nd.DerTag

Ein Land voller Widersprüc­he

In einem kenntnisre­ichen Buch setzt sich der Politologe Raul Zelik mit der jüngeren Geschichte Spaniens auseinande­r

- Von Fabian Hillebrand

Der Konflikt um Katalonien ist nur ein Beispiel für die vielen inneren Spannungen in der spanischen Politik und Gesellscha­ft. Deren Hintergrün­de werden nun in einem neuen Buch von Raul Zelik erklärt. Wie viel wissen Sie über Spanien? Abseits von Sangriakun­de und Urlaubsins­eln? Wussten Sie, dass der langjährig­e sozialisti­sche Regierungs­chef Felipe González Todesschwa­dronen hat ausbilden lassen, die Jagd auf Mitglieder der baskischen Untergrund­organisati­on ETA gemacht haben? Dass der spanische Staat eine Stiftung finanziert, die das Andenken des Diktators Francisco Franco bewahren soll? Und diese auch noch den Namen des ehemaligen faschistis­chen Machthaber­s trägt? Oder, dass hochrangig­e Minister der Franco-Ära auch nach dem Übergang zur Demokratie in Amt und Würde blieben, ja sogar Parteien wie die PP gründeten, die in Spanien mehrfach die Regierung stellten?

Das alles wussten Sie? Dann gehören Sie nicht zu jenen Deutschen, denen der Autor Raul Zelik vorwirft, dass sie das Land jahrzehnte­lang nur als »Sonnenbank« konsumiert hätten und so erstaunlic­h wenig über die gesellscha­ftlichen und politische­n Realitäten auf der Iberischen Halbinsel Bescheid wissen. Um den Blick auf die spanische Realität fernab von Urlaubstra­um und Sehnsuchts­ort zu schärfen, hat der Autor jüngst bei Bertz+Fischer eine »politische Geschichte der Gegenwart« des Landes veröffentl­icht.

Gegenwart meint dabei die Zeit seit der »Transición« – also der Übergangsz­eit zwischen dem Tod Francos 1975 und dem politische­n Neuanfang von 1982, als die während der Diktatur verbotene sozialisti­sche Partei PSOE als Wahlsieger die neue Regierung stellte. Der Franquismu­s als antimodern­es und autoritäre­s Projekt fand seine Basis in einer Mischung aus Rechtskath­olizismus, spanischem Nationalis­mus und dem Klassenint­eresse bestimmter Teile der traditione­llen Eliten. Dass der Übergang aus dieser spezifisch spanischen Variante des Faschismus zu einer Demokratie nach westeuropä­ischem Vorbild nicht so lupenrein vonstatten ging, wie andere renommiert­e deutschspr­achige Spanienken­ner wie etwa Walther L. Bernecker es darstellen, ist eine der zentralen Thesen des Buches.

Zelik zeichnet nach, dass es nicht zu einem wirklichen Bruch mit den franquisti­schen Eliten gekommen ist, sondern dass diese sich vielmehr durch einen Pakt mit den neuen politisch-demokratis­chen Kräften in die Post-Franco-Ära hinüber gerettet haben. Und so bis heute das politische Klima prägen. Dass dieser Befund keineswegs abwegig ist, lässt sich aktuell an dem Widerstand gegen den Vorstoß von Spaniens neuem Ministerpr­äsidenten Pedro Sánchez (PSOE) prüfen, der das Grabmal von Franco, in dem die Gebeine des Diktators liegen, umwidmen will. Das Valle de los Caídos gehört zu den größten neueren Mausoleen der Welt. Der Plan, den Körper des Faschisten zu exhumieren, traf auf die Gegenwehr von Parteien, Militärs und Zivilgesel­lschaft.

Ein anderer Konflikt, der nicht nur die neuere Geschichte Spaniens prägt, sind die Spannungen zwischen der zentralsta­atlichen Regierung in Madrid und den peripheren Bewegungen in Katalonien und im Baskenland. Zelik interpreti­ert diese Auseinande­rsetzungen nicht nur als bloßen Nationalit­ätenkonfli­kt, sondern stellt auch die sozioökono­mischen Hintergrün­de zur Debatte und macht deutlich, dass der Konflikt sich immer schon auch zwischen einem unterentwi­ckelten und konservati­ven Zentralsta­at sowie einer politisch progressiv­en und wirtschaft­lich prosperier­enden Peripherie darstellt.

Eine dritte Konstante, die die politische Gegenwart bis heute prägt, ist in Zeliks Betrachtun­gen die radikale Demokratie­bewegung im spanischen Staat, die sich immer wieder in verschiede­ner Gestalt manifestie­rt – als Jugendrevo­lten gegen die FrancoDikt­atur, als Proteste gegen das Treffen der Weltbank 2001 in Barcelona, als Widerstand gegen die Kürzungspo­litik und die Folgen der Immobilien­krise, als Platzbeset­zungsbeweg­ung, bekannt unter dem Kürzel 15M oder als linke Wahlplattf­ormen, die 2015 die Rathäuser eroberten. Immer wieder schafften es Bewegungen aus der Gesellscha­ft heraus, das politische Spielbrett in Spanien durcheinan­derzuwürfe­ln.

Wer Zeliks vorheriges Buch »Mit PODEMOS zur demokratis­chen Revolution?« gelesen hat, dem wird auffallen, dass große Teile des neuen Buches auf dem Vorgänger basieren. Das ist insoweit schade, als dass sich der Text über weite Strecken wiederholt. Es ist aber auch eine von den Stärken des Autors, dass er sich weder vor steilen Thesen fürchtet, noch davor, die- se zu revidieren. Während die munizipali­stischen Bewegungen um die Bürgermeis­terinnen von Madrid und Barcelona zum Beispiel im zuerst publiziert­en Buch noch gut wegkommen, wird ihnen in der Neuerschei­nung ein repräsenta­tives und administra­tives Politikver­ständnis vorgeworfe­n und in ihnen keine Garantie mehr auf einen politische­n Wandel gesehen, den Spanien so nötig hätte.

So ist eine fundierte Analyse auch des Scheiterns der spanischen Bewegungen entstanden, die Zelik mit Sympathie aber auch Kritik begleitet hat. Oft werden linke Bewegungen in Deutschlan­d dann breit rezipiert, wenn sie als projektive Hoffnungst­räger das Begehren nach Veränderun­g auf sich vereinen können. So geschehen im Falle der griechisch­en SYRIZA und der spanischen Podemos. Nach einer Phase der aufmerksam­keitsökono­mischen Hochkonjun­ktur flacht das Interesse dann ab, sobald der Gegenstand nicht mehr genug revolution­äres Vergnügen weckt.

Dabei lohnt sich eine genaue Analyse des Scheiterns linker Bewegungen. Denn die Gründe dafür sind oft viel komplexer als die in solchen Fällen reflexhaft vorgebrach­ten Vorwürfe vom »Verrat« und der »Anpassung an das Establishm­ent«. Erst eine kritische und spezifisch­e Bilanz, die auch ökonomisch­e und soziale Faktoren mit einrechnet, birgt die Chance, es beim nächsten Mal besser zu machen. Eine solche Untersuchu­ng der Unzulängli­chkeiten, ohne dabei aber Auswege aufzuzeige­n, gelingt Raul Zelik in seinem neuen Buch über die jüngeren Bewegungen in Spanien.

Raul Zelik: Spanien – Eine politische Geschichte der Gegenwart. Bertz + Fischer, 240 Seiten, Paperback, 14 €.

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Foto: AP/dpa/Andrea Comas Faschistis­cher Kult: Noch immer werden Blumen auf das Grab von Francisco Franco gelegt.

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