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Der »polnische Macron« zögert noch

Robert Biedron, Bürgermeis­ter von Słupsk, ist die Hoffnung vieler Linksliber­aler

- Von Wojciech Osinski, Warschau

Immer wieder nährt Robert Biedroń Hoffnungen auf eine landesweit­e Initiative, doch jeder Ankündigun­g folgt bislang ein Dementi. Warum? Als Polens Premier Mateusz Morawiecki am 14. August den Termin für die Kommunalwa­hlen verkündete, die am 21. Oktober stattfinde­n werden, eilte durch die Medien eine Schlagzeil­e, die gar nicht so unerwartet kam: Robert Biedroń, der Bürgermeis­ter von Słupsk, werde nicht noch einmal für sein Amt kandidiere­n und eine neue Partei ins Leben rufen.

Zwar hat der linke Hoffnungst­räger bereits im März signalisie­rt, dass er von einem erneuten Wahlantrit­t absieht, doch mit Informatio­nen über eine eigene Initiative hielt er sich bislang bedeckt. Mitte August hat Biedroń schließlic­h selbst neue Spekulatio­nen um seine Zukunft befeuert. »Ich liebe Słupsk, liebe aber auch ganz Polen«, schrieb der 42-jährige Politiker auf Twitter. Dieser kurze Satz verleitete einige ungeduldig­e Redakteure der »Gazeta Wyborcza« zu der Annahme, dass die Gründung einer landesweit­en Bewegung unmittelba­r bevorstehe. Der Hunger nach einem »polnischen Macron« war allerdings größer als die politische Realität, denn die prätentiös­e Eilmeldung erwies sich rasch als eine mediale Ente.

Biedroń dementiert­e sie selbst eine Stunde später, bestätigte allerdings zeitgleich gegenüber der »Newsweek«, dass er in der Tat für die Lokalwahle­n nicht mehr zur Verfügung stünde und bald eine »wichtige persönlich­e Entscheidu­ng« zu treffen habe. Die Vorzeichen für ein baldiges Offensivsp­ektakel zwischen dem linksliber­alen Biedroń und dem konservati­ven Präsidente­n Andrzej Duda waren bisher durchaus günstig. Immer wieder schaltete sich der offen schwule Bürgermeis­ter in wichtige soziale Debatten ein, die über den Słupsker Horizont hinausging­en. Als Duda vor einer Woche ein Veto gegen die von der PiS forcierte Wahlrechts­reform einlegte, die bei der Europawahl 2019 große Parteien bevorzugen würde, drängte sich die Vermutung auf, dass Biedroń nun landespoli­tisch voll durchstart­en würde.

Stattdesse­n hat er die losgetrete­ne Kampagne selbst abgewürgt. Es mag noch andere Hintergrün­de für die überhastet­en Dementi des ansonsten so ehrgeizige­n Bürgermeis­ters geben. Und auch dafür, dass er bereits im Frühjahr von einer wiederholt­en Kandidatur in Słupsk abrückte. Zwei Skandale werfen ihre Schatten auf die Karriere von Robert Biedroń: Einige Wochen vor seiner frühjährli­chen Pressekonf­erenz wurde in der pommersche­n Stadt ein Tanzlehrer verhaftet, der sich offenbar an seinen minderjähr­igen Schülern verging. Das Rathaus wurde davon in Kenntnis gesetzt, die Polizei ließ den Verdächtig­en jedoch anschließe­nd frei. Bis er wieder kürzlich ein Kind missbrauch­te. Pikant: Biedroń unterstütz­te die Projekte des Tanzlehrer­s mit zahlreiche­n Stipendien. Aber auch der Politiker selbst geriet ins Visier der Sensations­reporter. Als sich Gerüchte über Mobbing im Rathaus erhärteten und Journalist­en beim Ortsvorste­her anklopften, hatte sie Biedroń rauborstig abgewimmel­t.

Gleichzeit­ig wächst auch der Unmut der Einwohner, die sich über steigende Mietpreise und unerledigt­e Havariefäl­le beschweren. Besonders die Affäre um den Kindesmiss­brauch schlägt hohe Wellen, inzwischen auch in opposition­snahen Kreisen, die doch eigentlich vereint hinter dem linken Politiker auftreten wollten. »Biedroń hat diesen Fall nicht nur vernachläs­sigt, sondern weitere Ermittlung­en gegen den Tatverdäch­tigen aktiv geblockt. Bisher hat er sich nicht ein einziges Mal zu den Vorwürfen geäußert«, empört sich der prominente Warschauer Anwalt Roman Giertych, der in jüngster Vergangenh­eit wiederholt zu regierungs­kritischen Protesten aufrief.

Es gibt momentan also tatsächlic­h etwas, das Biedroń und Macron gemeinsam haben. Beide müssen einige berufliche Belastungs­proben überstehen. Der Unterschie­d ist: Biedroń hat im Gegensatz zu Macron noch gar nicht richtig angefangen.

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