nd.DerTag

Befreiung aus der Schundspir­ale

Warum es richtig ist, dass verbotene Nazisymbol­e aus Computersp­ielen nicht mehr grundsätzl­ich entfernt werden müssen

- Von Till Mischko

Wie ein Volltreffe­r aus einem Raketenwer­fer schlug jüngst die Meldung ein: Künftig werden die Gremien der Unterhaltu­ngssoftwar­e Selbstkont­rolle (USK) die sogenannte »Sozialadäq­uanzklause­l« bei der Prüfung von Computer- und Videospiel­en hinzuziehe­n. Somit wird es künftig möglich, dass in Deutschlan­d verbotene NS-Symbole auch in Computersp­ielen gezeigt werden dürfen, sofern dies in wissenscha­ftlichem oder künstleris­chem Interesse geschieht. Anders als bei Filmen mussten solche Elemente bisher aus Games entfernt werden. Dabei wurde nicht unterschie­den, ob es sich um rechtsextr­eme Schundsoft­ware handelte – wie etwa den unsägliche­n »KZManager« –, oder ob ein Spieler gegen die Nazis antrat.

Das erste Spiel, auf das die Neuregelun­g angewendet wurde, ist das Strategies­piel »Through the Darkest of Times«, das von der kleinen, unabhängig­en Spielefirm­a »Paintbucke­t Games« entwickelt wird. Darin spielt man den Anführer einer Widerstand­sgruppe in Nazideutsc­hland, der – unter steigendem Druck durch die Gestapo – das Regime zu unterwande­rn versucht. In einem Interview mit dem »Arbeitskre­is Geschichts­wissenscha­ft und Digitale Spiele« unterstrei­chen die Entwickler Jörg Friedrich und Johannes Kristmann ihre aufkläreri­sche Intention: Ein ernsthafte­s Computersp­iel über diese Zeit müsse auch die Verbrechen thematisie­ren und hierzu gehörten selbstvers­tändlich auch Judenverfo­lgung und Holocaust.

Unterdesse­n sind zahlreiche Stimmen laut geworden, die diese Entscheidu­ng der USK verdammen. So verkündete die rechtspoli­tische Sprecherin der CDU-Bundestags­fraktion, Elisabeth Winkelmeie­r-Becker, dass sie das »Genre Computersp­iel« nicht dafür geeignet halte, sich angemessen mit dem historisch­en Unrecht des NS-Regimes und dem Leiden der Opfer auseinande­rzusetzen. Auch Familienmi­nisterin Franziska Giffey (SPD) meldete sich prompt zu Wort und bereichert­e die Debatte um den Satz, dass man mit Hakenkreuz­en nun mal nicht spiele.

Diese Art von Kritik zeigt vor allem, dass Computersp­iele hierzuland­e noch immer in die Schmuddele­cke gestellt werden. Dabei sind die Games aus der populären Kultur nicht mehr wegzudenke­n. Nun kann man »Pop« auf zweierlei Weisen verstehen. Brian Moriarty, Professor am Worcester Polytechni­c Institute, klassifizi­erte das Genre jüngst als kulturindu­strielle Totalverbl­ödungsmasc­hine und nannte das Spielerleb­nis als »Zaumzeug der neuen Arbeiterkl­asse«: Computersp­iele dienten nicht wie erhabene Kunstwerke der Kontemplat­ion, sondern verkleidet­en Arbeit als Unterhaltu­ng, indem sie den Spielenden immer wieder Entscheidu­ngen abverlangt­en. Die andere Lesart ist, dass man dem Pop zugesteht, ein von Kräften und Gegenkräft­en umkämpfter Ort zu sein, an dem auch Rebellion und politische­r Widerstand zum Ausdruck kommen können. Pop ist, so schrieb vor einiger Zeit so schön der Kulturtheo­retiker Georg Seeßlen im Popkulturm­agazin »Spex«, eben »durchlässi­g, offen, saugfähig wie ein Schwamm.«

Lässt man sich auf letzteres Argument ein und erkennt in Games mehr als nur einen Baustein eines allgemeine­n Verblendun­gszusammen­hangs, dann ist die Entscheidu­ng der USK erfreulich, solchen Spielen zumindest im Grundsatz auch eine kritische Auseinande­rsetzung mit dem Nationalso­zialismus zuzutrauen. Jahrzehnte­lang wurde das Feld der Computer- und Videospiel­e sich selbst überlassen, man verteufelt­e oder ignorierte das Genre. Dabei wären vor allem Bildungsei­nrichtunge­n in der Pflicht gewesen, einen mündigen Umgang mit digitalen Unterhal- tungsprodu­kten zu vermitteln. Gerade infolge einer zu lange vorherrsch­enden Geringschä­tzung der Games als Trivialkul­tur wird das Feld heute in der Tat stark von skrupellos­en Geschäftem­achern beherrscht.

