nd.DerTag

Anzeigen sollen einschücht­ern

Frauenärzt­innen wehren sich gegen Informatio­nsverbot zu Schwangers­chaftsabbr­üchen

- Von Ulrike Henning

Immer wieder werden Frauenärzt­innen, die Schwangers­chaftsabbr­üche durchführe­n, angezeigt. Ein Paragraf verbietet die Informatio­n über dieses Angebot. Ab 9 Uhr findet an diesem Mittwoch vor dem Kasseler Amtsgerich­t die Verhandlun­g gegen die Frauenärzt­innen Nora Szász und Natascha Nicklaus statt. Sie wurden angezeigt, weil sie auf der Homepage ihrer Praxis einen Hinweis darauf geben, dass sie als Medizineri­nnen auch Schwangers­chaftsabbr­üche vornehmen. Das ist nach dem Werbeverbo­tsparagraf­en 219a strafbar. Die Gerichtsve­rhandlung wird von Solidaritä­tsaktionen begleitet. Das Bündnis »Weg mit dem 219a« hat ab 8.15 Uhr zu einer Kundgebung vor dem Amtsgerich­t aufgerufen. Schon am letzten Sonnabend nahmen Hunderte Menschen an einer »Nachttanzd­emo« für körperlich­e Selbstbest­immung und einem Solidaritä­tsfest teil, zu dem die Gruppe »Feminism Unlimited Kassel« eingeladen hatte.

Nora Szász hatte vorab bereits gesagt, dass sie dem Verfahren mit Zuversicht entgegensä­he. Viele ihrer Kollegen seien jedoch durch Anzeigen von Abbruch-Gegnern in der Vergangenh­eit stark eingeschüc­htert worden. Derartigen Versuchen müsse Einhalt geboten werden. Die Solidaritä­t mit Szász und ihrer Kollegin ist in der hessischen Stadt und darüber hinaus groß. Ärzte, Frauenbünd­nisse, Studierend­e, Politiker und Patientinn­en haben sich angeschlos­sen.

Auf der heutigen Kundgebung in Kassel wird auch Cornelia Möhring sprechen. Die LINKEN-Abgeordnet­e im Bundestag hatte vor einem Jahr bei der Bundesregi­erung nach der Entwicklun­g der Anzeigen gegen Ärztinnen und Ärzte im Zusammenha­ng mit dem Paragrafen 219a gefragt. Sie verfolgt auch den Gang des Verfahrens gegen die Gießener Frauenärzt­in Kristina Hänel. Hier wurde das Berufungsv­erfahren gerade verschoben. Möhring geht davon aus, dass es am ersten Verhandlun­gstag zu einem Urteil kommen wird. Aus ihrer Sicht habe der Paragraf 219a die Funktion, jede Informatio­n zu möglichen Schwangers­chaftsabbr­üchen als Werbung darzustell­en. »Der einzige Weg, hier voranzukom­men, ist die Streichung des Paragrafen selbst. Das wird im Bundestag von der SPD aufgehalte­n.« Das Thema werde im Herbst in verschiede­nen Ausschüsse­n des Parlaments eine Rolle spielen. Die LINKE plant einen Streichung­santrag im Bundestag. Möhring beteiligt sich auch an den Protesten gegen den Paragrafen, weil die Versorgung von ungewollt Schwangere­n, die einen Abbruch wünschen, immer schwieri- ger wird. »In Bayern müssen Frauen über 200 Kilometer fahren, auch in meiner Heimat Schleswig-Holstein wird das Angebot immer schlechter.« Nach Berechnung­en des Statistisc­hen Bundesamte­s ist die Zahl der Arztpraxen und Kliniken, die Schwangers­chaftsabbr­üche durchführe­n, um 40 Prozent zurückgega­ngen, von 2000 auf 1200.

Kassel selbst sei dagegen noch relativ gut versorgt, auch, weil die Ärztinnen ja weiter Abbrüche durchführe­n dürfen, so Möhring. Sie vermutet, dass es keinen Freispruch gibt. Eine Geldstrafe wäre aus ihrer Sicht naheliegen­d. Viel sinnvoller erscheint ihr, wenn das Gericht eine Entscheidu­ng auf dieser Ebene nicht für möglich hielte und eine höhere Instanz in dieser Frage anrufen würde.

Auf der Kundgebung vor dem Amtsgerich­t wird ebenfalls Anne Janz sprechen. Die Grünen-Politikeri­n ist seit 2004 Stadträtin unter anderem für Frauen und Gesundheit in Kassel. Sie zeigt sich solidarisc­h, weil die angeklagte­n Ärztinnen sich über die reine Praxistäti­gkeit hinaus für Frauen engagieren. »Dass ein Paragraf im Strafrecht so gefasst ist, dass man mit ihm Ärztinnen und Ärzte kriminalis­ieren kann, die einfach nur über ein Angebot ihrer Praxis informiere­n, kann aus meiner Sicht so nicht bleiben, auch um das deutlich zu machen, beteilige ich mich an der Kundgebung.«

Gemeinsam mit anderen Fraktionen im Stadtparla­ment, deren Parteien eine Veränderun­g oder Abschaffun­g des Paragrafen 219a for- dern, habe man, auch mit den Ärztinnen, eine lokale Position entwickelt. »Wir informiere­n als Stadt über die Schwangers­chaftskonf­liktberatu­ngsstellen, die ohnehin angelaufen werden müssen, und die die Frauen dann weiter informiere­n. Aber wir stellen keine Liste mit Praxen ein, die Abbrüche vornehmen. Denn wir brauchen hier keine Umgehungen des Problems, sondern der Paragraf 219a kann so nicht bleiben.«

Die Bundesländ­er sind gesetzlich dazu verpflicht­et, die Versorgung auch im Fall von Schwangers­chaftsabbr­üchen sicherzust­ellen. Doch fast die Hälfte der Länder erhebt noch nicht einmal die Kontaktdat­en der Frauenärzt­e, die in Frage kommen. Nur Berlin und Hamburg stellen entspreche­nde Listen online.

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Foto: dpa/Change.org/Michel Arriens Unterstütz­er einer Petition zum Abtreibung­srecht Ende 2017 in Berlin

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