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Blick in die linksradik­ale Geschichte

Der Aktivist Thomas Billstein nutzt den Kurznachri­chtendiens­t Twitter für historisch­e Aufklärung

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Thomas Billstein betreibt das innerhalb der radikalen Linken beliebte Kurznachri­chtenkonto @RadicalPas­t (»Radikale Vergangenh­eit«). Seit nunmehr vier Jahren existiert der Twitter-Account, der täglich über die bundesdeut­sche und internatio­nale Protest- und Widerstand­sgeschicht­e informiert. Er erinnert an politische Ereignisse anlässlich ihrer Jahrestage – oft mit zeitgenöss­ischen Dokumenten, Plakaten und Filmaussch­nitten. Mit dem Chronisten der außerparla­mentarisch­en Bewegung sprach

Niels Seibert.

Wie ist die Idee entstanden, linke Geschichte per Twitter zu erzählen?

Mir ist aufgefalle­n, dass es zwar recht viele linke und antifaschi­stische Nutzerkont­en bei Twitter gibt und auch viele aktuelle Diskussion­en und Aktionen kommentier­t werden, aber der »Blick zurück« fehlte mir oft. Aus unserer Geschichte, also speziell aus der außerparla­mentarisch­en, linken Bewegung, können wir in vielen Fällen eine Menge lernen, Kraft schöpfen oder auch Fehler vermeiden. Andere Ereignisse sind erwähnensw­ert, weil sie einfach »nur« interessan­t sind. Und dann gibt es natürlich auch noch Begebenhei­ten, die aus heutiger Sicht einfach kurios oder lustig sind.

Über welche Themen twittern Sie? Ich habe mich seit den frühen 1990ern in der autonomen, also linksradik­alen und undogmatis­chen Bewegung in diversen Teilbereic­hen engagiert. Deswegen liegt mir die Geschichte dieser Szene besonders am Herzen. Trotzdem schaue ich über den Tellerrand hinaus und versuche, ein breites und möglichst strömungsü­bergreifen­des Bild wiederzuge­ben, also nicht irgendeine­n bestimmten politische­n Flügel zu bevorzugen.

In den von Ihnen gesendeten Tweets scheinen immer wieder Sympathien für einzelne ge- schichtlic­he Ereignisse heraus. Warum ist Ihnen das wichtig? Wenn wir uns die progressiv­en Veränderun­gen der letzten Jahrzehnte anschauen, wird klar, dass sehr vieles durch eine rebellisch­e, kraftvolle und außerparla­mentarisch­e Protestkul­tur in die Wege geleitet wurde. So erfahren wir, dass wir auch ohne ei- ne gigantisch­e Massenbewe­gung auf der Straße mit kreativen und widerständ­igen Aktionsfor­men viel erreichen können. Anderersei­ts sollten wir Lehren daraus ziehen, dass wir trotz unserer Differenze­n gemeinsam zusammenst­ehen müssen, um dem neuen und erstarkten Faschismus Einhalt zu gebieten. Woraus schöpfen Sie Ihre Informatio­nen?

Ich habe in der Anfangspha­se eine kleine Termintabe­lle aus verschiede­nen Quellen zusammenge­stellt, mit ein bis zwei interessan­ten Meldungen pro Woche. Über die Zeit ist diese Liste mehr und mehr gewachsen. Andere Twitternut­zer*innen erinnern mich gelegentli­ch an Ereignisse. »Da kann aber gerne noch mehr kommen!«, heißt es dann. Zudem rufe ich dazu auf, unter dem Hashtag #radicalpas­t selber zu twittern, was von einigen Accounts ausgiebig praktizier­t wird.

Andere Twitteracc­ounts werden von mehrköpfig­en Teams bespielt. Wie viel Arbeit steckt hinter @RadicalPas­t?

Ehrlich gesagt wird es mit der Zeit sogar weniger Arbeit, weil ich viele Tweets aus den Vorjahren »recyceln« kann. Trotzdem halte ich die Augen für neue Ereignisse und Dinge offen. Täglich investiere ich vielleicht 20, 30 Minuten in die Pflege des Kanals. Wenn ich etwas mehr Zeit finde, durchforst­e ich mein kleines OfflineArc­hiv oder suche im Netz nach spannenden Themen.

Welches Resümee ziehen Sie nach vier Jahren?

Ich finde das Projekt sehr erfolgreic­h, und die vielen Interaktio­nen sind natürlich auch Ansporn weiterzuma­chen. Fairerweis­e muss man sagen, dass es sich bei dem Themenbere­ich »linksradik­ale Geschichte« um ein recht spezielles Thema handelt, da sind über 7000 Follower schon wirklich viele Leute. Durchschni­ttlich wird eine Meldung (laut Twitter-Statistik) etwa 3000 Mal angesehen. Besonders interessan­te Tweets, welche oft geteilt werden, erzielen bis zu 50 000 Impression­en. Das ist für den deutschspr­achigen Raum schon enorm. Auch von Aktivist*innen kommen viele positive Reaktionen.

Was ist Ihre Perspektiv­e mit diesem Twitter-Konto?

Ich würde gerne mehr über inhaltlich­e Diskussion­en berichten. Aber das ist natürlich aufwendige­r, als mal eben schnell ein altes Demoplakat oder Fotos von Aktionen zu posten. Außerdem möchte ich den Inhalt zukünftig auch in anderer Form zugänglich machen. Der Erfolg bei Twitter ist zwar schön, aber die Geschichte der linksradik­alen Bewegung einzig und allein an diesen Konzern zu binden, ist natürlich etwas dürftig.

 ?? Foto: dpa/L. Rauschnick ?? Ein Zeitdokume­nt: Erfolgreic­her Widerstand gegen das geplante AKW in Wyhl 1975 (Baden-Württember­g)
Foto: dpa/L. Rauschnick Ein Zeitdokume­nt: Erfolgreic­her Widerstand gegen das geplante AKW in Wyhl 1975 (Baden-Württember­g)

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