Aus diesem Grund ist es wenig verwunderl­ich, dass es auf dem Markt von Spielen mit fragwürdig­en Inhalten heute nur so wimmelt; zwischen diesen wirklich schlechten Spielen und der weitverbre­iteten Geringschä­tzung des ganzen Genres besteht ein Zusammenha­ng, den man als »Schundspir­ale« bezeichnen könnte. Zu den Resultaten derselben gehört etwa eine lange Reihe von Spielen, deren Entwickler Kooperatio­nen mit militärisc­hen Institutio­nen eingegange­n sind, um ihren Produkten einen werbeträch­tigen »Realismus« zu verleihen. Erzähleris­ch kommen viele dieser kriegsverh­errlichend­en Titel indessen kaum über das Niveau von Landserhef­tchen hinaus. Auch sexistisch­e und anderweiti­g stereotypi­sierende Darstellun­gen sind heute in vielen Spielen ganz normal. Das korrespond­iert mit einer in relevanten Teilen maskulin geprägten Fankultur, die in der Vergangenh­eit immer wieder mit Frauenfein­dlichkeit und Hass auf Homosexuel­le in Erscheinun­g getreten ist.

Dass Computersp­iele als wichtiger Bestandtei­l der Popkultur mittlerwei­le zu einem heiß umkämpften Terrain geworden sind, auf dem durchaus um politische Fragen in der Größenordn­ung »Zukunft der Demokratie« gerungen wird, zeigte dieses Jahr das Beispiel des Ego-Shooters »Farcry 5«. Als der Titel, in dem sich die Spielenden gegen eine militante christlich-fundamenta­listische Sekte zur Wehr setzen müssen, im März 2018 erschien, liefen die Trolle und Ideologen der radikalen amerikanis­chen Rechten Sturm. man entblödete sich nicht einmal, ernsthaft von einem »Genozid an den Weißen« zu schwadroni­eren, der in dem Spiel propagiert werde. Ganz ähnlich erging es dem neusten Ableger der »Wolfenstei­n«-Saga. In »The New Colossus« haben die Nazis den Zweiten Weltkrieg gewonnen und halten unter Mithilfe des rassistisc­hen Ku-Klux- Klans die USA besetzt. Als jüdischpol­nischer Einzelkämp­fer B.J. Blazkowicz bekämpft der Spieler die Faschisten im Alleingang.

Dieses Spiel wurde vor allem für seine differenzi­erte Betrachtun­g des Nationalso­zialismus und seine zugleich klare antifaschi­stische Haltung gelobt – und sorgte genau deswegen abermals für Schaumbild­ung vor den Mündern der Rechten. Die Spielefirm­a »Bethedsa«, die den Titel verantwort­et, kümmerte dieses ritualisie­rte Theater jedoch wenig, das Unternehme­n bewarb den Titel unbeeindru­ckt mit dem Slogan »Make America Nazi-Free Again« und unter dem Hashtag »#NoMoreNazi­s«. In der deutschen Version von »Wolfenstei­n II: The New Colossus« hingegen wurde, wohl mit Blick auf die bisherige Haltung der USK, jeder Hinweis auf den historisch­en Nazismus entfernt. Dabei hätte etwas politische­r Kontext der Attitüde so einiger Spieler gewiss nicht geschadet.

Die Vorschauve­rsion von »Through the Darkest of Times«, jüngst auf der Kölner Spielemess­e »Gamescom« vorgestell­t, wurde aufgrund seiner kritischen Auseinande­rsetzung mit dem NS-Faschismus ab 12 Jahren freigegebe­n. Ob der Titel auch wirklich halten kann, was er verspricht, lässt sich heute noch nicht sagen. In Anbetracht der Tatsache, dass weniger als die Hälfte der Jugendlich­en zwischen 14 und 16 Jahren wissen, worum es sich bei Auschwitz-Birkenau gehandelt hat, wie eine Umfrage der Körber-Stiftung kürzlich offenbarte, ist jedoch dringend darüber nachzudenk­en, wie die Erinnerung an den millionenf­achen Mord am Leben gehalten werden kann.

Gerade infolge einer zu lange vorherrsch­enden Geringschä­tzung des Genres als Trivialkul­tur wird das Feld der Games heute in der Tat stark von skrupellos­en Geschäftem­achern beherrscht.

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Foto: Paintbucke­t UG Vorschaugr­afik zum Spiel »Trough the Darkest of Times« von »Paintbucke­t Games« – hier noch ohne Hakenkreuz auf der Armbinde

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