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Kluft bei der Kinderbetr­euung

Vor allem in den ostdeutsch­en Ländern herrscht ein Fachkräfte­mangel in den Einrichtun­gen

- Von Stefan Otto

Die Qualität in den Kitas hat sich zuletzt zwar etwas verbessert. Doch vielerorts ist die Betreuung noch immer nicht so, wie sie sich Experten vorstellen. In der Kritik steht auch das geplante Gute-Kita-Gesetz. Die am Dienstag erschienen­e Bertelsman­n-Studie ist ein wichtiger Qualitätsm­esser für die Kindergart­enlandscha­ft in Deutschlan­d. Sie hat eruiert, wie viele Erzieherin­nen sich um die Kinder kümmern. Für das Klima in den Einrichtun­gen ist das von großer Bedeutung. Schließlic­h entscheide­t der Personalsc­hlüssel darüber, wie groß die Gruppen sind. Bei einem vorteilhaf­ten Schlüssel sollte es auch die Möglichkei­t für Fachkräfte geben, sich aus dem laufenden Betrieb zurückzuzi­ehen, um Leitungsau­fgaben zu übernehmen. Erziehungs­wissenscha­ftler weisen immer wieder darauf hin, dass kleine Gruppen weniger Stress bedeuteten und den Kita-Alltag insgesamt kindgerech­ter gestaltete­n.

Seit Jahrzehnte­n existieren jedoch große Unterschie­de bei der Kita-Betreuung. In Ostdeutsch­land werden deutlich mehr Kleinkinde­r in die Betreuung gegeben als in Westdeutsc­hland, wo erst in den vergangene­n Jahren flächendec­kend Krippen für Kleinkinde­r aufgebaut wurden. Nur langsam nähern sich die Betreuungs­quoten zwischen West und Ost an. Befand sich in Sachsen-Anhalt im vergangene­n Jahr etwa jedes zweite Kleinkind in einer öffentlich­en Betreuung, so war es in Nordrhein-Westfalen nur jedes vierte.

Dieser Ost-West-Unterschie­d spiegelt sich auch in der Bertelsman­n-Studie wider: Die Personalsc­hlüssel sind nämlich in den Ost-Ländern durchweg größer. Im vergangene­n Jahr kamen in den Krippen auf eine Fachkraft im Durchschni­tt 6,0 Kinder, in den West-Ländern waren es 3,6 Kinder. Auch in den Kindergärt­en für Drei- bis Sechsjähri­ge ist das Bild ähnlich: Im Osten betreute 2017 eine Fachkraft im Schnitt 11,9 Kinder, im Westen dagegen nur 8,4 Kinder.

Zwar hat sich die Qualität in den Einrichtun­gen in den vergangene­n Jahren vielerorts etwas verbessert, doch insgesamt sind die Personalsc­hlüssel noch weit entfernt von den Empfehlung­en der Erziehungs­experten. Für eine gute Betreuung müsste sich demnach eine Fachkraft um drei Krippen-Kinder kümmern, und in den Kindergärt­en eine Erzieherin um siebeneinh­alb Kinder.

Wegen der großen regionalen Unterschie­de bei der Betreuung fordert Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsman­n-Stiftung, insbesonde­re den ostdeutsch­en Ländern mehr finanziell­e Mittel zur Verfügung zu stellen, um bei der Kita-Qualität aufzuholen. Er sprach sich auch dafür aus, das von der Bundesregi­erung geplante GuteKita-Gesetz nachzubess­ern. Derzeit befindet es sich in der Ressortabs­timmung. »Ohne bundesweit einheitlic­he und gesetzlich geregelte Standards bleibt der Flickentep­pich bei der Kita-Qualität.«

Unterstütz­ung erhielt Dräger von Marlis Tepe, der Vorsitzend­en der Er-

»Ohne bundesweit einheitlic­he und gesetzlich geregelte Standards bleibt der Flickentep­pich bei der KitaQualit­ät.«

Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsman­n-Stiftung

ziehungsge­werkschaft GEW. Auch sie rief den Bund dazu auf, die unterschie­dlichen Standards anzugleich­en. Weniger überzeugt ist davon allerdings der Deutsche Städtetag. Sein Hauptgesch­äftsführer Helmut Dedy befürchtet, dass man dann den sehr unterschie­dlichen Konzepten der Kitas vor Ort nicht mehr gerecht werden würde.

In den anstehende­n Verhandlun­gen über das Gute-Kita-Gesetz forderte die Bertelsman­n-Stiftung Bund und Länder auf, sich auf eine Verbesseru­ng der Personalsc­hlüssel und der Leitungsau­sstattung zu konzentrie­ren. Für ein »falsches Signal« hält Dräger es, den Fokus auf die Beitragsfr­eiheit zu setzen. Die ohnehin zu geringen Mittel des Bundes sollten nicht für eine generelle Beitragsfr­eiheit eingesetzt werden. Er regt stattdesse­n dazu an, nur Familien unterhalb der Armutsgren­ze von den Beiträgen zu befreien. Kosten würde dies der Stiftung zufolge rund 700 000 Millionen Euro im Jahr.

Das Familienmi­nisterium verteidigt­e dagegen das Gute-Kita-Gesetz. Weil die Ausgangsla­gen und der Entwicklun­gsbedarf in den Ländern sehr unterschie­dlich seien, gebe es in jedem Land auch unterschie­dliche Handlungsb­edarfe, sagte ein Sprecher des Ministeriu­ms. »Jedes Land weiß, woran es mangelt, und ist für die entspreche­nden Maßnahmen verantwort­lich.« Diese Handlungsf­elder seien mit den Ländern in einem mehrjährig­en Prozess vereinbart und durch Beschluss der Jugend- und Familienmi­nisterkonf­erenz bestätigt worden.

Auch das Ziel der Gebührenfr­eiheit verteidigt das Familienmi­nisterium: »Wenn Kinder aufgrund zu hoher Gebühren nicht in die Kita gehen können, nutzt ihnen auch kein qualitativ hochwertig­es Angebot«, sagte der Sprecher. »Aus diesem Grund ist die Möglichkei­t der Gebührenre­duzierung bis hin zur Beitragsbe­freiung ein wichtiger Baustein des Gesetzes.«

Bayern geht indes einen eigenen Weg, um die Kinderbetr­euung bezahlbar zu machen. Beiträge will die CSURegieru­ng zwar nicht streichen, weil sie eine »Gratis-Mentalität« ablehne. Aber ab September führt das Land ein eigenes Familienge­ld ein. Eltern erhalten für ihre Kinder im zweiten und dritten Lebensjahr monatlich 250 Euro, ab dem dritten Kind 300 Euro. »Wir setzen auf die direkte Entlastung der Eltern und nicht nur auf ein einziges Betreuungs­modell«, erklärte Ingrid Heckner, stellvertr­etende Vorsitzend­e der CSU-Fraktion im Bayerische­n Landtag die Idee. Ob die Leistung auch für Hartz-IV-Betroffene gilt, ist bislang jedoch unklar. Darüber streitet Bayern noch mit dem Bund.

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