­tze der Marktfraue­n entwickelt? Wieder Fehlanzeig­e, Hauptsache ausländisc­he Investoren, Hauptsache Modernisie­rung.

Gleichzeit­ig wird zurzeit verstärkt auf die Frauen – die Mütter – mit dem Finger gezeigt – sie seien diejenigen, die ihre Kinder auf den lebensgefä­hrlichen Weg in die illegale Migration schicken. Das soll sich ändern! Doch was will Senegal in Sachen Migration?

Das Interesse der europäisch­en Länder ist klar: je weniger Migranten desto besser. Aber welches Interesse hat Senegal? Ein armes Land mit starkem Bevölkerun­gswachstum, das dabei ist, die Wirtschaft zu modernisie­ren und dabei auch Jobs für ungelernte Arbeitskrä­fte zerstört.

Senegal braucht die reguläre Migration nach Europa und anderswo, um seinen Arbeitsmar­kt zu entlasten. Das erzählt der Soziologe und Mig- rationsexp­erte Aly Tandian, Professor an der Universitä­t Saint Louis im Norden Senegals, unermüdlic­h. Und nicht nur für Studenten. Im Bereich Altenverso­rgung oder im Gastgewerb­e habe Europa doch großen Bedarf an Arbeitskrä­ften. Aber er ist so gut wie allein, die Interessen Senegals in Sachen Migration zu artikulier­en. Auch in dieser Frage hat die Regierung keinen Plan.

Über Migration wird in Senegal öffentlich anders diskutiert. So wie es den Europäern gefällt. Über die Gefahren der illegalen Migration wird geredet, dafür sorgen die mit EU-Geldern finanziert­en Sensibilis­ierungskam­pagnen der Nichtregie­rungsorgan­isationen. Auch der Kampf gegen die Schlepper fehlt natürlich nicht. Und natürlich wird der Staat nicht müde über Entwicklun­gsprogramm­e zu berichten, die dafür sorgen sollen, dass die Jungen in der Heimat bleiben. Gleichzeit­ig stimmen die Senegalese­n mit ihren Füßen ab, in dem sie weiter in die Pirogen steigen, die sie nach Europa bringen sollen.

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