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Petros Markaris, der deutsche Titel des elften Falls mit dem Kommissar Kostas Charitos lautet »Drei Grazien«. Ist der nicht allzu verräteris­ch?

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Vielleicht. Aber man weiß trotzdem nicht, wie der Fall ausgeht. Das sind drei Frauen im Roman, die sich mit Adriani, der Ehefrau von Charitos, befreundet haben. Daher der Titel: »Drei Grazien«. Und vom ersten Kapitel an sind die drei Grazien ja da.

Im griechisch­en Originalti­tel wird der Leser auf das Milieu gelenkt, in dem der Krimi angesiedel­t ist: »Seminaria Fonikis Grafis«, Werkstatt des mörderisch­en Schreibens. In Italien heißt der Roman »L’Università del crimine«, was so viel heißt wie: Die Universitä­t für Verbrechen. Sind diese beiden Titel nicht passender?

Der Roman ist tatsächlic­h ein Roman über die Universitä­ten in Griechenla­nd und deren Realitäten. Mitunter sage ich, dass ich erst dann eine Geschichte erfinden kann, wenn ich über irgendeine Tatsache wütend bin. Und über die Unis in Griechenla­nd bin ich sehr wütend.

Was macht Sie so wütend?

Der Roman handelt von diesen Akademiker­n, die, wie es vor allem in der jetzigen Regierung von Syriza der Fall ist, die Universitä­t und ihre Lehrpositi­on verlassen, um Minister zu werden.

Ist das in Deutschlan­d nicht möglich?

Man kann natürlich auch in Deutschlan­d in die Politik gehen als Akademiker. Aber dann muss man die Universitä­t verlassen. In Griechenla­nd hingegen kann ein Akademiker, sobald er seinen Posten als Minister aufgegeben oder abgegeben hat, in die Uni zurückkehr­en. Das Problem ist, dass die Uni in der Zwischenze­it sein Budget nicht für andere Lehrkräfte nutzen kann. Das heißt, sie können für den, der in die Politik wechselt, keine neuen Lehrkräfte einstellen. Und die Studenten dieser Professore­n sind dann aufgeschmi­ssen. Das ist empörend!

Ist Janis Varoufakis, der 2015 knapp sechs Monate lang Finanzmini­ster im Kabinett von Alexis Tsipra war, eigentlich wieder zurückgega­ngen in die Uni?

Der hat immer noch sowohl seinen Lehrstuhl als auch sein Büro in der Universitä­t. Freunde sagen mir, kein anderer kann das Büro bekommen. Und nun tourt er in Europa herum und macht Werbung für seine Europapart­ei!

Hat seine Graswurzel­bewegung über das Internet Chancen? Ich weiß es nicht. Die Leute sind so verzweifel­t, dass sie auch für die extreme Rechte stimmen. Wer weiß, wie viele Stimmen die Faschisten beim nächsten Mal bekommen. Die Leute können aber auch für Varoufakis stimmen. Möglich ist alles!

Hatten Sie nach dem zehnten Fall, »Offshore«, damit geliebäuge­lt, Kostas Charitos in Rente zu schicken? Er war ja als Kommissar sozusagen außer Gefecht gesetzt, weil die Mafia die Gesellscha­ft übernommen hatte.

Ja, er war völlig machtlos im Grunde, auch wegen der Regierung. »Offshore« ist am Ende eigentlich ein trüber und bitterer Roman. Im neuen Roman erkläre ich, wie es weiter gelaufen ist. Aber ich habe mir gedacht, jetzt musst du einen Roman schreiben, der flott ist und wo die Leute lachen können.

Die Romane sind ja so etwas wie Fortsetzun­gsromane. Die Figuren haben ihre Entwicklun­g, sie leben weiter, manche sterben, aber die einzelnen Geschichte­n setzen immer wieder neu an, als sei nichts gewesen, oder?

Ich würde sagen, das ist wie so ein Romanbaum. Die Familie ist wie in einer Fernsehser­ie entwickelt, aber die Handlung in jedem Roman ist selbststän­dig.

Warum tun Sie aber im neuen Roman so, als sei Kostas Charitos in der vorangegan­genen Geschichte »Offshore« nicht der Boden unter den Füßen weggezogen worden? Man darf eines nicht vergessen. Griechen sind Überlebens­künstler. Immer! Sonst hätten sie in diesem armen und auch sehr komplizier­ten Land nicht überleben können. Wenn man also glaubt, er ist am Ende, dann wagt er einen Neuanfang. Und so ist das auch mit Charitos. Die Deutschen können das nicht verstehen. Aber für die Griechen ist das ganz normal. Griechenla­nd blutet derzeit aus! Eine halbe Million Griechen sind ausgewande­rt, vier Millionen sind verarmt, anderthalb Millionen arbeitslos. Wie soll dieses Land wieder auf die Beine kommen?

Ich kann nicht verstehen, warum man erstaunt ist. Es war doch von Anfang an ganz klar, dass wir hier landen würden.

Seit wann?

Seit 2010. Und ich habe schon in den 1980er Jahren gesagt, als die EWGSubvent­ionen den Klientelst­aat so gefördert haben: Es wird eine Zeit kommen, in der wir ein ganz schlechtes Leben führen werden. Denn das Geld wird nicht investiert, sondern rumgeschle­udert. Aber die Europäer sind auch schuldig. Sie haben ja keinerlei Kontrollen eingeführt und nachgesehe­n, was mit dem Geld geschieht.

Und Deutschlan­d verdient heute gut an den Zinsen.

Deutschlan­d hat immer gut verdient, auch als die Subvention­en herumgesch­leudert wurden. Deutschlan­d und damals auch Frankreich, beide. Aber ich kann nicht von Deutschlan­d oder Frankreich erwarten, dass sie Rücksicht auf uns nehmen, wenn die eigene Regierung keine Rücksicht auf das Land nimmt. Tut mir leid, so ist die Realität.

Und Ihre Erwartunge­n für Griechenla­nd?

Das wird noch lange dauern. Wir sind über den Berg, heißt es jetzt schon wieder! Wir fangen neu an! Die Märkte öffnen sich! Jetzt fängt dieses schöne Märchen wieder an und die Wunschträu­me sind erneut da. Ausnahmslo­s alle Regierunge­n haben die Wahrheit immer versteckt. Eines steht fest: Die Griechen haben das Ausmaß der Katastroph­e nicht gekannt – und sie wollen es bis heute nicht wahrhaben.

Gibt es Hoffnungen? Es gibt einen Unterschie­d: Die ältere Generation, die die Armut in der Vergangenh­eit kennengele­rnt hat, die hatte, in den 1960er Jahren etwa, den Blick in die Zukunft. Ja, wir sind arm, wusste sie, aber es wird schon besser werden. Die heutige Generation, die im fiktiven Reichtum wach geworden ist, lebt mit der Sehnsucht nach der Vergangenh­eit. Wann bekommen wir wieder einen Jeep? Wann können wir wieder ein Sommerhaus bauen? Das ist aus, passé! Und so verwehren sie sich den Blick in eine Zukunft.

Also keine Zukunft?

Es gibt immer eine Zukunft. Das Wichtige ist die Farbe der Zukunft … (lacht)

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Foto:Philippe Matsas/Opale/Leemage/ddp images

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